Die Aufregung war groß über den kleinen Nadelstich des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, Deutschland solle doch türkische Schulen errichten. Die Wahrscheinlichkeit allerdings, dass dies eine große Rolle bei dem Besuch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Montag und Dienstag in Ankara und Istanbul spielen wird, ist eher gering. Denn die eigentlichen politischen Probleme, die die Türkei und Deutschland miteinander haben, sind viel tiefgehender.
Der große Graben verläuft zwischen dem Wunsch des Nato-Partners Türkei, Vollmitglied in der Europäischen Union (EU) zu werden, und der seit Jahren bestehenden Skepsis von Merkel, ob die islamisch geprägte Türkei mit ihrer ganz anderen Kultur und Geschichte zur EU passt. So heißt es aus dem Kanzleramt: Die Bundeskanzlerin legt Wert darauf, dass die EU ihren Charakter durch weitere Beitritte nicht verliert.
Deshalb ist Merkel für eine "privilegierte Partnerschaft". Das heißt: Ja zu einer engen Anbindung der Türkei an die EU und eher Nein zur vollen Mitgliedschaft. Im Koalitionsvertrag von Union und FDP steht dazu: "Die 2005 mit dem Ziel des Beitritts aufgenommenen Verhandlungen sind ein Prozess mit offenem Ende."
Aus deutschen Regierungskreisen hieß es, die EU-Beitrittsverhandlungen würden unverändert ergebnisoffen geführt. Mit einer entsprechenden Zusicherung hatte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bei seinem Türkei-Besuch im Januar Kritik des Koalitionspartners CSU ausgelöst. Eine Vollmitgliedschaft der Türkei sei nicht möglich, erklärte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt damals.
Wirtschaft macht Druck
Merkel reist zum zweiten Mal als Kanzlerin in die Türkei. Seit ihrem Besuch im Oktober 2006 sind die Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen eher im Schneckentempo vorangekommen. Denn an einem der ganz wesentlichen Punkte hat sich kaum etwas geändert - am Zypern-Konflikt. Schon 2006 hieß es: Die Gespräche drohen in eine Sackgasse zu geraten, wenn Ankara bis Ende des Jahres seine Flug- und Schiffshäfen nicht für zyprische Flugzeuge und Schiffe öffnet. Ankara hat es nicht getan. Bis heute nicht.
Zypern ist seit 1974 in einen türkisch-zyprischen Teil im Norden und einen griechisch-zyprischen Teil im Süden geteilt. Seit 2008 laufen zwischen beiden Seiten Gespräche über eine Wiedervereinigung der Mittelmeerinsel - wieder einmal. Die Republik Zypern gehört bereits seit 2004 zur EU. Die Türkische Republik Nordzypern wird nur von der Türkei anerkannt. Die griechischen Zyprer wollen eine Aufnahme der Türkei in die EU solange blockieren, wie die Insel geteilt bleibt. Und auch Merkel lässt keinen Zweifel daran, dass alle EU-Mitgliedstaaten Zugang zu den Häfen ihrer Partner haben müssen.
Erdogan will sich auf keine Alternative zu einer Vollmitgliedschaft einlassen und sagt, sein Land komme bei den von der EU geforderten Reformen gut voran.
Die deutsche Wirtschaft macht sich hingegen für eine weitere Annäherung zwischen der EU und der Türkei stark. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Werner Schnappauf, forderte im "Handelsblatt" eine "emotionsfreie Diskussion" darüber. Schließlich entwickelten sich Deutschlands Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei "überdurchschnittlich gut", und das Land bleibe ein Wachstumsmarkt.
Streitthema Iran
Es gibt ein weiteres Streitthema zwischen Berlin und Ankara: der Iran und sein Atomprogramm. Unmittelbar vor Merkels Besuch sprach sich Erdogan gegen aus. Es seien schon mehrfach Sanktionen gegen das Land beschlossen worden, sagte der türkische Ministerpräsident dem "Spiegel". Letztlich ohne Erfolg, für den Streit müsse deshalb eine diplomatische Lösung gefunden werden. Alles andere bedrohe den globalen Frieden. Der Iran habe zurzeit keine Atomwaffen. Dagegen hätten die Länder, die Druck ausübten, selbst Atombomben. Merkel dagegen sagte in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft im Internet, wenn der Iran nicht endlich bei seinem Atomprogramm Transparenz zeige, werde man "auch über Sanktionen nachdenken". Der Iran steht im Verdacht, an der Entwicklung von Atomwaffen zu arbeiten. Die Islamische Republik weist dies jedoch zurück.