Für die Bürger in Niedersachsen ändert sich nicht viel. Christian Wulff wird auch die nächsten fünf Jahre mit einer schwarz-gelben Koalition das Land als Ministerpräsident regieren, wenn auch nicht mehr mit einer so überzeugenden Mehrheit wie bisher. Die Kräfteverhältnisse im Landtag von Hannover haben sich aber spürbar verschoben.
Einzug der Linken wirft Fragen auf
Es waren die Linken, die in den letzten Wochen Schwung in den niedersächsischen Wahlkampf gebracht und für die Überraschung am Wahlabend gesorgt haben. Bisher als Partei vollkommen unbedeutend in dem Flächenland, erhielt die Linke nun von allen Seiten Stimmen: von Wählern der CDU, der SPD, der Grünen und von Nichtwählern. Die Linke kam so auf mehr als sieben Prozent und zieht jetzt mit zehn Kandidaten in den Landtag von Hannover ein. Vertreter der anderen Linksparteien mussten angesichts von so viel Zustimmung erst einmal tief Luft holen.
"Die Linke hat gut gefischt, nicht mit Konzepten, sondern mit Schlagworten", sagt die SPD-Wahlkämpferin Susanne Grote enttäuscht. "Wir hätten wohl mehr polarisieren müssen." Insbesondere SPD-Wähler sind zur Linken übergelaufen - ein herber Schlag für die Sozialdemokraten.
"Das Thema soziale Gerechtigkeit, mit der die Sozialdemokraten geworben haben, nimmt man der SPD einfach nicht mehr ab", sagte der künftige Landtagsabgeordnete der Linken, Manfred Sohn. Er macht allerdings auch die Bundespolitik der großen Koalition verantwortlich. "Wir haben die Hartz-IV-Empfänger, die enttäuschten Arbeiter und kleinen Angestellten. Und vielleicht auch Rentner, die Angst haben zu verarmen", sagt er.
CDU-Strategie hat gezogen
Angesichts ihres Wahlsieges sah dagegen die Union gestern Abend erst einmal keine Veranlassung zur Selbstkritik. Sie befasste sich nicht mit dem eigenen Stimmverlust und dem Einzug der Linken, obwohl auch die CDU Stimmen an die Linken abgegeben hat. Auf der Wahlparty der Union im alten Rathaus wurde lieber ausgiebig gefeiert mit Christian Wulff, der die Anstrengungen der vergangenen Wochen wegzulächeln suchte.
Der Einsatz hat sich für ihn gelohnt: Die Strategie der Niedersachsen-CDU ist aufgegangen. Nicht Polarisieren, wie es Roland Koch in Hessen gemacht hat, sondern auf Verständigung und Kooperation zu setzen, erwies sich als die richtige Taktik. Wulff ist es auf diese Weise sogar gelungen, auch unpopuläre Entscheidungen der Landesregierung eine Art Weichspülergang zu verpassen. Zudem hatte Wulff immer wieder den Leittragenden seines harten Sparkurses zugunsten der Hauhaltssanierung Linderung versprochen. Die Themen anderer Parteien griff er auf, und füllte sie zugunsten der CDU mit Inhalten auf.
Es hat für einen erneuten Sieg gereicht, auch wenn die Stimmverluste der CDU von knapp sechs Prozent gegenüber der Landtagswahl 2003 herbe sind. Die Union kehrte das aber angesichts des Wahlstiegs unter den Tisch. "Der Sparkurs der Regierung war für manche Niedersachsen sehr hart, dafür sind die Verluste wirklich noch moderat", sagt ein CDU-Fraktionsmitglied. Andere CDU-ler machen die niedrige Wahlbeteiligung für den Verlust verantwortlich.

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Riesenfrust bei der SPD
Schulter klopfen gab es auch bei der FDP, die mit diesem guten Abschneiden wohl selbst nicht gerechnet hat. Die Liberalen haben zwar keine Stimmen dazu gewonnen, aber auch keine verloren.
Dagegen hätte der Frust bei den Sozialdemokraten kaum größer sein können, obwohl am Ende die Verluste der SPD geringer waren als die der CDU. Als die SPD zwischenzeitlich auf unter 30 Prozent der Stimmen abgesackt war, hatte das den Genossen die Laune unwiederbringlich verdorben. "Es ist uns nicht gelungen, eine Wechselstimmung zu erzeugen", räumte Wulff-Herausforderer Wolfgang Jüttner später tapfer ein. Er hätte aber auch mit dem Finger auf die CDU zeigen können.
"Ich bin schon sehr betroffen", sagte Jüttners Frau für Bildung im SPD-Schattenkabinett, Renate Henriks. "Die CDU hat der SPD die Themen abgenommen, da war keine Polarisierung möglich." Sie macht vor allem die Politikverdrossenheit der Wähler für das schlechte Abschneiden der SPD verantwortlich.
Auch den Grünen war trotz hauzartem Stimmengewinn nicht zum Feiern zumute. Enttäuschung machte sich auch hier breit, nur war nicht so recht klar, worüber man sich am meisten ärgerte: Dass Wulff auch den Grünen geschickt Wahlkampfthemen geklaut und erneut gewonnen hat? Oder darüber, dass die SPD so mies abgeschnitten und die Grünen damit wieder auf die Oppositionsbank müssen? Oder dass die Grünen durch die Linke eine neue Konkurrenz bekommen haben? "Ich verstehe die niedersächsischen Wähler nicht", brachte es ein Fraktionsmitglied die Irritiertheit der Grünen über das Wahlergebnis auf den Punkt.
Linke importierte Kandidatin aus Bremen
Auch wenn die Umfragen in den letzten Wochen schon darauf hingedeutet hatten, wollten die Parteien am Wahlabend den Zulauf, den die Linken erhalten haben, nicht recht zur Kenntnis nehmen: "Die Linken kennt hier keiner", höhnten Parteimitglieder verschiedener Couleur am Nachmittag über die Konkurrenz. Die ersten Wahlkämpfer der Linken tauchten in der Tat etwa eine Stunde vor der Verkündung der Wahlergebnisse im Landtag auf: Eine winzige, unscheinbare Gruppe, die nur an knallroten, rechteckigen Umhängetaschen mit dem weißen Schriftzug "Die Linke" zu erkennen war. Mit dabei Spitzenkandidatin Kreszentia Flauger, politischer Import aus Bremen, wo die Linke in der Bürgerschaft sitzt. Sie bot den anderen Linksparteien sofort ihre Zusammenarbeit an. Die anderen Parteien müssten dafür aber signalisieren, dass sie ihre Vorurteile gegenüber der Linken abbauen wollten, betonte die Politikerin.