Karl-Josef Laumann gilt als bodenständiger Typ. Der Autor dieses Textes hatte daran keinen Zweifel, war aber durchaus überrascht, dass er den CDU-Politiker für das Gespräch auf dessen heimischen Festnetzanschluss anrufen solle. Dann die Feststellung: Die Nummer steht auf seiner Abgeordneten-Webseite. Für alle einsehbar, für alle erreichbar. Jedenfalls erwischt man den NRW-Arbeitsminister an einem Dienstagmittag daheim in Hörstel-Riesenbeck. Im Grunde genommen möchte man von ihm nur eines wissen: Was war da los am Samstag?
Herr Laumann, Ihre Äußerungen zur Migrationspolitik wurden praktisch über alle Parteien und Lager hinweg gelobt. Wie erklären Sie sich das?
Die positiven Reaktionen zeigen, dass allen Parteien bewusst ist, dass es so nicht weitergehen kann. Es braucht dringend Lösungen, um den Zuzug nach Deutschland zu begrenzen. Wir sind in vielen Bereichen mit unseren Ressourcen am Ende. Darauf wollte ich hinweisen. Mir war aber auch wichtig, den Blick einmal auf die Betroffenen zu lenken. Die allermeisten Geflüchteten verlassen ihre Heimat nicht aus leichtfertigen Gründen, sondern aus Perspektivlosigkeit und Armut.
Besonders Ihr sachlicher und konstruktiver Ton hat viel Zuspruch gefunden.
Der Zuspruch macht mir Hoffnung, dass wir in der Sache zu einem gemeinsamen Handeln aller demokratischen Parteien kommen. Das halte ich auch für notwendig. Wir müssen das klare Zeichen setzen, dass Politik in der Lage dazu ist, Probleme nicht nur zu beschreiben, sondern auch gemeinsame Lösungen zu finden. Selbst, wenn es schwerfällt.
Die CDU hatte ins Konrad-Adenauer-Haus geladen, wollte von dort aus die "Aktivrente" in die bundesweiten Schlagzeilen bringen. Doch dann wurde Laumann auf die Zahnarzt-Aussage seines Parteichefs angesprochen. Ob er die Zustandsbeschreibung seines Parteichefs Friedrich Merz für Nordrhein-Westfalen bestätigen könne, wonach abgelehnte Asylbewerber sich auf Staatskosten die Zähne neu machen ließen, während Deutsche vergebens auf Termine warten würden? Der NRW-Arbeitsminister holte weit aus. Seine differenzierte Antwort sollte das einzige sein, was nach der Pressekonferenz hängen bleiben sollte.
Auf die Frage einer Journalistin schilderten Sie ganze sechs Minuten lang die Lage in Ihrem Bundesland, welche Sorgen es dort gibt, welche Ängste kursieren. Ihnen liegt das Thema offenkundig am Herzen, möglicherweise auch auf dem Herzen. Was treibt Sie um?
Ich bin von Haus aus Sozialpolitiker und kein Experte in diesen ganzen internationalen Rechtsfragen. Aber als größtes Land in Europa müssen wir unsere innere Stabilität bewahren. Die sehe ich in Gefahr.
Warum?
Die Bürgerinnen und Bürger haben das Gefühl: So, wie es jetzt ist, geht es nicht weiter. Die Politik erscheint ihnen handlungsunfähig. Meine große Sorge ist, dass die Menschen bald nicht mehr differenzieren zwischen unserem liberalen Asylrecht, für das es sehr gute Gründe gibt, und den vielen Menschen, die zu uns kommen.
Wie meinen Sie das?
Wir können sehr stolz auf das Asylrecht sein, das unsere Vorfahren in die Verfassung geschrieben haben. Sie waren Zeitzeugen des Nazi-Regimes, haben Verfolgung aus politischen, religiösen und anderen Gründen selbst erlebt. Ich glaube, dass wir jetzt handeln müssen, um den Kern unseres Asylrechts auch für die nächsten Generationen zu bewahren. Es gibt dieses Sprichwort: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Wir dürfen nicht zulassen, dass er uns in dieser Frage zerbricht – also die Stimmung kippt und unser Asylrecht grundlegend infrage gestellt wird. Deswegen muss gehandelt werden, was die Menge der Zuzüge angeht.
Laumann sagte in der Pressekonferenz, dass es "schon eine Überforderung der Systeme" gebe. Was die Sache mit den Zahnärzten angehe, könne er allerdings nicht von einem "großen Problem" sprechen. Laumann wollte ohnehin "weg vom Beispiel Zahnärzte": Er berichtete von hohen Zuwanderungszahlen, einer NRW-Flüchtlingsministerin, die sehen müsse, wie sie das "irgendwie hinkriegt". Natürlich habe man jedes Kind lieb, sagte Laumann. Man werde "alles tun, dass es einen guten Kitaplatz kriegt, dass es gut in der Schule ist". Doch Lehrer wüchsen nicht auf Bäumen, die Kita- und Schulräume würden knapp. "Wir sind in vielen Bereichen an die Grenzen unserer Kapazitäten angekommen", sagte Laumann.

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Um mögliche Lösungen wird hart gerungen, die Debatte ist sehr aufgeheizt. Wie sollte über Migrationspolitik diskutiert werden und auf welchen Ton kommt es dabei an?
Wir sollten immer berücksichtigen, dass wir hier über menschliche Schicksale sprechen. Es handelt sich vor allem um Menschen, die aus einer Zwangslage zu uns gekommen sind. Diese Menschen begeben sich aufs Mittelmeer, in Lebensgefahr, weil sie nach einer besseren Perspektive suchen. Und nicht aus Jux und Tollerei, wie wir in Nordrhein-Westfalen sagen.
Hat die Politik – also auch ihre Partei – diesen respektvollen Ton immer getroffen?
Viele Christdemokraten sind sehr engagiert und geben auch vor Ort alles, damit die Integration von Asylbewerbern gelingt und die Situation für Kinder eine gute ist. Ich würde mir daher wünschen, dass wir diese Debatte nicht so führen, dass wir den einen gegen den anderen ausspielen. Das hilft nicht weiter.
Die Lage ist angespannt, der Ton in der Migrationsdebatte wird rauer. Die FDP schießt gegen die Grünen ("Sicherheitsrisiko"), die Grünen schießen zurück ("Untergrenze des Anstands"). Die Union wirft der Ampel Totalversagen vor ("Deutschlanddebakel"), die Ampel wittert unsittliche Motive ("erbärmlicher Populismus"). Dagegen haben Laumanns eher nachdenklichen Worte einen Kontrapunkt gesetzt, auch gegen die Dauererregung anderer. Die Grünen lobten einen "konstruktiven, ringenden" Ton und - leichter Seitenhieb -, dass Laumann Anlass zur Hoffnung gebe, "dass es in der CDU auch noch Stimmen gibt, die sich nicht auf spalterische Ressentiments beschränken."
Ihren Parteichef Friedrich Merz konnte man in einem Fernsehinterview kürzlich so verstehen, dass abgelehnte Asylbewerber den Deutschen die Termine beim Zahnarzt wegnehmen würden. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sprach danach von einer Zuspitzung, die einem Oppositionsführer zustehen müsse. Wie sehen Sie das? Wenn ich sage, dass ich nichts davon halte, den einen gegen den anderen auszuspielen, dann habe ich dazu alles gesagt.
Christian Bäumler, Ihr Vize bei der CDA, hatte die Äußerungen als "Entgleisung" kritisiert, die mit dem christlichen Menschenbild nichts zu tun hätten. Er forderte Merz dazu auf, seine Aussagen zurückzunehmen oder auf die Kanzlerkandidatur der Union zu verzichten.
Die Äußerungen von Herrn Kollegen Bäumler, den ich ansonsten sehr schätze, halte ich für übertrieben.
Laumann, 66, ist Christdemokrat durch und durch. Seit 2005 führt er den Sozialflügel seiner Partei (CDA), seit 2017 ist er Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen. Zum zweiten Mal. Im Parteipräsidium sitzt er noch viel länger, seit fast zwei Jahrzehnten. Seine Meinung hat Gewicht in der CDU. Laumann gilt als loyal und herrlich direkt. Das hat er schon bei möglichen Corona-Staatshilfen für den Fleischfabrikanten Tönnies unter Beweis gestellt ("Also verarschen kann ich mich selber"). Fast legendär auch seine Antwort auf die Frage, wie er denn zu Schnaps am Wahlsonntag stehen würde: "Heute Abend gibt es Pils, weil ich morgen um 6 Uhr einen Flieger nach Berlin nehmen muss."
In der Migrationsdebatte zeichnet sich bislang keine Lösung ab. Was erwarten Sie nun von der Bundesregierung, der Ampel-Koalition aber auch von ihrer Partei?
Die Ampel und die Union müssen sich jetzt auf eine gemeinsame Marschlinie verständigen, um an den Stellschrauben zu drehen, an denen wir auf nationaler Ebene drehen können. Alle Parteien sind daher gut beraten, in die Kommunalpolitik reinzuhorchen, wo die Probleme konkret werden. Genauso wichtig ist eine Lösung auf europäischer Ebene. Den Vorschlag von Wolfgang Schäuble, EU-weit vergleichbare Standards für Asylbewerber einzuführen, halte ich für klug und praktikabel. Die Unterschiede sind aktuell groß. Auch deshalb steigt der Zuzug in Richtung Deutschland.
Und wenn es mit dem Schulterschluss nicht klappt?
Es passiert gerade eine Spaltung unserer Gesellschaft. Zwischen denen, die gar kein Asylrecht und Ausländer haben wollen – und denjenigen, die am liebsten jeden willkommen heißen würden. Wir müssen daher dringend die richtige Balance finden. Es gibt Zuwanderung, die unser Arbeitsmarkt braucht, und Zuwanderung, für die unser Asylrecht ursprünglich gemacht ist. Wir brauchen Lösungen mit deutlichem Abstand zu den Europawahlen im Juni 2024. Ansonsten habe ich die große Sorge, dass der Gewinner einer Nichtlösung die AfD ist. Eine Partei, die mit unserer Lebensweise, mit unseren Werten und unserer Vergangenheit nicht vereinbar ist. Nicht alle, die AfD wählen, teilen ihre Auffassungen. Aber auch Protestwähler haben Gründe, warum sie Protestwähler sind.