Es sind zwar "nur" zwei Landtagswahlen. Aber dass die Ergebnisse in Hessen und Bayern auch ein Misstrauensvotum gegen die Ampel-Regierung in Berlin bedeuten, darüber gab es am Wahlabend keine zwei Meinungen. Man sei ja nicht "taub und blind", sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert schon kurz nach Schließung der Wahllokale. "In diesem Wahlergebnis liegt auch eine Botschaft für uns."
Die SPD hat in beiden Ländern ihre jeweils historisch schlechtesten Ergebnisse eingefahren. Auch die FDP setzt ihre Niederlagenserie bei Landtagswahlen fort und fliegt in Bayern aus dem Parlament und in Hessen beinahe. Vergleichsweise glimpflich kommen trotz deutlicher Verluste noch die Grünen weg. Sie könnten in Hessen mit der CDU sogar weiterregieren.
Insgesamt geht der Trend bei diesen Wahlen ganz klar nach rechts – und zwar ziemlich weit nach rechts. Die AfD, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, ist kein ostdeutsches Massenphänomen mehr. 18,4 Prozent in Hessen, 14,6 Prozent in Bayern, zweitstärkste und drittstärkste Kraft – das Ergebnis in Hessen ist das bisher höchste bei Landtagswahlen im Westen. Was bedeutet das für die Ampel-Regierung und für die kommende Bundestagswahl? Die Pressestimmen im Überblick:
"Abrechnung mit der Ampel-Koalition"
"Badische Neueste Nachrichten": "Es ist explizit auch ein Zwischenzeugnis für die Arbeit der Koalition in Berlin. Und die Ergebnisse vom Sonntag sind mehr als eindeutig und entfalten Sprengkraft: zweimal ungenügend, einmal ausreichend. Alle drei Ampel-Parteien haben sowohl in Hessen als auch in Bayern viele, viele Stimmen verloren. Vor allem die Sozialdemokraten und die FDP sind in beiden Bundesländern am Tiefpunkt. Aber auch die Grünen haben klar verloren. Eine Abrechnung erster Klasse und eine echte Blamage für die Bundesregierung."
"Ludwigsburger Kreiszeitung": "Die Ergebnisse der Wahlen in Hessen und Bayern sind für die Bundesregierung eine bittere Niederlage. (...) Die hohen Ergebnisse für die AfD in den beiden großen Bundesländern sind eine Abrechnung mit der Regierungspolitik. Kanzler Olaf Scholz mahnte im Sommer zur Gelassenheit angesichts der hohen Umfragewerte für die AfD. Dahinter stand seine Hoffnung, dass sich der Ärger über die Regierung legen würde. Er lag falsch."
"Stuttgarter Zeitung": "Nach diesem Sonntag stellen sich in der Hauptstadt viele Fragen: Ampelkanzler Scholz wird überlegen müssen, wie und mit welchen populären Themen seine demolierte SPD noch Volkspartei bleiben kann. Womöglich braucht er eine neue, unbeschädigte Innenministerin, die verkörpert, was eine Mehrheit erwartet: entschlossene Korrekturen in der Migrationspolitik. Die Union wird neu darüber nachdenken müssen, wer für sie als Kanzlerkandidat antreten soll. Zudem wäre zu klären, warum der Ampelfrust vorrangig bei der rechten Konkurrenz und nicht bei ihr einzahlt. Werden im nächsten Bundestag wie im Münchner Maximilianeum auch zwei rechte Parteien sitzen?"
"Bayern ist nicht mehr das Bayern von 2003"
"Augsburger Allgemeine": "Sicher, überall in Europa schwindet die Bindekraft der Volksparteien, dafür kann Söder nichts. Doch mit seiner Solo-Show verstärkte er das Problem und verengte die CSU auf eine Person. Statt ein Team mit Themen zu verknüpfen, war von der Wirtschaft über den Wohnungsbau bis zur Windkraft nur einer zuständig – der Ministerpräsident selbst. Doch Söder allein reicht nicht."
"Rheinpfalz": "Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren haben die Christsozialen mit Söder als Spitzenkandidat das seit 68 Jahren schlechteste Wahlergebnis eingefahren. Bei der Wahl am Sonntag war es nicht besser. Das liegt zwar nicht an Markus Söder allein. (...) Bayern 2023 ist nicht mehr das Bayern aus dem Jahr 2003. Damals war die CSU noch für 60,7 Prozent gut. Es liegt allerdings eben auch an Söder. Seine Unglaubwürdigkeit und politische Wendigkeit, sein gelegentlicher Unernst und seine penetrante Bayern-Huberei kommen bei vielen nicht gut an. Stand heute ist das Unions-Rennen bis zur Kür des Spitzenkandidaten mutmaßlich im Herbst 2024 also offen. Denn weder auf CDU-Chef Friedrich Merz oder auf den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) oder auf andere aus der Riege der konservativen Spitzenleute läuft die Kandidatur quasi automatisch zu."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
"Frankfurter Neue Presse": "Mit Boris Rhein an der Spitze kann die Hessen-CDU fast wieder an alte Zeiten anknüpfen. Vergessen ist die Schmach der vergangenen Landtagswahl mit zweistelligen Verlusten. Und überwunden ist für Boris Rhein persönlich damit vielleicht auch die traumatische Erfahrung von der verlorenen Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt 2012. Mit diesem Ergebnis hat der 51-Jährige seine CDU wieder ganz nach oben geführt."
Boris Rhein hat gesiegt – und nicht die AfD
"Reutlinger Generalanzeiger": "Die AfD hat zwar in Hessen und Bayern zugelegt, sie ist aber nicht der Wahlsieger. Der heißt nämlich Boris Rhein. Ihm ist das Kunststück gelungen, mit einem unspektakulären und eher sachlichen Wahlkampf ein Ergebnis von über 30 Prozent für die CDU eingefahren. Davon kann die Bundes-CDU nur träumen. Und das ist die eigentliche Botschaft in der Kanzlerkandidatenfrage der Union. Denn Rhein gelang das, weil er sich in vielen wichtigen Themen von der Bundes-CDU und von Friedrich Merz abgesetzt hat. (...) Polarisierung zahlt sich nicht aus. Gerade in Krisenzeiten kommt es auf Stabilität und Sicherheit an. Genau das lassen sowohl Markus Söder als auch Friedrich Merz vermissen. Und bei genauer Betrachtung trifft das auch auf die Ampel-Regierung zu."
"Schwäbische Zeitung": "Die Annahme, dass bei Landtagswahlen über Landespolitik abgestimmt wird, ist überholt. Vielmehr werden die Ergebnisse vom Sonntag auf den Bund durchschlagen – und das sollten sie auch. Regierungsparteien, die an der Fünfprozenthürde scheitern oder im Bestfall auf eine Eins vor dem zweistelligen Ergebnis kommen, haben ein Legitimationsproblem. Ein vorzeitiger Bruch der Koalition erscheint nicht mehr abwegig. In Anbetracht des am Sonntag gezeigten Wählerwillens wäre dies nicht die schlechteste Option."
"Mitteldeutsche Zeitung": "Diese Wahlen dürften aber die letzten Wahlen gewesen sein, bei denen der Schaden begrenzt bleibt. Denn jenseits des parteitaktischen Schönredens stecken in den Wahlergebnissen bittere Botschaften. Erstens: Die AfD ist auch im Westen der Republik angekommen. Zweitens: Die Ergebnisse sind für die Ampel ein Misstrauensvotum. Alle drei Parteien der Ampelregierung sind in einer Krise. Drittens: Die Union geht aus den Wahlen zwar mit wiedergewählten Regierungschefs hervor, aber der interne Machtkampf wird härter. Zuwächse bei AfD und Freien Wählern zeigen, dass Merz die Konkurrenz von rechts nicht aufhält."