Kindstötung in Mönchengladbach "Der Frau wurde übel mitgespielt"

  • von Frank Gerstenberg
Dem Tod zweier Kinder in Mönchengladbach ist offenbar eine Familientragödie vorausgegangen. Die Schwester der Mutter und mutmaßlichen Täterin, hatte sich schon länger Sorgen gemacht. Die Vermieterin sagte zu stern.de: "Bessere Mieter kann man sich nicht wünschen"

Die zierliche Frau mit den langen schwarzen Haaren scheint sichtlich besorgt, als sie am Rosenmontag gegen Mittag die Polizeiwache in Mönchengladbach-Rheydt betritt: "Meine Schwester hat gedroht, sich und die Kinder umzubringen", berichtet die 34-Jährige. Es war nicht das erste Mal. Seit Tuvik El M., 33, nach fast zehn Jahren Ehe seine drei Jahre ältere Frau Karima El M. vor rund sechs Monaten verlassen hatte, häuften sich die Drohungen.

Jetzt spitzte sich die Situation offenbar zu: Karima hatte angeblich erfahren, dass ihr (Noch)-Ehemann eine neue Freundin hat. Ihre Schwester versucht am Rosenmontag mehrfach, Karima in ihrer Wohnung an der Myllendonker Straße im Mönchengladbacher Stadtteil Lürrip zu erreichen - vergeblich. Im niederrheinischen Mönchengladbach wird zur gleichen Zeit heftig Karneval gefeiert. Doch an einen Scherz glaubt auf der Polizeiwache in Rheydt niemand. "Da stimmt etwas nicht, ich mache mir Sorgen um die Kinder", gibt die Schwester zu Protokoll. "Die Frau machte einen glaubhaften Eindruck", so Polizeipressesprecher Willy Theveßen.

Gegen 13.30 Uhr stehen am Rosenmontag zwei Polizeibeamte vor der Wohnung der Familie El M., die seit drei Jahren in dem braun geklinkerten, gepflegten Sieben-Familien-Haus wohnt. Karima El M. reagiert zunächst nicht. Als die Polizei sich nicht abwimmeln lässt, öffnet sich plötzlich die Tür. Ihre Schwester "spinnt", sagt die 36-jährige gelernte Bürokauffrau, die in Deutschland aufgewachsen ist und bis vor kurzem noch im Qualitäts-Management eines Kfz-Zulieferbetriebes gearbeitet hat. Die Kinder schliefen, es ginge ihnen "gut".

Den Polizisten fällt auf, dass Karima E. einen verwirrten Eindruck macht. Als sie darauf bestehen, die Wohnung betreten zu dürfen, wird die Frau wütend: "Hausfriedensbruch", schimpft sie. Wenige Sekunden später stehen die Polizisten vor der Katastrophe. Im Kinderzimmer liegen leblos Yasmina, 2, und Souheil, 8, der eine Mönchengladbacher Grundschule besuchte. Der Notarzt kann nur noch den Tod feststellen. Die Mutter der Kinder bricht zusammen und wird wegen Suizidgefahr in das Landeskrankenhaus Süchteln gebracht.

Mutter ist die Täterin

"Es besteht nach den bisherigen Ermittlungen kein Zweifel daran, dass die Mutter die Täterin ist", sagt der Mönchengladbacher Oberstaatsanwalt Lothar Gathen. Die Frau soll ihre Kinder "heimtückisch" und aus "niederen Beweggründen" in der Nacht zu Rosenmontag ermordet haben. Entgegen anders lautenden Meldungen hatte das Amtsgericht zunächst keinen Anlass, an der Schuldfähigkeit der Frau zu zweifeln und erließ daher am späten Dienstagnachmittag Haftbefehl wegen Mordes. Parallel wird die Frau in den kommenden Wochen in der Psychiatrie behandelt. Über das Motiv der Frau und die näheren Umstände des Todes der Kinder hielten sich Polizei und Staatsanwalt noch bedeckt. "Wir wollen keine Einzelheiten veröffentlichen, die nur der Täter wissen kann und die dann vor Gericht nicht mehr verwertbar wären", sagt der Leiter der Mordkommission, Friedhelm Schultz.

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Der Vater der beiden Kinder, Tuvik El M., der sich über die Karnevalstage im Raum Düsseldorf-Aachen aufhielt, erfuhr erst Montagnachmittag von der Polizei, dass seine beiden Kinder tot sind. "Er ist auf der Wache zusammengebrochen", sagt Polizeipressesprecher Theveßen.

Im nachbarschaftlichen Umfeld der marokkanischen Familie herrscht Fassungslosigkeit - und große Anteilnahme. Auch 24 Stunden, nachdem der Tod der beiden Kinder den Stadtteil Lürrip erschüttert hat, kommen Kinder, Jugendliche, Alte, Mütter und Moschee-Bekannte und legen Plüschtiere und Blumen vor dem Eingang der weißen Tür des Mehrfamilien-Hauses ab, zünden Kerzen an. "Das ist einfach nur scheiße traurig", sagt Alex Repp, 15, der mit seinen Freunden Marvin, Kim und Kevin zum Haus an der Myllendonker Straße 148 kommt und eine rote Kerze anzündet. Marvin Schmitz, 14, erinnert sich besonders gut an den achtjährigen Souheil: "Mein Vater war sein Trainer." Souheil spielte in der F-Jugend des SV Mönchengladbach 10, gleich um die Ecke auf dem Sportplatz Uedding. "Souheil hat mit oft gefragt, ob ich mit ihm Fußball spiele. Er wollte immer nur kicken", sagt der Nachbarsjunge. Den Vater kennen die Jungs auch: "Er war auf dem Fußballplatz immer dabei. Die Mutter habe ich nie gesehen", erzählt Marvin.

"Ich begreife das nicht"

"Warum immer die Kinder?", fragt eine ältere Frau. "Ich habe selbst fünf Enkelkinder, das begreife ich nicht." Anneliese Boos, 72, tut die "ganze Sache unheimlich weh". Die Bäckersfrau hatte vor drei Jahren ihre 70-Quadratmeter-Wohnung an die Familie El M. vermietet. "Bessere Mieter kann man sich nicht wünschen. Es passte einfach alles", sagt Anneliese Boos, die auch schon andere Erfahrungen gemacht hat. "Karima saß am vorigen Freitag noch bei mir im Wohnzimmer und hatte eine Tasche voller Spielzeug dabei", sagt die Witwe. Die Kinder seien für Karima ihr "ein und alles" gewesen. Immer korrekt gekleidet, gut erzogen, beste Zeugnisse. "Sie wollte den Jungen auf die Waldorfschule schicken." Anneliese Boos will nicht glauben, dass die junge Frau ihren Kindern etwas angetan hat, schiebt aber ein "man kann ja nie wissen, wie es den Leuten innerlich geht" hinterher. Denn sie wusste auch, dass Karima El M. krank ist: Magengeschwüre. Über den Ehemann möchte Anneliese Boos nichts sagen, nur so viel: "Die Frau tat mir leid. Man hat ihr übel mitgespielt." Sie wolle sie in der Psychiatrie besuchen, "wenn es sein muss, auch im Gefängnis".

Fest steht für die Polizei nach den Aussagen der Schwester jedoch, dass Karima E. psychisch schwer angeschlagen ist. Zweimal wurde sie in jüngster Vergangenheit bereits polizeilich auffällig: einmal wegen Drogeneinflusses im Straßenverkehr und das andere Mal wegen Körperverletzung. Sie soll sich mit ihrem Ehemann im Januar auf offener Straße geprügelt und ihm dabei gegen das Schienbein getreten haben. Es war bis gestern der vorläufige Höhepunkt der Ehestreitigkeiten.

Davor hatte Karima El M. alles versucht, um ihren Ehemann zu halten. Sie sei ohne Einverständnis ihres Mannes zum zweiten Mal schwanger geworden. Sogar mehrerer Schönheits-Operationen habe sie sich unterzogen, nur um für Tuvik E. attraktiv zu sein. Sie stellte den Polizeiangaben zufolge ihrem Mann nach, suchte bei Freunden und in Kneipen nach ihm und ließ dabei ihre Kinder allein zu Hause. Doch der Ehemann, ein Buchhalter, wollte schon länger nichts mehr von seiner Frau wissen. Als er jetzt anscheinend jemand Neues fand, könnte die Ehefrau durchgedreht haben, so die vorläufige Mutmaßung der Ermittler zum Motiv. Die Drohungen seiner Frau, dass sie sich und die Kinder umbringen wolle, habe er nicht ernst genommen, sagte Tuvik El M. bei der Polizei aus.

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