Die Begrüßung im Oval Office war noch recht nüchtern. Mit einem geschäftsmäßigen Handschlag hieß US-Präsident George W. Bush am Freitagvormittag Bundeskanzlerin Angela Merkel im Weißen Haus willkommen. 45 Minuten unterhielten sich die beiden unter vier Augen. Anschließend war die Stimmung deutlich gelöster. Bush ließ auf der Pressekonferenz ein ganzes Feuerwerk von Komplimenten los. "Sie ist clever. Sie ist recht tüchtig. Sie hat Einstellungen, die sehr ansprechend sind. Sie liebt die Freiheit."
Am meisten berührte Bush die Biografie Merkels und ihr Lebensabschnitt im "kommunistischen Deutschland". Es sei erbauend gewesen von jemanden etwas über den Unterschied "zwischen Tyrannei und einem Leben in Freiheit" zu hören, der beides tatsächlich erlebt habe. Bush bewertete das Gespräch mit Merkel als "außerordentlich positiv". "Jetzt werde ich sie mit zum Essen nehmen", sagte er zum Abschluss der Pressekonferenz und führte seinen Gast zum "Old Family Dining Room".
Ein neues Kapitel?
Merkels verschwieg zwar ihre persönliche Eindrücke von Bush. In der positiven Bewertung ihres Antrittsbesuchs im Weißen Haus stand sie dem US-Präsidenten aber in nichts nach. Sie sprach von einem "offenen, freundschaftlichen und vertrauensvollen Gespräch". Damit werde "vielleicht auch ein neues Kapitel in den deutsch-amerikanischen Beziehungen" aufgeschlagen.
Das Programm für den Neuanfang im bilateralen Verhältnis, das in den vergangenen Jahren von heftigen Turbulenzen geprägt war, hatte Merkel bereits parat: Die Kontakte müssten intensiviert werden, und die Zusammenarbeit dürfe sich künftig nicht mehr auf den Anti-Terror-Kampf beschränken, sondern müsse Wirtschaft und Forschung stärker einbeziehen. Dass eine neue Ehrlichkeit zu ihrem Verständnis von guten Beziehungen gehört, hatte Merkel bereits kurz vor ihrer Abreise deutlich gemacht: Sie forderte, das US-Gefangenenlager Guantanamo zu schließen. Das Thema sei in ihrem Gespräch mit Bush offen zur Sprache gekommen, betonte die Kanzlerin. Es handele sich aber nur um eine Facette des Anti-Terror-Kampfes. Bush ließ sich von den Einwänden Merkels ohnehin nicht beeindrucken. "Guantanamo ist notwendig, um das amerikanische Volk zu schützen", sagte er.
"Jeder will Merkel treffen"
Merkel war bereits am Vorabend in Washington herzlich empfangen worden. An Prominenz mangelte es beim Begrüßungs-Dinner in der Residenz des deutschen Botschafters nicht. Neben Merkel nahmen der scheidende US-Notenbankchef Alan Greenspan und der Außenminister im ersten Kabinett Bush, Colin Powell, Platz. Gegenüber saß Madeleine Albright, die den selben Posten unter Bill Clinton hatte. Insgesamt 190 Gäste hatte der scheidende deutsche Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger, eingeladen. "Das ist die größte Anzahl, die wir jemals hier hatten", sagte er. "Jeder hier in Washington will die Bundeskanzlerin treffen." Offizieller Anlass des Dinners war eine Konferenz des American Council on Germany und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Zwischen Hauptgang und Dessert ergriff Merkel das Wort. Sie zeigte sich beeindruckt von dem "unglaublichen Empfang". "Ich bin zu Gast bei Freunden, das spüre ich", sagte sie.