Demokratie nervt. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel. SPD-Chef Kurt Beck will die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängern, SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering nicht. Wochenlang fetzen sich die beiden in den Medien, schließlich kapituliert Müntefering. Und nun? Der SPD-Parteitag wird Becks Vorschlag beschließen. Auf dem Papier. Müntefering zeigt das Papier der CDU. Die stimmt nicht einfach zu, sondern verlangt im Gegenzug, den Kündigungsschutz zu lockern. Beck und Müntefering jaulen auf, das könnten sie nicht akzeptieren. Das Ende vom Lied: Es passiert nix, gar nix.
So könnte es ausgehen. Weil in der Politik eben nicht nur über die Sache verhandelt wird. Sondern auch über Machtfragen, Parteiprofile und Personen. Das macht den Prozess der politischen Willensbildung so kompliziert und zäh. Demokratie ist kein Stück für die Galerie, es fehlt die klare Rollenaufteilung in Helden und Schurken, niemand kann mit einsamen, großen Taten brillieren, die Schlussszene ist meist auch nicht erhebend - wenn es denn überhaupt eine gibt. Gut möglich, dass die SPD mit dem unerledigten Projekt ALG I in den Wahlkampf 2009 zieht.
Politik fürs Fernsehen
Würden Sie sich einen Fernsehfilm ansehen, der inhaltlich derartig vor sich hinstottert? Natürlich nicht. Das ist öde, langweilig. Logische Konsequenz: Die Regierung muss das Fernsehen verbieten. Denn es gewöhnt die Menschen an dramaturgische Regeln, die in der Realität nicht einzuhalten sind. Da ein TV-Verbot illusorisch ist, haben die Politiker die zweite logische Konsequenz gezogen. Sie versuchen, Politik fernsehgerecht zu inszenieren. Doch das klappt selten.
Ein Beispiel: Der CSU-Parteitag Ende September. Der große Edmund Stoiber sollte mit großem Tschingdarassabum verabschiedet werden. Aber die Delegierten klatschten nur verhalten, sie waren froh, den alten Besserwisser endlich los zu sein. Gabriele Pauli, die Frau, die diesen Personalwechsel angestoßen hat, wurde in die Rolle der Aussätzigen gedrängt. Denn Günther Beckstein, der bei Stoibers Abgang mitgefingert hatte, sollte dessen Nachfolge erhobenen Hauptes antreten dürfen. Kurzum: Die ganze Münchner Messehalle stank. Nach Lüge und Heuchelei.
Engagement ja, Parteien nein
Politik öd, Inszenierungen unglaubwürdig, und "rucken", wie von mehreren Bundespräsidenten beschworen, tut auch nichts. Kein Wunder, dass die Menschen den Parteien den Rücken zukehren. 82 Prozent wollen sich nicht in den Parteien engagieren. SPD und CDU verlieren Mitglieder in rauen Massen. Aber sind die Menschen deswegen unpolitisch? Nein. Sie bevorzugen andere Möglichkeiten, ihrem Willen Ausdruck zu verleihen. Die einen engagieren sich bei Greenpeace, die anderen adoptieren ein Kind aus einem Hungerstaat oder kümmern sich um einen lokalen Sportverein. Das Engagement ist individuell und findet in Konstellationen statt, die überschaubarer sind als die großen Volksparteien. Das ist für die Gesellschaft kein Schaden.
Aber unser System, die repräsentative Demokratie, leidet. Es braucht die Rückendeckung der Bevölkerung, sonst verliert es seine Berechtigung. Deswegen sollten die großen Parteien zwei Dinge tun. Erstens: Klar machen, dass politische Entscheidungsprozesse mühselig sind. Darin wiederum ist Müntefering Weltmeister. Er sagt in Interviews, dass es zur Demokratie gehört, zu streiten und zu ringen, auch mit den eigenen Parteifreunden. Das ist wohltuend in seiner Ehrlichkeit. Zweitens: Die repräsentative Demokratie verändern. Wenn die Beteiligung der Bürger abnimmt, sollte die Regierung mehr Beteiligung möglich machen. Man stelle sich vor, es gäbe Volksabstimmungen über die Gestalt unseres künftigen Sozialsystems. Experten und Politiker, jeder, der eine Meinung dazu hat, müsste um den Bürger werben, um jene also, um die es eigentlich geht. Parteitaktische Motive würden zwangsläufig an Bedeutung verlieren.
Die großen Volksparteien erheben den Anspruch, Politik für alle zu machen. Sie sollten sich trauen, Politik mit allen zu machen.