Kurz vor dem Türkei-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sind die Differenzen zwischen beiden Ländern deutlich zutage getreten. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan lehnte in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit dem "Spiegel" Merkels Forderung nach einer Prüfung weiterer Sanktionen gegen den Iran ab. Die Kanzlerin forderte, die in Deutschland lebenden Türken sollten sich besser integrieren.
Die bisher verhängten Sanktionen gegen Teheran seien wirkungslos geblieben, sagte Erdogan dem Nachrichtenmagazin. Auf indirektem Wege kämen weiterhin Waren aus den USA und aus Deutschland in den Iran. Der türkische Regierungschef setzte sich für eine diplomatische Lösung ein. Der Iran habe jedenfalls im Gegensatz zu Israel und anderen Atommächten, die derzeit Druck ausübten, keine Atomwaffen, sagte Erdogan.
Merkel, die am Montag zum ersten Mal seit vier Jahren in die Türkei reisen wollte, sagte am Samstag in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft im Internet, wenn der Iran bei seinem Atomprogramm nicht Transparenz zeige, müsse über weitere Strafmaßnahmen gegen Teheran nachgedacht werden.
Die USA und ihre Verbündeten, insbesondere Israel, verdächtigen den Iran, unter dem Vorwand der zivilen Nutzung der Kernenergie an einer Atombombe zu bauen, und fordern eine Verschärfung der bereits gegen den Iran verhängten UN-Sanktionen. Die Türkei hat derzeit einen Sitz als nicht ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat.
In ihrer Videobotschaft bekräftigte Merkel außerdem ihre Forderung nach einer Integration der in Deutschland lebenden Türken. "Wir wollen, dass sich Menschen, die über viele Generationen bei uns leben, in dieses Land integrieren", sagte die Kanzlerin. Dabei gehe es nicht um "Assimilation oder die Aufgabe der eigenen Heimat". Es bedeute vielmehr Teilhabe am gesellschaftlichen Erfolg sowie am Arbeits- und Familienleben. "Das bedeutet natürlich, dass die deutsche Sprache erlernt wird und die deutschen Gesetze eingehalten werden", sagte Merkel.
Erdogan war zuvor mit seiner Forderung nach türkischen Gymnasien in Deutschland auf breite Ablehnung bei Politikern und Lehrern gestoßen. Merkel hatte dazu der "Passauer Neuen Presse" gesagt, Jugendliche mit türkischen Wurzeln sollten "bei uns in deutsche Schulen gehen".
Weiter umstritten zwischen beiden Ländern sind auch die künftigen Beziehungen der Türkei zur EU. Merkel lehnt eine EU-Mitgliedschaft des muslimisch geprägten Landes ab und bietet Ankara eine "privilegierte Partnerschaft" an. Eine solche Partnerschaft habe keine rechtliche Grundlage in der EU und existiere daher schlichtweg nicht, erklärte der türkische Europaminister Egemen Bagis am Samstag. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei laufen seit 2005, bislang wurden aber erst zwölf der 35 Beitrittskapitel eröffnet.
Die deutsche Wirtschaft machte sich für eine weitere Annäherung zwischen der EU und der Türkei stark. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Werner Schnappauf, forderte im "Handelsblatt" (Montagsausgabe) eine "emotionsfreie Diskussion" darüber. Schließlich entwickelten sich Deutschlands Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei "überdurchschnittlich gut", und das Land bleibe ein Wachstumsmarkt.