Kofferbomber-Prozess Ballack-Fan bleibt in der Deckung

  • von Matthias Lauerer
Am zweiten Prozesstag gegen den mutmaßlichen "Kofferbomber" Youssef El H. hat sich der Angeklagte auf Beweisvideos zwar identifiziert, aber mit eigenen Aussagen zurückgehalten. Nur hinsichtlich seiner Loyalität in Fußball-Fragen gab er ein klares Bekenntnis ab.

Am Mittwoch hat am Düsseldorfer Oberlandesgericht der zweite Prozesstag gegen den mutmaßlichen Kofferbomber Youssef El H., 23, stattgefunden. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, dass er "eine unbestimmte Vielzahl von Menschen aus niedrigen Beweggründen heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln" habe "töten wollen." Im Prozess ging es zunächst um Urkunden, die den gestern geschilderten Lebenslauf des Angeklagten belegen sollten und die Wiedererkennung Youssefs auf etlichen Video- und Fotodateien, die die Überwachungskameras auf dem Kölner Hauptbahnhof und dem Köln-Bonner Flughafen gemacht hatten. Später folgte die Zeugenaussage von Holger K., 37. Der BKA-Beamte leitete im Sommer 2006 die Ermittlungsgruppe SoKo "Trolley."

"Hoffe, dass wir uns wieder näherkommen"

An diesem kalten Dezembermorgen erscheint der Angeklagte Youssef in Begleitung von Justizbeamten im Gerichtsaal. Er trägt den identischen beigen Kapuzenpulli wie am Vortag. Die langen, schwarzen Haare hat er sich akkurat hinter die Ohren gestrichen, der Vollbart ist ungestutzt. Mit ernstem Blick setzt er sich schnell auf den gepolsterten Stuhl. Neben ihm sitzen heute zwei Justizbeamte. Per Handschlag begrüßt der Libanese dann seine Verteidiger Bernd Rosenkranz und Johannes Pausch. Kaum hingesetzt, versucht der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling einen Scherz: "Ich hoffe, dass Sie uns im Laufe des Verfahrens wieder näher kommen", sagt er - und spielt darauf an, das sich der ehemalige Student wegen Mikrofon-Problemen in die zweite Stuhl-Reihe gesetzt hat.

Dann geht es zurück in die Vergangenheit des Angeklagten. Schnell verlesene Urkunden belegen, dass Youssef drei Deutschkurse am Beiruter Goethe Institut im Zeitraum von November 2003 bis Juni 2004 besuchte. Den letzten Kurs bestand er mit der Note "ausreichend", die anderen mit "gut" und "befriedigend." Am ersten September 2004 reist er dann mit seinem Studentenvisum in Deutschland ein und schrieb sich für einen zweisemestrigen studentischen Vorkurs an einem Fachkolleg in Kiel ein. Obwohl er ein Semester wiederholen musste, bestand er den Kurs mit der Note 3,7. Doch "sein Deutsch sei nicht so gut gewesen, um sich damit gut verständigen zu können", sagte er. Nur deshalb habe er später auch einige wichtige Aufnahme-Termine an deutschen Unis sausen lassen. Dann klappte es in Kiel jedoch mit dem Mechatronik-Studium. Am 19. August 2006, also 19 Tage nach den versuchten Kofferbomben-Anschlägen, wurde Youssef am Kieler Hauptbahnhof um 3.40 Uhr auf Gleis 3 festgenommen.

Angeklagter identifiziert sich auf Videos

Nach kurzer Unterbrechung zeigt das Gericht mittels zweier Video-Beamer einen ersten Film auf den beiden großen, weißen Leinwänden. In diesem TV Beitrag des NDR ist bei Sekunde 16 zu sehen, wie der Libanese an der Seite eines Wortführers mit Mikrophon im Februar 2006 gegen die Mohammed-Karikaturen demonstriert. "Sind sie das?", fragt Richter Breidling, Youssef bejaht. Es folgen dreizehn weitere Videos, die alle am 31. Juli 2006, also dem Tag der geplanten Anschläge aufgenommen wurden. Auf ihnen sieht man unter anderem den mutmaßlichen Mit-Attentäter Jihad H. mit einem Trolley durch den Hauptbahnhof gehen, Youssef folgt ihm mit seinem Trolley und Rucksack. Immer wieder identifiziert er sich und seinen Kommilitonen.

Einmal lässt sich Youssef sogar zu einer gewagten Aussage hinreißen, die sein Anwalt Rosenkranz noch verhindern will. "Haben sie sich auf der Treppe am Hauptbahnhof oft umgesehen", will der Richter wissen. Und Youssef antwortet: "Ja, ich war ganz ruhig und unbeschwert, habe sogar Kaugummi gekaut." Auch auf gezeigten Bildern vom 30. Juli erkannte er sich wieder, einen Tag vor den versuchten Anschlägen also. Doch warum er und sein Kompagnon bereits am Sonntag am Kölner Hauptbahnhof unterwegs waren, wollte er nicht konkret sagen. Youssef: "Ich bin öfter nur so zum Bahnhof gefahren." Er gestand ein, dass der 22-Jährige H. dabei in einem Schließfach möglicherweise einen Rucksack mit Kleidung am Bahnhof hinterlegte.

"Ballack ist mein Idol"

Im Saal 1 des Gerichts wird es wegen der verdunkelten Fenster während der Vorführung immer kälter. Auf die Videos folgen etliche Screenshots. Auf einem ist auch der Angeklagte mit der ungewöhnlichen Nummer 13 auf seinem T-Shirt von hinten zu sehen. Die Nummer, die auch der Fußball-Spieler Michael Ballack trägt. Dann gibt sich der Libanese als Michael Ballack Fan zu erkennen. "Er spielt sehr gut. Das ist mein Idol!" Der Richter kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Fast kommt so etwas wie Heiterkeit im Gerichtssaal auf, die erst wieder verfliegt, als der zuständige Chefermittler des Bundeskriminalamtes BKA in den Zeugenstand gerufen wird. Mit großen Schritten geht der auf den Zeugenstand zu, sein schwarzer Anzug sitzt perfekt. Polizeihauptkommissar Holger K. referiert mit Hilfe von insgesamt 38 Power-Point-Folien die Erkenntnisse des BKA. Der Beamte arbeitet seit dreizehn Jahren beim BKA, zuvor diente er acht Jahre bei der heutigen Bundespolizei. Nun ergießen sich die Details der geplanten Tat in den riesigen monotonen Gerichtssaal, dem nur die zehn unterschiedlichen Farbstreifen unter der Decke etwas Charisma einhauchen.

Koffer 1 der Marke "e-go" fand sich im Regionalexpress nach Hamm, im Koffer lag eine "graue Propan-Gasflasche," noch eine "1,5 Liter PET-Flasche mit Benzin-Diesel-Gemisch" und "ein Wecker." Im zweiten Koffer der Marke "Sunpeak", der im Zug nach Koblenz deponiert worden war, fanden die Ermittler dann eine "rote Gasflasche, sowie "drei PET-Flaschen" wiederum "einen Wecker" sowie "einen Zettel mit arabischen Schriftzeichen" - und ein Beutel mit libanesischer Speisestärke. Der Zettel lag in einem der beigelegten Kleidungsstücke. Auf der Rückseite fanden sie später die Telefonnummer des Herrn B.. Dieser war im Libanon schon einmal terroristisch aufgefallen und wurde in dem am Dienstag zu Ende gehenden Prozess im Libanon frei gesprochen. Weiter hatte das Gericht den Düsseldorfer Angeklagten dabei in Abwesenheit zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Doch Youssef el H. kann nicht ausgeliefert werden, weil es ein solches Abkommen zwischen dem arabischen Staat und der BRD nicht gibt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Neun Terrabyte Daten

Die breiten Fahndungs-Maßnahmen, über die der Beamte ganz unbekümmert spricht, können einen schwindeln lassen. So berichtet er beispielsweise über die "1,3 Millionen Log-In-Daten der Mobiltelefone", die am 31. Juli in den jeweiligen betroffenen Funkzellen angemeldet waren und deren Daten die Mobilfunkbetreiber weitergaben. Dies führte jedoch zu keinem Fahndungs-Erfolg. Denn erst die Datenflut der 225 Kameras aus den neun überwachten Bahnhöfen, brachte den Durchbruch und zeigte die Libanesen bei ihrem Tun. Neun Terrabyte groß war die Datenmenge - oder 545 Stunden lang in Form von Videoaufnahmen, wie der BKA-Mann erklärt. Doch die Auswertung der schnell auf nur noch 172 Gigabyte eingrenzte Datenmenge dauerte immerhin zwei Wochen. Der Grund: das bei der Aufzeichnung verwendete System "sei mit den Rechnern des BKA nicht kompatibel." Die lange Auswertungs-Dauer erklärt er mit "einzelnen Videofrequenzen", die man mühsam habe wieder "zusammenführen" müssen.

Minuten später geraten BKA-Mann und Angeklagter wegen des Gebetsraumes im Keller des Kieler Studentenwohnheims sogar direkt aneinander. "Er hatte einen Gebetsraum eingerichtet", liest der Beamte von der Folie ab. Youssef schüttelt energisch mit dem Kopf und erwidert sofort: "Daran ist nichts wahr!"

Anwalt bestreitet Anschlagspläne

Später in der Mittagspause gibt Bernd Rosenkranz Interviews wie am Fließband. "Der Sachverhalt, so wie er hier immer dargestellt wird, der stimmt einfach nicht. Nur ein kleiner technischer Fehler habe die Explosion verhindert, so heißt es stets. Aber die Jungs kannten doch die Gasflaschen aus ihrem Heimatland und wussten genau, dass diese so nicht explodieren würden." Doch "erst im Januar wolle man sich zur Sache äußern", dann jedoch nicht mit einer "Geständnis-Erklärung", so der Rechtsanwalt weiter. Dann zieht er sich seinen schwarzen Mantel über und geht langsam hinaus in die frische Winterluft.