Selbst wer die föderale Struktur unserer Republik schätzt, tut sich zuweilen schwer mit ihr. Etwa wenn sie abrutscht ins ganz kleine Karo der Kleinstaaterei. Exemplarisch zu besichtigen ist sie im Rahmen der Einführung des Turbo-Abiturs nach acht anstatt neun Jahren Gymnasium.
Statt das Problem kooperativ und nach Absprachen in der Kultusministerkonferenz anzugehen, benutzen viele profilsüchtige Landespolitiker die Reform als ideologische Spielwiese. Endlich hatten sie mal was Wichtiges zu entscheiden. Nur: Kinder waren ihre Versuchskaninchen. Das musste schief gehen.
Was Stoiber nie geschafft hätte
"Ungenügend" etwa müsste im Schulreform-Zeugnis des bayerischen Ex-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber stehen. Erst wollte er gar nicht, dann wollte er das Turbo-Abi ganz schnell, weil Bayern bekanntlich überall vorn liegt. Jetzt ist er weg, die bayerischen Eltern und ihre Kinder müssen die Malaise ausbaden. Ihnen bleibt nicht viel mehr als der Spott, dass ein Stoiber das Abi nach acht Jahren nie geschafft hätte. Hat er doch zu seiner Zeit das neunjährige Gymnasium erst nach zehn Jahren gepackt.
Pikant auch, dass mit den Kultusministern bei deren jüngster Konferenz auch Bildungsministerin Annette Schavan am Tisch saß. Zu ihren Zeiten als Schulpolitikerin in Baden-Württemberg hatte sie lange Zeit zunächst mit beiden Füssen auf der Reformbremse gestanden hatte. Dann musste es ebenfalls holterdipolter gehen.
Vorbild Rheinland-Pfalz
Dass jetzt die Kultusministerkonferenz die unausgereiften Konzepte einigermaßen abzustimmen versucht, ist überfällig. Doch die Lösung des Problems liegt nicht in der Zahl der Wochenstunden. Nicht in der Streitfrage, ob in die Zahl der Pflichtstunden auch Wahlunterricht oder Übungsstunden einzurechen sind. Nicht im Endlosthema, wie der Schulstoff zu "entschlacken" ist. Schon gar nicht im Schwachsinns-Vorschlag, wieder den Unterricht am Samstag einzuführen.
Die Problem-Länder sollten besser beispielsweise in Rheinland-Pfalz in die Nachhilfe gehen. Dort gibt es an den Schulen mit Turbo-Abitur keine gestressten Schüler und verärgerte Eltern. Dort dürfen nur Ganztagsschulen sich einen achtjährigen Weg zum Abi zulegen. Dort gibt es Ganztagsbetreuung, Pflichtunterricht am Nachmittag, danach Hausaufgaben. Gehen die Kinder nachhause, haben sie schulfrei. In Thüringen und Sachsen, wo man nach der Wende bei den in der DDR üblichen zwölf Jahren zum Abitur geblieben ist, läuft es ebenfalls vergleichsweise problemlos.

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Mehr Geld für ein sozialeres Schulsystem
Das kostet. Mehr Lehrer, mehr Betreuungskräfte, entsprechende Räumlichkeiten für Förderkurse und Wahlkurse. Wer das nicht finanzieren will, wer glaubt, die Ganztagsschule ohne die Strukturen einer Ganztagsschule vortäuschen zu können, der wird weiterhin scheitern und sich zu Recht den Zorn der Eltern zu ziehen.
Letztlich führt an dieser neuen Schulstruktur kein Weg vorbei. Vor allem dann nicht, wenn man noch bedenkt, wie eng Schulerfolg und soziale Herkunft zusammen hängen. Die Bundesrepublik braucht mehr jüngere und gut ausgebildete Abiturienten. Dann aber darf der erfolgreiche Weg zum Abitur und damit zu mehr Lebenschancen nicht vom Umfang des Geldbeutels der Eltern abhängen.