Die Gewalt unter Schülern in Deutschland steigt nicht mehr oder sinkt sogar leicht. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, die am Dienstag vorgestellt wurde. Zugleich zeigt die Befragung aber, dass Rechtsextremismus unter Jugendlichen erschreckend verbreitet ist. Rund 4,9 Prozent der 15-jährigen Jungen sagten, sie seien Mitglied einer rechtsextremen Gruppe oder Kameradschaft. Jeden fünften Jungen in der neunten Klasse stuften die Forscher als "sehr ausländerfeindlich" ein. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble nannte die neuen Befunde zum Rechtsextremismus erschreckend.
Die meisten Rechten sind im Osten
Rechtsextreme Gruppen sind also deutlich erfolgreicher bei der Anwerbung von Jugendlichen als die etablierten Parteien oder soziale Organisationen. Hier sind nur ein bis zwei Prozent engagiert Prozent. "Das ist erschreckend, dass die Rechten beim Einsammeln der männlichen Jugendlichen mehr Erfolg haben als die etablierten Parteien", sagte der Direktor des Forschungsinstituts, Christian Pfeiffer. Die höchste Quote von Jugendlichen in rechtsextremen Gruppen gebe es mit bis zu zwölf Prozent im Osten, im Norden sei der Anteil am niedrigsten. Dies decke sich auch mit den Angaben zum Konsum rechtsextremer Musik und dem Tragen szenetypischer Kleidung. Rechtsextreme Musik und Konzerte funktionierten offenbar als emotionales Bindemittel.
Als Gegenmaßnahme gelte es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, sagte der CDU-Politiker. Es sei nicht akzeptabel, dass in manchen Gegenden Deutschlands die Rechtsextremisten die besten Freizeitangebote machten. Pfeiffer plädierte daher für die Ganztagsschule, um die Jugendlichen an sinnvolle Beschäftigungen wie Sport und Musik heranzuführen und ihnen Abenteuer außerhalb der rechten Szene und fern ab von Computerspielen zu bieten: "Wir müssen den Nachmittag der Jungen retten." Schäuble kündigte weitere Bemühungen um die Ansiedelung von Sportvereinen in Problemgebieten an. Der Deutsche Fußball- und der Deutsche Sportbund arbeiteten bereits an einer Reihe von Projekten, sagte er.
Schäuble: Amoklauf nicht repräsentativ
Zum Amoklauf von Winnenden mit 16 Toten sagte Schäuble, dieser sei nicht repräsentativ und nicht typisch für die Jugendgewalt in Deutschland. Die Bundesregierung werde den Fall aber prüfen und daraus alle notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Forderungen, Schusswaffen in Privathaushalten ganz zu verbieten, wies der Innenminister aber zurück. Er wolle in seiner Eigenschaft als Sportminister die Schützen und Jäger in Schutz nehmen. Alle sollten sich vor "Verallgemeinerungen" und vorschnellen Schlüssen hüten.
Pfeiffer nannte als Gründe für die offenbar sinkende Jugendgewalt, dass generell die Gewalt in den Familien gesunken sei und somit als starker Auslöser für Gewalttätigkeiten von Heranwachsenden wegfalle. In den Schulen herrsche zudem eine neue "Kultur des Hinschauens", lobte der Wissenschaftler. Auch gebe es eine höhere Bereitschaft, bei der Polizei Anzeige zu erstatten, was Gewalttäter abschrecke. Zudem habe auch die Akzeptanz von Gewalt unter den Schülern messbar abgenommen. Medienberichte über einen drastischen Anstieg der Jugendgewalt werden von den neuen Ergebnissen nicht gestützt, betonte Pfeiffer. Laut Statistik sei etwa die Zahl meldepflichtiger "Rauf-Unfälle", bei denen ein Arzt verletzten Schülern helfen musste, zwischen 1997 und 2007 um 31,3 Prozent gesunken.
Polizei hat in Schulen Vertrauen gewonnen
Ein Vergleich von acht Städten ergab, dass von 1998 bis heute die Quote der Jugendlichen, die im Jahr vor der Befragung mindestens eine Gewalttat begangen haben, in keiner Stadt gestiegen und zumeist sogar beträchtlich gesunken ist. Die Quote lag vor zehn Jahren zwischen 17,3 und 24,9 Prozent, in den Jahren 2005 bis 2008 aber nur noch zwischen 11,5 und 18,1 Prozent. Die Tatsache, dass die Polizei eine steigende Jugendgewalt misst, steht den Forschern zufolge dazu nicht im Widerspruch. Vielmehr habe die Polizei an Schulen erfolgreich um Vertrauen geworben, was die Anzeigebereitschaft der jugendlichen Opfer gefördert habe.

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Für die Studie wurden 2007 und 2008 insgesamt 44.610 Schüler der neunten Klasse aus 61 repräsentativ ausgewählten Landkreisen befragt. Sie waren im Schnitt 15 Jahre alt. Von ihnen sind im Jahr vor der Befragung 16,8 Prozent mindestens einmal Opfer einer Gewalttat geworden, bei 3,9 Prozent sind es fünf oder mehr derartige Opfererfahrungen. Bei den Mehrfachtätern erreichen Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien mit 9,4 Prozent den höchsten Wert, gefolgt von jungen Türken. Am anderen Ende der Skala stehen Jugendliche aus Deutschland und Asien. Diese Unterscheide gleichen sich aber vollständig aus, wenn man Jugendliche unterschiedlicher Herkunft vergleicht, die dasselbe schulische, familiäre und soziale Umfeld haben, wie Pfeiffer betonte.