Horst Köhler "Ich liebe unser Land"

Als Wolfgang Thierse um 13.55 Uhr das Wahlergebnis verkündet, weicht beim frisch gewählten Staatsoberhaupt die Anspannung aus dem Gesicht. Horst Köhler ist der erste Bundespräsident, der nicht aus dem politischen Establishment kommt.

Zufriedenheit und Erleichterung machen sich bei Union und FDP breit, als Bundestagspräsident Wolfgang Thierse 13.55 Uhr das Wahlergebnis verkündet. Auf den Oppositionskandidaten entfallen 604 von 1.204 abgegebenen Stimmen. Der neue Bundespräsident heißt Horst Köhler. Die Anspannung weicht dem frisch gewählten Staatsoberhaupt aus dem Gesicht. Die Koalitionskandidatin Gesine Schwan erweist sich als gute Verliererin. Sie ist die erste, die Köhler gratuliert.

Mit einem kräftigen Händedruck wünscht die Universitätsprofessorin dem künftigen Bundespräsidenten alles Gute. Es folgen Glückwünsche von den Kabinettsmitgliedern, allen voran Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer.

Fairer Gewinner

Doch auch Köhler erweist sich als fairer Gewinner. Er zollt der temperamentvollen SPD-Kandidatin in seiner ersten Ansprache als Bundespräsident Respekt für ihr Engagement. "Der Wettbewerb zwischen uns beiden Seiteneinsteigern hat dem Land insgesamt sicherlich nicht geschadet," sagt Köhler unter dem Beifall der gesamten Bundesversammlung.

Die Opposition wollte den Finanzexperten Köhler unbedingt im ersten Wahlgang zum neuen Staatsoberhaupt küren. Das ist auch gelungen, allerdings denkbar knapp. Nur eine Stimme über der notwendigen absoluten Mehrheit erhält Köhler.

12.18 Uhr eröffnet Thierse die Abstimmung. Einzeln werden die 603 Ländervertreter und 601 Bundestagsabgeordneten in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen, um dann im Foyer in einer der zehn aufgestellten weißen Wahlkabinen das Kreuz an der richtigen Stelle zu machen. Auch Köhler gibt seine Stimme ab. Die baden-württembergische CDU hatte den ehemaligen IWF-Chef als Wahlmann aufgestellt. Siegessicher ballt Köhler die Faust, als er seinen Wahlzettel in die durchsichtige Urne geworfen hat.

"Bewegender Augenblick"

Köhler spricht von einem "bewegenden Augenblick", als er der Bundesversammlung für die Wahl dankt. "Ich liebe unser Land", fügt er selten emotional hinzu. Er spricht von der Aufgabe Deutschlands, Ideenschmiede zu sein, sich im Zuge der Globalisierung auch um die armen Länder zu kümmern und mahnt eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf an. Seinem Amtsvorgänger Johannes Rau gibt er Recht. Dieser hatte Vertrauen in den Mittelpunkt seiner letzten Berliner Rede gestellt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Im Plenarsaal des Bundestages haben doppelt so viele Volksvertreter wie sonst Platz genommen. Eigens für dieses Ereignis wurde umgebaut, Sessel abmontiert und Platz sparende Konferenzstühle aufgestellt. Auch die Tribünen sind voll besetzt. In der ersten Reihe der Ehrentribüne haben die Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Walter Scheel Platz genommen. Daneben sitzen Eva Köhler und Peter Eigen, die Partner der Kandidaten. Auch Tochter Ulrike und Sohn Jochen wohnen der Wahl ihres Vaters zum neuen Staatsoberhaupt bei.

Pannen in der Bundesversammlung

Trotz fast perfekter Planung läuft dennoch nicht alles glatt. Das Ereignis der Bundespräsidentenwahl bringt selbst den gestandenen Bundestagspräsidenten Thierse durcheinander. Die Kandidaten für die Wahl heißen: 'Herr Professor Gesine Schwan', gibt er unter dem Protest der eindeutig weiblichen Kandidatin bekannt. Auch bei der Auszählung geht etwas schief. Schnell macht in der Lobby das Gerücht von möglichen Pannen die Runde. Eine offizielle Bestätigung gibt es allerdings nicht.

Auch will Thierse das neu gewählte Staatsoberhaupt nicht wie üblich nach der Wahl eine kurze Ansprache halten lassen. "Zum Abschluss singen wir die Nationalhymne", verkündet er verfrüht, ehe Köhler doch noch ans Rednerpult gehen darf.

Traditionell hatten die Parteien zahlreiche Vertreter aus Kultur, Gesellschaft und Sport für die Bundesversammlung nominiert. Für die Schauspielerin Nina Hoss ist der Tag im Reichstag keine Premiere. Sie sei schon öfter mit ihrem Vater, einem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen, in Bonn und auch in Berlin im Reichstag gewesen, sagt Hoss. Die Stimmabgabe zur Wahl des neuen Staatsoberhauptes empfindet sie als "Bürgerpflicht". Angesprochen auf ihre Sympathien bei der Stimmabgabe zitiert Hoss einen britischen Journalisten. Dieser habe gesagt "Gesine Schwan hat gewonnen und Horst Köhler ist Bundespräsident".

AP · DPA
Susann Kreutzmann/AP