Kofferbomber-Prozess "Es war nie meine Absicht zu töten"

Von Christian Parth
Im Juli 2006 hat Youssef al H. Deutschland in Angst versetzt. Mit einem Komplizen hatte der Libanese versucht, zwei Regionalzüge zu sprengen. Die Anklage fordert lebenslange Haft, er selbst beteuert seine Unschuld. Nun wird in Düsseldorf das Urteil verkündet.

Es ist eine schmale, unbefestigte Straße, die zum Hochsicherheitsgebäude des Düsseldorfer Oberlandesgerichts führt. Gegenüber einer Schrebergartensiedlung erhebt sich das Betonungetüm, umgeben von Stacheldraht und bewacht von Polizisten mit Maschinenpistolen. Vom Eingang aus sieht man die Studios des Shopping-Senders QVC. Der Einlass in das Gebäude erfolgt unter strengen Sicherheitskontrollen.

Wer es dann endlich nach drinnen geschafft hat, muss glauben, dass er beim folgenden Prozess sogleich einem Angeklagten begegnen wird, der mindestens so gefährlich wirkt wie Hannibal Lector. Doch drüben auf der linken Seite des riesigen Saals sitzt nur ein schmaler Junge in sportlicher Kluft, die schwarzen Haare akkurat in den Nacken gekämmt. Wenn Youssef al H. seine Ankläger sehen will, muss er seine Augen reiben. Zu weit weg sitzt Bundesanwältin Duscha Gmel, die lebenslange Haft für ihn fordert.

Der 24-jährige Libanese stieg am 31. Juli 2006 am Kölner Hauptbahnhof in den Regionalexpress (RE) 12519 von Mönchengladbach nach Koblenz und deponierte dort einen mit einer präparierten Gasflasche bepackten Koffertrolley. Sein Komplize Jihad H. tat dasselbe im RE 10121 von Aachen nach Hamm. Danach machten sich die beiden aus dem Staub, flüchteten vom Flughafen Köln-Bonn über Istanbul nach Damaskus.

H.s Fluchtversuch scheiterte

H. stellte sich anschließend freiwillig und wurde mittlerweile in Beirut zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Youssef al H. versuchte noch, sich zu seinen Geschwistern nach Schweden durchzuschlagen. Seine Reise endete mit klickenden Handschellen am Kieler Hauptbahnhof. Dass die beiden Bomben nicht detonierten, sei Teil des Plans gewesen, beteuert Youssef al H. während des Prozesses immer wieder. Deshalb habe er auch darauf verzichtet, den Propangasflaschen den für eine Explosion notwendigen Sauerstoff beizumischen. "Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen, dass es nie meine Absicht gewesen ist, jemanden zu töten", sagte der Muslim bei seinem Schlusswort vergangene Woche. "Ich wusste schon, als ich den Koffer in die Hand nahm, dass er nicht explodieren würde."

Handwerklicher Fehler verhindert Attentat

Die Bundesanwaltschaft schenkt diesen Aussagen freilich wenig Bedeutung. Die Rede von Attrappen sei nichts weiter als eine Mär. Allein ein "handwerklicher Fehler" habe verhindert, dass Youssef al H. eine tiefe Wunde in die Seele der Nation reißt und eine dauerhafte, kollektive Angst vor islamistischem Terror schürt. Bei der Urteilsverkündung ist ebenfalls kaum davon auszugehen, dass Richter Ottmar Breidling Rücksicht auf Youssef al H.s moralische Rückbesinnung auf Allah nimmt. Der 6. Strafsenat hat minutiös die Biografie des jungen Libanesen durchleuchten lassen, die zumindest den Verdacht auf eine islamistische Grundhaltung nährt.

Aufgewachsen ist er als eines von 13 Geschwistern im libanesischen Tripoli. Einer seiner Brüder starb bei einem israelischen Luftangriff während des Libanonkrieges vor zwei Jahren. Ein zweiter wurde bei den Kämpfen um das Palästinenserlager Nahr al Bared getötet. Der Verbindungsbeamte des BKA in Beirut, Ulrich Schonart, bezeichnete ihn gar als "führende Figur" der Fatah al Islam, die mit dem Terrornetzwerk al Kaida kollaboriert. Zwei weitere Brüder sitzen als Terrorverdächtige im Gefängnis von Rumieh, wo auch Youssef al H.s Komplize Jihad H. seine Haftstrafe verbüßt.

"Symbolische Drohung" oder geplanter Anschlag?

Im Jahre 2004 kam Youssef al H. von seiner Familie auserwählt nach Deutschland, ab 2005 besuchte er ein Studienkolleg in Kiel. Hier fühlte er sich nach eigener Aussage einsam, isoliert und vom Leistungsdruck überfordert. Er wandte sich dem militanten Islam zu, um "seine eigentlich vorhandene Unsicherheit und Bedürftigkeit" zu kompensieren, heißt es im psychologisch-psychiatrischen Gutachten. Die in der dänischen Zeitung "Jyllands Posten" veröffentlichten Mohammed-Karikaturen und die Tötung des al-Kaida-Führers al Sarkawi im Juni 2006 hätten ihn letztlich zu seiner "symbolischen Drohung" getrieben, sagte Youssef al H.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Auch seine beiden Anwälte wirkten während des Prozesses häufig wenig überzeugend. Einmal bemühte Verteidiger Bernd Rosenkranz die fragwürdige Parallele zur Militanz von RAF-Mitgliedern, die aus Protest gegen den Vietnam-Krieg vom gemäßigten ins linksradikale Lager gewechselt seien. Der strategische Fokus lag indes bis zuletzt auf den widersprüchlichen Aussagen des Komplizen Jihad H. Der hatte anfangs noch behauptet, mit den beiden Bomben habe er so viele Deutsche wie möglich töten wollen. Später sagte er seinem Anwalt, libanesische Sicherheitsbeamte hätten ihn mit Schlägen und Drohungen zur Lüge getrieben. In Wahrheit habe Youssef al H. die Bomben tatsächlich so montiert, dass sich nicht explodieren konnten.

Verteidigung versucht Verzögerung

Doch scheiterte der bis zuletzt unternommene Versuch der deutschen Anwälte, einen Zeugen aus dem Libanon vor das deutsche Gericht zu bewegen, der H.s Version glaubwürdig bestätigen könnte. Durch immer wieder neu eingebrachte Beweisanträge verzögerte die Verteidigung zudem die Urteilsverkündung um mehrere Wochen.

Richter Ottmar Breidling dürfte das nun zu rhetorischen Höchstleistungen beflügeln. Der 61-Jährige, der bereits Mitglieder der al-Tawid-Terrorzelle verurteilte, ist berüchtigt für seine scharfzüngigen Kommentare. Bei früheren Verfahren forderte er etwa, die Vorgaben beim Lauschangriff zu lockern, und er ging auch schon mit den Ausländerbehörden streng ins Gericht. Auch Youssef al H. hat die harte Gangart des Richters schon zu spüren bekommen. Gleich am ersten Prozesstag warnte er den Angeklagten eindringlich, hier keine "Geschichten aus 1001 Nacht" zu erzählen.