"Det glob ick nich", schimpft die Frau vom Bundespresseamt. "Die Journalisten müssen doch arbeiten." Schon 20 Minuten länger als geplant steht der Nostalgiezug "Molli" im Bahnhof in Heiligendamm, gerammelt voll mit Journalisten, vor allem mit Fotografen. Aber das Ding will einfach nicht zurückfahren.
Der Lokführer weigert sich. Wegen einer Kamera der Sicherheitskräfte, die an irgendeiner Schranke hängt. Die sei zu gefährlich für den Zug, befindet der Lokführer. Er will nicht eher losfahren, bevor das Ding weg ist. Die Sicherheitskräfte haben ein Einsehen. Aber das Abmontieren dauert noch mal zehn Minuten. Locker. "Noch zehn Minuten", fragt ein US-Journalist eine Molli-Zugbegleiterin in nostalgischer Tracht. "Was soll das? Wir müssen arbeiten."
Es ist genau das Arbeiten, das Informationen sammeln, das Auswerten, das den mehr als 5000 Journalisten auf diesem Gipfel so ungeheuer schwer gemacht wird. Auf jedem EU-Gipfel, bei jedem Europäischen Rat, gibt es Mechanismen über die Journalisten und Öffentlichkeit informiert werden, oft informell, aber doch mit klaren Botschaften. Mit klaren Spins, über die man berichten, die man interpretieren und bewerten kann. In Heiligendamm ist das alles anders. Zwar wird man im Pressezentrum in Kühlungsborn wunderbar bewirtet, rund um die Uhr gibt's Wiener Würstchen, Streußelkuchen, Kaffee und WLAN, im angrenzenden Hotel auch ein "reichhaltiges, warmes Buffet". Von jedem Fernseher irgendwo auf der Welt, am besten im heimischen Wohnzimmer, kriegt man mehr mit, was auf diesem Gipfel geschieht, als im noblen Pressezentrum.
Es herrscht eine seltsame Leere
Die Informationen, die man kriegt, sind bestenfalls Magerkost. Es herrscht eine seltsame Leere. Und so steht das, was man auf diesem Gipfel über diesem Gipfel erfährt, in einem seltsamen Missverhältnis zu dem Wirbel, der um diesen Gipfel gemacht wird. Das ist schade, denn so setzt sich der Eindruck fest, dass es bei dieser Veranstaltung bewusst nicht um Inhalte geht, sondern um schöne Bilder. Ohne Ton. Ohne Interpretation. Ohne Sinn. Oder das Ganze ist schlicht schlecht organisiert. Das ist auch schade, denn in der Regel zeichnen sich die Mitarbeiter des Bundespresseamtes dadurch aus, dass sie stets freundlich, stets bemüht sind, an sich auch bekannt für Transparenz und gute Organisation. In Heiligendamm und Kühlungsborn reicht es jedoch nicht für eine überzeugende Vorstellung.
Gerangel um Karten für Fototermine
Das fängt schon bei der Frage an, wann die Öffentlichkeit der Weltenlenker wie ansichtig werden kann. Nach Heiligendamm selbst, in die Nähe der Stars, dürfen nur Journalisten, die Karten für so genannte "Pools" bekommen. "Pools" sind Gruppen, die sich den Weltenlenkern bei bestimmten Fototerminen auf dem Gelände des Hotels nähern dürfen. Etwa beim Familienfoto, oder bei der Begegnung mit Jugendlichen. Naturgemäß sind solche Termine eigentlich vor allem etwas für Fotografen, nicht für Wortjournalisten, für Fernseh- oder Radioberichterstatter. Aber weil es sonst kaum Termine gibt, an denen man den vermeintlichen Politstars näher kommen könnte, sind nun auch jene Wort-Journalisten, die normalerweise exquisiten Zugang zu Quellen und Informationen haben, schnöde gezwungen, sich um die sehr begrenzten Pool-Karten zu balgen. Absurd ist das. Aber nicht nur das, denn schon die Reise zu dem Absurd-Termin ist ein Abenteuer. Denn eigentlich, so der Plan, sollten die "gepoolten" Journalisten per Molli nach Heiligendamm geschafft werden. Blöd nur, dass am Mittwoch Demonstranten die Gleise der Schmalspurbahn blockierten. Die Journalisten mussten per Schiff von der Marine nach Heiligendamm gebracht werden. Erst am Donnerstag konnte der Molli plangemäß seinen Betrieb aufnehmen.
Chaos auf deutsch
Sicher. Theoretisch bestünde die Möglichkeit, sich bei den so genannten "nationalen Briefings" zu informieren, Informationsgesprächen der nationalen Delegationen der Staatschefs. Im so genannten "Briefing Center" auf dem Gelände des Hotels - also innerhalb des Geheges - sollen Regierungsvertreter Journalisten berichten, was geschieht bei den intimen Arbeitssitzungen der Staats- und Regierungschefs.

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Am Mittwochabend schickte das deutsche Bundespresseamt per Mail eine präzise Terminliste mit Briefings herum, mit Terminen der Franzosen, der Briten, der EU. Nahm man jedoch die erneuten Security-Checks durch das Bundeskriminalamt (BKA) auf sich, die Warterei im Molli, die Verzögerungen, erreicht man dann endlich das "Briefing Center" im Gehege, wusste wieder niemand, was es mit den zuvor per Email angekündigten Terminen eigentlich auf sich hatte.
Also die Briten, hieß es etwa, seien ja für elf Uhr annonciert. Aber de facto habe man die britische Zeit angegeben, also handele es sich um einen Termin um zwölf Uhr mittags mitteleuropäischer Zeit. Außerdem solle man das aber ohnehin vergessen, weil nur ausgewählte britische Presse hier informiert werde. Und die Mail von gestern? Hmm, leider eine falsche Angabe. Ach ja, und die Franzosen? Ja, also bei denen habe man sich im Raum getäuscht. Außerdem, tja, die Sarkozy-Pressekonferenz, eigentlich ebenfalls für mittags avisiert, auch sie sei fürs gemeine Journalistenpublikum nicht offen. Chaos auf deutsch. Voilà.
Stumme Staatenlenker
Wer, zurück im echten Pressezentrum in Kühlungsborn, meint, sich über die Bildschirme auf dem Laufenden halten zu können, was so geschieht in Heiligendamm, der hat sich schwer getäuscht. Zwar wird freundlich über die "warmen, reichhaltigen Mahlzeiten" im benachbarten Hotel informiert, zwar sieht man mal Bilder von Merkel plus Gästen auf dem Gut Hohen Luckow, mal "beauty pictures" von Heiligendamm in der gleißenden Sonne, mal kurze Einblendungen von den Demonstrationen. Demnächst, wird versprochen, würden auch die "Briefings" aus dem "Briefing-Center" übertragen. Aber das alles ist denkbar nutzlos, weil schlicht der Ton fehlt. Nur in zwei Sofaecken des Pressezentrums sind die Fernseher laut geschaltet. Oft wird hier "N-TV" übertragen.
Ungeachtet jeder inhaltlichen Diskussion wird die Präsenz der 5000 Berichterstatter so zur Farce. Die Medien können bisweilen nur so tun, als seien sie informiert. Das ist schade. Denn irgendwann hat sich auch ein jeder Journalist an den Wiener Würstchen, am "warmen, reichhaltigen Büffet" satt gegessen und Kaffee bis zum Koffein-Flash getrunken. Und dann ist es einfach nicht genug, wenn man Staatenlenker sieht, ohne zu hören, was sie sagen.