Kommentar Viva, Edmundo, viva!

Seit Monaten wird die CSU von einem Endlagerproblem geplagt. Wohin nur mit Edmund Stoiber? Soll er Bundespräsident werden? Oder Lobbyist? Oder gar Privatier? Die nun gefundene "Brüsseler Lösung" ist ein Meisterstück: Stoibers Mission lautet: Rette Europa! Viva, Edmundo, viva!

Edmund Stoiber wird viel nachgesagt: Dass er sich bisweilen rhetorisch verläuft, dass er bisweilen zaudert, dass er brennt vor Ehrgeiz, und dass er, das sagen sogar Freunde, pralle Akten nackten Frauen immer vorziehen würde. Dazu weiß man über Stoiber einiges von Stoiber selbst. Etwa, dass er eigentlich keine Lust hat, seine Jobs als bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef aufzugeben, dass er sich - und das ist wieder Interpretation - noch lange nicht als einen betrachtet, der im Austragstüberl seiner Muschi den Tee heiß macht und die Blumen im Garten hinrichtet.

Die brisante Frage der Endlagerung

Für die CSU - und auch für Teile der CDU - ist das schon länger ein Problem, vergleichbar etwa mit der schwierigen Endlagerung nuklearer Brennstäbe. Wo soll man nur hin mit dem aktiven Stoiber? Wie gefährlich die Endlagerungsproblematik werden kann, hat der Chef schon im Sommer drastisch angedeutet, in dem er im bayerischen Landtags Wahnsinns-Investitions-Projekte vorlegte, seine potenziellen Nachfolger mit dieser oder jenen Gemeinheit piesackte, bisweilen querschoss. Den Granden, von München bis Berlin, schwante, was jeder zwischengelagerte Edmund anrichten würde können. Eine saubere Lösung war zunächst nicht in Sicht: Als Bundespräsident ist Zauderer Stoiber kaum mehr vermittelbar, der Frühstücksdirektor-Chefposten der Hanns-Seidel-Stiftung wäre ein Affront und Stoiber als Gazprom-Lobbyist à la Schröder nur schwer vorstellbar. Denn irgendwie nimmt man dem Mann trotz seines bisweilen fehlgeleiteten Ehrgeizes ab, dass es ihm um Anerkennung für seine Dienste am Gemeinwesen geht.

Viva, Edmundo

Insofern ist die Brüsseler Lösung eine perfekte Lösung jeglicher Lagerungsproblematik. Offenbar hat sich Kommissionspräsident José Manuel Barroso für Stoiber einen Traumjob einfallen lassen. Dem Vernehmen nach soll der Bayer eine Expertengruppe leiten, um Bürokratie in der EU abzubauen. Davon haben alle etwas: Die EU hat was davon, weil grundsätzlich gilt, dass das Geschäft des Bürokratieabbaus so lähmend langweilig ist, dass man schon Stoibers Leidensfähigkeit mitbringen muss, um sich überhaupt dafür begeistern zu können. Die EU hat aber auch etwas davon, weil die Geschichte mit dem Bürokratieabbau jenseits von Lippenbekenntnissen auch einen demokratiepraktischen Wert hat: Schließlich, so denkt der Kommissionspräsident schon länger, kann man den Moloch Europa den kritischen Bürgern nur näher bringen, wenn die nicht dauernd das Gefühl haben, von einem verquasten Regelwerk gezielt erschlagen zu werden. Und so könnte, welch' Ironie, der Aktenhengst Stoiber sich just zu jenem Mann aufschwingen, der Europa entrümpelt und den Bürgern näher bringt. Von Lissabon bis nach Tallin. Viva, Edmundo!

Besser in Brüssel als in Berlin

Auch den Seinen ist mit Stoibers Engagement gedient. Die CSU wird drei Kreuze schlagen, dass der agile Ex-Chef demnächst in Brüssel herumturnt, Geistesbruder Sarkozy, den drögen Brown oder gar die Kaczynskis oder deren Nachfolger nervt. Und, hey, wenn Stoiber hin und wieder anfängt, sich über die deutsche, die hessische oder die bayerische Bürokratie zu beschweren, dann ist das immer noch besser als ihn tagtäglich hibbelig im Büro sitzen zu haben. Selbst Angela Merkel dürfte diese Art der Beschäftigungstherapie für ihren Fast-Wirtschaftsminister erleichtert feiern. Hauptsache, er sitzt in Brüssel, nicht in Berlin.

Mission Europa

Am meisten aber wird Stoiber selbst nun aufatmen können, rein menschlich gesehen. Denn ein wenig muss er sich schon gefürchtet haben vor dem Wahsinns-Parteitagsstadl, der in zwei Wochen in München veranstaltet wird. Die Aufführung ist der kathartische Höhepunkt der diesjährigen CSU-Saison, mit dem Gerangel um die Nachfolge, dem Dreikampf Huber-Seehofer-Paulier, und schon jetzt ist klar, dass es zu einer rührselig-heuchlerischen Servus-Edmund-Show kommen wird. Bei dem Gedanken, ins amtlose Nichts zu stürzen, wie ein alter Mann von der Bühne abzutreten, dürfte dem Agilen Mittsechziger durchaus zugesetzt haben. Jetzt weiß er, dass er nicht abtritt, sondern sich aufmacht u neuen Ufern, auf neue Missionen, zum Wohl des Kontinents.

Nein, die Brüssel-Endlagerung ist für alle Beteiligten eine hervorragende Lösung. Wenn sie denn Wirklichkeit wird. Denn vielleicht kommt doch noch alles anders. Am Samstag besucht nämlich Gerhard Schröder Stoiber in Wolfratshausen. Kein Witz. Der Gerhard Schröder. Und vielleicht gibt es dann ja noch mal eine überraschende Wendung in der ohnehin schon unterhaltsamen Stoiberschen Biografie. Und Stoiber wird doch Lobbyist. Vielleicht für eine französische Atomfirma. In einem kleinen, schicken Büro in Berlin. In Reichweite vom Kanzleramt.