Irak-Schulden Kampf um jeden Euro

Das noch nicht endgültige Ergebnis rechnet sich vor allem für die USA: Auf dem G20-Treffen in Berlin hat Finanzminister Hans Eichel einem großzügigen Erlass irakischer Schulden zugestimmt. Etliche Länder zweifelten am Sinn der Streichung.

Die Wiederwahl von US-Präsident George W. Bush ist noch nicht einmal drei Wochen her, da bahnt sich bei einem der umstrittensten internationalen Themen nach langem Ringen ein Durchbruch an: Ein weit reichender Schuldenerlass für den kriegszerstörten Irak. Zumindest die USA und Deutschland als einer der Hauptgeldgeber des ölreichen Landes haben die Weichen für eine endgültige Einigung gestellt. Stimmen auch andere Geldgeber und die im "Pariser Club" zusammengeschlossen Gläubigerstaaten dem deutsch- amerikanischem Vorstoß zu, könnte schon in diesem Jahr ein erster Teil von insgesamt 80 Prozent der Irak-Schulden gestrichen werden.

Amerikaner pochten auf 95 Prozent Erlass

Mit dem auf dem G20-Treffen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Berlin gefundenen Modell sind die Deutschen den Amerikanern deutlich entgegen gekommen. Zwar hatte sich Berlin immer dafür ausgesprochen, einen "substanziellen Schuldenerlass" leisten zu wollen. Wie aber auch Frankreich bestand Deutschland lange darauf, nicht wesentlich mehr als 50 Prozent der Schulden streichen zu lassen. Der ölreiche Irak, so die Argumentation der selbst um jeden Euro kämpfenden Bundesregierung, gehöre trotz Zerstörungen und Bürgerkämpfen nicht zu den ärmsten Ländern der Welt. Die im Irak zuletzt nicht gerade erfolgsverwöhnten Amerikaner hatten lange auf einen Erlass von 95 Prozent der Auslandsschulden gepocht. Eichel erklärte, der Irak sei in einer besonderen Situation.

Die irakischen Schulden werden auf rund 122 Milliarden Dollar geschätzt. Dem "Pariser Club" schuldet der Irak rund 42 Milliarden, Deutschland davon allein inzwischen bis zu 5,5 Milliarden Dollar, rund 80 Milliarden diversen arabischen Staaten. Sollte sich der "Pariser Club" bis Jahresende einigen, könnten auch andere Gläubigerstaaten sowie private Geldgeber folgen, so dass eine neu gewählte irakische Regierung voraussichtlich bis zum Jahr 2008 auf Entlastungen von bis zu 90 Milliarden Dollar hoffen könnte.

Bei einem Kompromiss würden zumindest die finanziellen Lasten des Irak-Krieges teils auch auf die Schultern der Kriegsgegner um Frankreich und Deutschland verteilt. Noch auf dem G8-Gipfel im Juni in den USA hatten vor allem Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Präsident Jacques Chirac einen pauschalen Schuldenerlass für den Irak verhindert. Zu den Gegenleistungen für ein Entgegenkommen von Berlin und Paris dürften auch eine stärkere Berücksichtigung deutscher und französischer Firmen bei einem Wiederaufbau des immer noch krisengeschüttelten Landes sein.

Vorstoß ohne Widerspruch

In der Berliner G20-Runde zumindest, der die großen Geldgeber ebenfalls angehören, wurde zunächst kein Widerspruch zu dem deutsch-amerikanischen Vorstoß laut. Schröder gab sich dennoch verhalten. Das Ganze sei zunächst ein Vorschlag an den "Pariser Club" und eine von den Finanzministern entwickelte "Struktur". Die Verhandlungen insbesondere mit Frankreich dauerten noch an.

Auch über die einzelnen Stufen des Schuldenerlasses ist offenbar noch nicht das letzte Wort gesprochen. Dabei geht es vor allem um die Schlussrate - die Rede ist von etwa einem Fünftel - in einigen Jahren. Sollte es zu einer durchgreifenden Besserung im Irak kommen, so Schröder, müsse man über Konditionierungen reden können. In Paris hieß es am Samstag knapp: Die Diskussionen dauerten noch an. Das zweitägige Treffen geht am morgigen Sonntag zu Ende.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Keine gemeinsamen Dollar-Interventionen

Die G20 wollen die anhaltende Dollar-Abwertung nicht mit gemeinsamen Interventionen aufhalten. Die USA, Europa und Asien erklärten sich jedoch bereit, jeweils ihren eigenen Beitrag zu leisten, um das Tempo der Wechselkursverschiebungen zu drosseln. Kanzler Schröder forderte die Amerikaner mit deutlichen Worten zum Handeln auf. Die Entwicklung des Dollar im Verhältnis zum Euro nannte er "Besorgnis erregend". Im Kampf gegen schädlichen Steuerwettbewerb ziehen die G20-Länder an einem Strang und machen Druck auf Steuerparadiese. Auch Geldwäsche zur Terrorfinanzierung soll stärker bekämpft werden.

Finanzminister Snow habe ausdrücklich zugesagt, das eigene Haushaltsdefizit abbauen zu wollen, sagte Eichel. Europa und Japan seien zu Strukturreformen aufgefordert, während China und andere asiatische Länder mehr Flexibilität zeigen sollten. Die europäische Gemeinschaftswährung war am Freitag wieder in die Nähe des tags zuvor erreichten Rekordhochs von 1,3074 Dollar gerückt.

Die Ursache der Dollarschwäche sei "eindeutig" das Doppeldefizit im Haushalt und bei der Leistungsbilanz der Vereinigten Staaten, sagte Schröder. "Man kann schlecht die Europäer zu Strukturreformen auffordern und dann die eigenen ökonomischen Notwendigkeiten nicht so hervorheben, wie das aus unserer Sicht nötig wäre", sagte Schröder am Rande des Treffens. Die Europäische Zentralbank (EZB) und andere Notenbanken hätten ebenfalls Möglichkeiten, die Dollarschwäche und damit den Höhenflug des Euro zu bremsen. Aus Regierungskreisen verlautete, dass China in der Frage der Lockerung seiner Währungsanbindung an den Dollar schon in der Vergangenheit Bereitschaft zur Bewegung signalisiert habe.

Eichel betonte, dass die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte "nicht zu abrupten Veränderungen beim Ölpreis und den Wechselkursen" führen dürften. Der hohe Ölpreis wird nach Einschätzung der G20-Staaten das weltweite Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr dämpfen. "Wir gehen weiter von einem kräftigen Wachstum aus, das aber ein bisschen schwächer sein wird als 2004", sagte Eichel.

Standards beim Austausch von Steuerinformationen

Alle G20-Länder wollen künftig Standards der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beim Austausch von Steuerinformationen einhalten. Wie am Rande des Treffens aus deutschen Regierungskreisen verlautete, wollen die Staaten eine entsprechende Selbstverpflichtung unterzeichnen. Damit dürften Länder wie die Schweiz, Österreich oder andere "Steuerparadiese" zunehmend in Zugzwang geraten. Auch im Kampf gegen die Finanzierung des weltweiten Terrors und Geldwäsche wollen die G20-Länder schärfer vorgehen. Bargeld-Kuriere, auf die bei illegalen Transaktionen zunehmend ausgewichen wird, sollen künftig stärker beobachtet werden.

Der 1999 in Berlin gegründeten G20 gehören neben den sieben führenden Industriestaaten (G7) und der EU auch Argentinien, Australien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Korea, Mexiko, Russland, Türkei, Saudi-Arabien und Südafrika an. Deutschland hat in diesem Jahr den G20-Vorsitz. Argentinien hatte seine Teilnahme kurzfristig abgesagt. Hintergrund sind die Bemühungen der G20 für ein freiwilliges Regelwerk zwischen Schuldner- und Gläubigerländer bei Zahlungskrisen eines Landes. Argentinien zahlt seit langem seine Schulden nicht mehr ab, ein Umschuldungsabkommen steht immer noch aus. Anders als die in der G7 zusammengeschlossenen Industriestaaten und Russland vertreten die G20 nach Angaben Eichels zwei Drittel der Weltbevölkerung und stellen 90 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.

DPA
André Stahl und Jürgen Sabel/DPA