Kreditaffäre um Bundespräsident Wulff Dröhnendes Schweigen in Berlin

Von L. Himmelreich, A. Hoidn-Borchers und H.P. Schütz
Kein Politiker der ersten Reihe will sich zum Bundespräsidenten offen äußern. Nach Informationen von stern.de hofft man bei der CDU noch immer, dass Wulff die Affäre aussitzt.

Muss er gehen, oder darf er bleiben? Das ist die zentrale Spekulationsfrage, mit der sich das politische Berlin derzeit beschäftigt. Nach stern.de-Recherchen in der Führung der CDU geht man dort davon aus, dass Bundespräsident Wulff seine Affäre politisch überleben wird. Geredet wird darüber aber nur nach Zusicherung von strikter Anonymität. Es wird praktiziert, was der Volker Rühe mal als "dröhnendes Schweigen" im Fall von Affären seiner Partei empfohlen hat.

Die SPD macht dabei allerdings nicht mit. Die Schonzeit für Wulff ist durch den Parlamentarischen SPD-Geschäftsführer Thomas Oppermann aufgehoben worden. Ab sofort wird er gejagt. Oppermann sagte am Dienstag: "Wulff hatte drei Wochen Zeit, die Vorwürfe zu entkräften. Das ist ihm nicht gelungen." Oppermann rechtfertigt seine Attacke auf Wulff mit dem Satz: "Kein Bundespräsident steht über Gesetz und Recht." Die Wahl zum Bundespräsidenten sei kein Freibrief für Gesetzesverstöße, die er vor seiner Wahl begangen habe, betonte Oppermann.

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel schießt sich mittlerweile auf Wulff ein: "Es gilt nachwievor: Niemand kann sich den zweiten Rücktritt eines Bundespräsidenten innerhalb von zwei Jahren wünschen. Allerdings kann sich auch niemand einen Bundespräsidenten wünschen, der den Eindruck erweckt, er sei seinem Amt weder politisch noch stilistisch gewachsen", schreibt er auf seiner Facebook-Seite.

"Sehr problematisch" und "unprofessionell"

Auch die SPD-Spitze geht davon aus, dass Wulff sich nicht im Amt halten kann. "Es gibt keinen Ausweg mehr", heißt es in der SPD-Zentrale.

Kritikfrei ist der Blick aber auch in der CDU nicht. Gesprächspartner aus der Führung der Partei beklagen Wulffs Verhalten als "sehr problematisch" und "unprofessionell". Sie gehen aber davon aus, dass Wulff die Affäre aussitzen wird. Hauptargument: Man könne nicht zulassen, dass der Bundespräsident von der Presse aus dem Amt gedrängt wird.

Wulff soll Werbung für sich machen

Das, so glaubt man in der CDU, wolle auch die große Mehrheit der Bevölkerung nicht. Dass Wulff mit einem groben Anruf auf die Handy-Mailbox von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann Veröffentlichungen über seine Finanzierungsgeschäfte habe verhindern wollen, so die CDU zu stern.de, nehme die normale Bevölkerung nicht als einen ernsten Verstoß gegen die politischen und publizistischen Spielregeln. "Viel gefährlicher ist für die Wahlchancen der CDU, dass er sich Kreditvergünstigungen verschafft hat, von denen normale Bürger nur träumen können." Wulff ist von der CDU aufgefordert, in den nächsten Tagen in einem großen Interview Werbung für sein Verbleiben im Amt zu machen. Am besten sei es, wenn er für sich eine "emotionale Ausnahmesituation" als Entschuldigung für sein Verhalten einräume.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ganz klar sagt die CDU Nein zu einem Rücktritt Wulffs. Die SPD dagegen wird im Fall einer Neuwahl sofort noch einmal bei Joachim Gauck nach einer neuen Kandidatur anfragen, der bei der Wahl Wulffs unterlegen war. Sollte Wulff hinwerfen, könnte, rein theoretisch, der CSU-Chef Horst Seehofer entzückt sein: Als amtierender Bundesratspräsident dürfte er bis zur Wahl eines neuen Bundespräsidenten selbst den Bundespräsidenten spielen.

FDP erwartet Aufklärung von Wulff

Auch aus Sicht der FDP wird und soll Wulff versuchen, von Tag zu Tag über die Runden zu kommen. Sie erwartet von ihm allerdings, so hieß es in der FDP-Zentrale gegenüber stern.de, dass Wulff selbst für Aufklärung sorgt. FDP-Chef Rösler werde sich auf keinen Fall dazu äußern.

In der FDP-Zentrale hat für Entsetzen gesorgt, dass der bayerische FDP-Abgeordnete Erwin Lotter als bisher einzige Abgeordneter der schwarz-gelben Koalition den Mut gehabt hat, Wulff zum Rücktritt aufzufordern. Lotter hatte gesagt: "Ich schäme mich, ihm meine Stimme gegeben zu haben." Und weiter: "Mit seinem kruden Verfassungsverständnis von Pressefreiheit hat sich Wulff endgültig für das Amt diskreditiert." Und er fügte hinzu: "Wer Journalisten den Krieg erklärt, muss Schloss Bellvue räumen und als Privatmann ohne lebenslange Staatsapanage in sein Einfamilienhaus zurückkehren."

Und Wulff? Macht weiter, als wäre nichts gewesen

Wulff hat unterdessen ein normales Programm geplant. Am Freitag wird er die Sternsinger aus Gemeinden im Bistum Essen empfangen, wobei das Präsidialamt einen massiven Andrang von Pressevertretern befürchtet. Dienstag nächster Woche steht der Neujahrsempfang des Präsidenten für das Diplomatische Korps an, am Abend gibt er ein Essen zu Ehren von Ex-FDP-Außenminister Klaus Kinkel, aus Anlass von dessen 75. Geburtstag. Am Mittwoch wird Bundesfinanzminister Schäuble Wulff die Wohlfahrtsmarken 2012 beim Präsidenten übergeben. Und am Donnerstag steht ein großer Neujahrsempfang von Wulff und seiner Frau Bettina für Repräsentanten aus allen Bundsländern an.

Kanzlerin Angela Merkel scheint den nächsten Tagen jedenfalls relativ gelassen entgegen zu sehen. Stellung-nahmen lehnt sie weiterhin strikt ab. Im Kanzleramt scheint es indessen doch eine gewisse Unruhe über den Fall Wulff zu geben. Einer ihrer Mitarbeiter erkundigte sich jetzt bei stern.de, ob denn im neuen stern, der diesen Donnerstag auf den Markt kommt, neue Enthüllungen gedruckt seien. Ein Blick auf stern.de hätte genügt: Ja, sind gedruckt.