CSU-Chef Obazda-Coup: Warum will Söder plötzlich die Große Koalition mit Scholz?

Markus Söder bei der Bundesratssitzung in Berlin.
Markus Söder bei der Bundesratssitzung in Berlin: Der CSU-Chef bezeichnet die Ampel-Regierung als "stehend k.o.".
© Political-Moments / Imago Images
CSU-Chef Markus Söder sieht die Demokratie gefährdet wie in der Weimarer Republik und bietet der Ampel aus heiterem Himmel eine Große Koalition an. Mit der CDU ist nichts abgesprochen – die ist schwer irritiert.

Markus Söder hat einen langen Landtagswahlkampf in Bayern hinter sich. Am Freitagmorgen um kurz nach 8 Uhr merkt man, wie sehr ihm die Bundespolitik gefehlt haben muss. Während einige Journalisten in der bayerischen Landesvertretung noch den Obazda aufs Brötchen streichen, fordert der CSU-Chef schon "eine Regierung der nationalen Vernunft". An Bundeskanzler Olaf Scholz richtet Söder die Aufforderung, "jetzt das Notwendige zu tun, heißt: die Grünen und die FDP zu entlassen". Danach soll der Kanzler mithilfe der Union weiter regieren – in einer Großen Koalition. 

Na, das ist doch mal ein Aufschlag. Schlagzeilen garantiert. Was Söder für die eine ganz große Antwort auf die Probleme des Landes hält, wirft dann allerdings doch ein paar kleinere, aber nicht völlig unbedeutende Fragen auf. Wie kommt er darauf? Warum sollte Olaf Scholz das tun? Und: Was sagt eigentlich Friedrich Merz dazu? 

Mit der Wagenknecht-Partei sieht Söder "eine weitere destruktive Kraft" 

Der Reihe nach: Für die erste Frage hantiert der CSU-Chef an diesem Morgen mit dem ganz großen Besteck. "Die Demokratie steht vor einer der schwersten Bewährungsproben der letzten Jahrzehnte", befindet Söder. Die Bevölkerung sei tief verunsichert und beginne, an der Demokratie zu zweifeln. Neben der AfD komme nun mit der zu erwartenden Partei von Sahra Wagenknecht "eine weitere destruktive Kraft" auf die politische Landschaft. Damit verstärkten sich die Fliehkräfte der Demokratie. Das seien "beginnende Alarmsignale, wie wir sie in Weimar erlebt haben".

Das Kernthema sei die Migration. "Deutschland ist überfordert, organisatorisch und mental." Eine Verschnaufpause reiche nun nicht mehr aus. Stattdessen brauche es – und das, glaubt Söder, sei der große Wunsch der deutschen Bevölkerung – "eine grundlegende Wende in der Migrationspolitik", bestehend aus einem "großen Wurf, um die Demokratie zu stabilisieren". Er wiederholt seine Forderung, eine Integrationsgrenze festzulegen, sowie nach verstärktem Grenzschutz mit der Möglichkeit der Zurückweisungen. Dafür schließt Söder auch eine Grundgesetzänderung nicht aus. Für entscheidend hält er aber eine Absenkung der Sozialleistungen im Bereich der Migration, um die Anreize zu reduzieren, nach Deutschland zu kommen. Als Vorbild sieht Söder das Niveau der Sozialleistungen in Österreich.

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Markus Söder: Koalition ist "stehend k.o."

Und warum sollte Olaf Scholz jetzt plötzlich mit der Union regieren wollen? Da gibt sich Söder so überparteilich, dass man plötzlich auf den Gedanken kommen könnte, er wolle doch noch Bundespräsident werden, wie es vor einigen Tagen schon einmal gerüchteweise kolportiert wurde. Die Ampel sei "stehend k.o.", sagt Söder. Und dann: Er betrachte dies "eher mit Sorge, denn aus Parteiinteresse“. Da sei "keine Kraft mehr dahinter, null Zusammenhalt, null Vertrauen und null Autorität gegenüber der Bevölkerung". Ein Siechtum der jetzigen Regierung aber hätten "die Deutschen nicht verdient".

Was Söder nicht sagt, ist, wie begeistert CDU-Chef Friedrich Merz von diesem Vorschlag ist, und wie konkret er seinen Vorstoß eigentlich mit ihm besprochen hat. Denn Merz sitzt ja bislang als Oppositionsführer im Bundestag und müsste nun plötzlich den Kanzler unterstützen, dem er bislang in aller Regel Versagen vorgeworfen hat – und das alles ausgerechnet jetzt, wo die Umfragen die Union deutlich im Aufwind sehen? Erst am Donnerstag hatte Merz der Ampel-Koalition im Bundestag ihre Werte aus einer der letzten Erhebungen an die Köpfe geworfen: 14 plus 14 plus vier, macht 32. Genau so viel Prozentpunkte also, wie die Union derzeit allein erreicht. Und da soll Merz nun freiwillig als Minister und Vizekanzler in ein Kabinett Scholz eintreten?

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Söder behauptet, jetzt gehe es nicht um Parteiinteressen

Das aber sind für den CSU-Chef offenkundig Nebensächlichkeiten, angesichts der eigentlichen Dimension seines Vorschlags. Söder räumt ein, dass es Vorbehalte in der Union gebe, dass man bisher immer gesagt habe, "das können wir nicht machen". Aber aus seiner Sicht sei es "zwingend", dass die Union "auch bereit sei, Verantwortung zu übernehmen". Auch wenn die Umfragewerte die Union derzeit deutlich vorne sähen, gehe es jetzt "um die Demokratie, unser Land und die Handlungsfähigkeit".

In der Union gibt man sich überrascht. "Die Frage nach einer Großen Koalition stellt sich nicht", heißt es in der Fraktionsspitze. "Es gibt eine Bundesregierung." Söder konterkariere die Linie der Union, beschweren sich Christdemokraten hinter vorgehaltener Hand. Diese Linie war bislang: Wenn die Ampel scheitert, müsse es Neuwahlen geben. "Wenn sich diese Bundesregierung nicht zusammenrauft und zerbricht, geht kein Weg an Neuwahlen vorbei", hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann den Kurs vor einigen Tagen vorgegeben. 

Auch in Kreisen der CDU-Ministerpräsidenten wundert man sich über den Kollegen aus Bayern. Bei einem gemeinsamen Abendessen am Donnerstag, der traditionellen Zusammenkunft vor Bundesratssitzungen, sei auch Söder zugegen gewesen – er habe über dieses Manöver jedoch kein Wort verloren. Auch den Zeitpunkt des Vorstoßes halten sie in der CDU für unglücklich. Gerade gehen die eigenen Umfragewerte hoch, die der Bundesregierung stürzen ab.

Zudem liefe Söders Vorstoß doch darauf hinaus, dass Merz ins Kabinett gehen müsste, zum Beispiel als Wirtschafts- oder als Finanzminister. Wie aus der Rolle des Juniorpartners heraus dann aber 2025 ein erfolgreicher Wahlkampf gelingen sollte, ist fraglich. Die SPD unter Angela Merkel ist daran mehrfach gescheitert.

Ist das womöglich sogar ein Kalkül Söders? Seinen Rivalen um die Kanzlerkandidatur zu ärgern? Von einem Angebot an die Regierung, in einer Art fliegendem Wechsel in eine Große Koalition zu ziehen, war in der Führungsriege der Union jedenfalls nie die Rede, heißt es. Genauer müsste es heißen: fast nie. 

Denn in der CSU verweist man genüsslich darauf, dass es doch Merz gewesen sei, der kurz vor der bayerischen Landtagswahl auf dem CSU-Parteitag an die Adresse des Kanzlers zumindest mit Blick auf die Migration sagte: "Ich biete Ihnen an, lassen Sie uns das zusammen machen. Wir müssen dieses Problem lösen." Und wenn Scholz es mit den Grünen nicht hinbekomme, so Merz damals, "dann werfen Sie sie raus, dann machen wir es mit Ihnen".

Nicht nötig, heißt es aus der Kanzlerpartei. "Es ist ein nettes Angebot aus München, aber die Frage stellt sich nicht", sagt der bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz zum stern. Die Idee sei mit Merz offenbar nicht abgestimmt und "mal wieder ein populistischer Alleingang" Söders. "Somit sind das nur bayerische Nebelkerzen, die die Zusammenarbeit der Ampel in Frage stellen sollen", sagt Schwarz. Der Kanzler habe mit dem "Deutschlandpakt" die Hand zur Zusammenarbeit ausgestreckt, hier könne die Union ihr Interesse an einem Miteinander für das Land beweisen.

Wenn am Freitagnachmittag der Koalitionsausschuss der Ampel im Kanzleramt zusammenkommt, dürften Kanzler Olaf Scholz und seine Partner erst einmal amüsiert auf den Vorstoß Söders und die Reaktionen der Union blicken. Was der Kanzler vom Söder-Vorstoß halte, wurde sein Sprecher Steffen Hebestreit am Freitagvormittag gefragt. "Nichts", so die knappe Antwort.

Auf der anderen Seite, in der CDU, ist die Stimmung nicht so gut: "Eigentlich bräuchten wir der Ampel gerade nur beim Sterben zuschauen. Stattdessen beharken wir uns jetzt selbst wieder", formuliert es ein Christdemokrat aus der Fraktion.