Sie erhoben sich aus den verstaubten Plüschsesseln des Stuttgarter Staatstheaters und standen da, wie einem Erfrischungsbad entstiegen, Fußmassage inbegriffen. Sie applaudierten minutenlang, bis die Hände schmerzten. Und beim Warten an der Garderobe bestätigten sie einander mit glänzenden Augen: "Ist er nicht großartig, unser Guido?" Das Fragezeichen war natürlich rhetorisch als Ausrufezeichen gemeint.
Die Großzügigkeit des Siegers
War da was gewesen? Etwa ein FDP-interner Familienkrach, der das diesjährige Drei-Königs-Treffen in Stuttgart zu stören drohte? Ein Ex-Vorsitzender Wolfgang Gerhardt, der seinem Nachfolger Guido Westerwelle vorgeworfen hatte, die liberale Partei als One-Man-Show zu missbrauchen? Und überdies ein FDP-Generalsekretär, der der Großen Koalition ein Staatsverständnis á la DDR-Regime angedichtet hatte? Ja doch, es hatte ordentlich gekracht im Vorfeld des Drei-König-Treffens der FDP. Doch zur Mittagszeit am Sonntag hatte "unser Guido" alles binnen einer knappen Stunde weggeredet. Danach war allen klar: Guido Westerwelle ist die FDP und die FDP ist Guido Westerwelle. Mal wieder hatte der Parteichef, den einst ein Jürgen Möllemann als "Guidolein" verspottete, es allen Kritikern gezeigt.
Wer so unangefochten eine im Normalfall nicht eben pflegeleichte Partei wie die FDP dominiert, kann sich großzügig mit seinen Gegnern geben. Hatte er am Vortag noch mit dem Gedanken gespielt, beim Auftritt am Sonntag als Abstrafaktion weder zu Gerhardt noch zu Niebel auch nur ein Wort zu sagen ("Mal sehen, ob ich eine Bemerkung dazu überhaupt unterbringen kann"), erteilte er dem Kritiker Gerhardt dann doch Absolution. "Ich bin schließlich in die FDP eingetreten, weil man dort diskutieren kann. Ich will es nicht anders haben, lieber Wolfgang." Und Niebel wurde zwar ein bisschen gewatscht, aber nur mit Samthandschuhen. "Das Gelbe vom Ei" sei es nicht gewesen, was der gesagt habe. Aber: "Ich möchte Niebel und keinen Generalsekretär, der schweigt."
Klarer Fahrplan zur Macht
Reden kann Westerwelle ohnehin selbst am besten. "Der demokratische Sozialismus ist ein vegetarischer Schlachthof," ruft er und als ein Zuhörer mit einem lauten "Bravo applaudiert, ist der Vorsitzende vollends obenauf: "Jetzt sind wir schon eine Two-Men-Show." Alles lacht. Alt bekannte Polit-Kalauer trägt er vor, dass sie wie kecke Gedankenblitze klingen. Über die Kritik der Kanzlerin an Spitzeneinkommen könne er nur staunen, mosert er. "Anna Netrebko macht an einem Abend so viel Geld wie die Kanzlerin in einem Jahr." Pause. "Aber die Netrebko kann ja auch singen." Sie halten sich die Bäuche vor Lachen. Was soll die Kritik an Fußballern, die Millionen verdienen, obwohl sie nur die Ersatzbank drücken? Antwort Westerwelle: "Ich kenne Abgeordnete, die sitzen das ganze Jahr auch nur im Bundestag und bekommen trotzdem ihr Gehalt."
Der Fahrplan Westerwelles zur Macht ("Wir müssen nicht in die Regierung, nein, wir wollen regieren") in Berlin steht längst fest. "Als Dame ohne Unterleib kann die FDP im Bund nicht regieren," plaudert er bestens gelaunt am Vorabend der Drei-Königs-Kundgebung bei einem Glas Grauburgunder. "In zwölf Landtagen sitzen die Liberalen inzwischen wieder. Dieses Jahr will er in Hessen und in Niedersachsen am 27. Januar wieder rein und in beiden Ländern mit der CDU regieren. In Hamburg sieht er Ende Februar mit dem FDP-Spitzenkandidaten Hinnerk Fock die Chance, endlich mal wieder über fünf Prozent zu kommen. Im Herbst soll Bayern folgen, wo die FDP seit 1994 nicht mehr im Landtag sitzt. Natürlich weiß der FDP-Vormann, dass das eine sehr optimistische Kalkulation ist. In der Hansestadt krabbeln die Liberalen nur matt an der Fünf-Prozent-Marke herum; in Bayern sehen die Demoskopen die Partei bei sechs Prozent.

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Hilfe durch Genossen Trend
Aber Westerwelle rechnet mit dem Genossen Trend: Wenn die FDP in Niedersachsen und Hessen demnächst schwarz-gelb regiere, werde das positive Fernwirkung für Hamburg haben. Und für Bayern prophezeit er, noch nie habe eine Wahl im Freistaat "größere Erfolgsaussichten gehabt als die kommende." Zweifel wischt Westerwelle weg wie Krümmel auf dem Tisch. Habe die FDP seit der Bundestagswahl 2005 nicht alle Landtagswahlen gewonnen? Und wenn man in Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen künftig mit der CDU regiere, dann trage der schwarz-gelbe Trend bis zur Bundestagswahl. In diesen vier Ländern lebten schließlich mehr als die Hälfte der Bundesbürger. "Daran kann die Union dann 2009 nicht vorbei." Und außerdem sei die SPD derzeit in den Umfragen krass unterbewertet. Niemals werde sie 2009 unter 30 Prozent liegen. "Zieht sie aber an, dann geht es mit der Linkspartei und den Grünen sofort abwärts."
Klingt alles einsichtig. Wenn die Stimmung in der Partei sich nur halbwegs mit der blendenden Laune des Vorsitzenden deckte. Noch während sie auf Einlass ins Staatstheater warteten, stänkerten sie gegen Niebel. "Eine Blamage ohnegleichen" habe sich der geleistet. Es sei "doch eine Ehre, dass Angela Merkel uns als Partner haben will," ergänzte ein anderer. Da möge der Generalsekretär "doch nicht so rumschwätzen." Andere sehen die Attacke Gerhardts und die Ausfälle Niebels gegen die CDU sarkastisch: "Wir haben wenigstens mal wieder ein Lebenszeichen von uns gegeben." Die Siegeszuversicht ihres Parteichefs teilt die Basis mitnichten.
Partei ohne Herz?
Die Kritik an den Parteioberen fällt in aller Regel derb aus. Die baden-württembergische Landesvorsitzende Birgit mahnt Niebel mit einem Satz, der auch als Tadel an seiner sonstigen Arbeit verstanden werden kann: "Dirk mach weiter so, dann werden wir wenigstens wahrgenommen." Das ist der Umstand, der vielen in der FDP schwer auf den Magen drückt: Die Partei werde wegen Westerwelle nur als kalte neoliberale Steuersenkungspartei wahrgenommen. Als Partei ohne Herz, wieder einmal die Partei der Besserverdienenden.
Der Stuttgarter Wirtschaftsstaatssekretär Burkhart Drautz erklärt: "Ich bin Gerhardt dankbar, dass er das mit der One-Man-Show mal gesagt hat." Stinksauer war vor allem der hessische FDP-Spitzenkandidat Jörg-Uwe Hahn. Er hat sich lautstark in der FDP-Zentrale beschwert: "Ihr macht uns den Wahlkampf kaputt, wir wollen doch mit der Merkel-CDU regieren." Und Bundestagsvizepräsident Hermann-Otto Solms machte seinen Freund Gerhardt mit dem Satz an: "Wenn du 2009 wieder antreten willst, musst du doch kein solches mehrseitiges Bewerbungsschreiben schicken." Der hat dem Parteifreund daraufhin mit einem undruckbaren Wort geantwortet. Niebels Amtsvorgängerin Cornelia Pieper war ebenfalls sauer über Niebels DDR-Vergleiche: "Das ist entsetzlich dumm gewesen. Jetzt wählt uns in den neuen Ländern doch kein Mensch mehr." Der überaus herzliche Begrüßungsbeifall bei Beginn der Kundgebung für Gerhardt war ebenfalls eine deutliche Bestätigung, dass viele denken, was er kritisch gesagt hat.
Wahlschlappe ist keine Option
Geht die Kalkulation nicht auf, macht sich der Vorsitzende Westerwelle keine Illusionen. Einer müsse schließlich schuld sein, wenn die FDP 2009 wieder nicht ans Mitregieren, an schöne Posten und flotte Dienstwagen komme. Aber vorerst geht er vom Ernstfall eines Sturzes nicht aus. "Ich werde irgendwann auch einmal in der ersten Reihe sitzen," scherzte er im Staatstheater mit Blick hinab auf die Ex-Vorsitzenden Gerhardt und Kinkel, "wenn ich in 25 Jahren abgelöst werde." Da riefen sie "Bravo, bravo, bravo." Und es klang, als ob sie ihren Guido noch lange, lange behalten wollten.