Mindestlohn-Erhöhung Olaf Scholz und der Mindestlohn: Was ist jetzt mit Respekt?

Olaf Scholz
Olaf Scholz setzte die Erhöhung des Mindestlohnes durch – und sich selbst hinweg über die Mindestlohnkommission
© Markus Schreiber/Pool AP/dpa
Eine Gehaltserhöhung für sechs Millionen Menschen nannte der Kanzler die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro nach der Wahl. Jetzt muss die Regierung erklären, warum sie zuschaut, wie die Inflation viel davon wieder auffrisst – und sie diesmal nicht eingreift.

Versprochen, gehalten. Da kann man nichts sagen. Olaf Scholz war der erste Spitzenpolitiker – schon lange vor seiner Kanzlerkandidatur – der eine Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro ins Spiel gebracht hatte. 2021 machte er damit Wahlkampf, 2022 wurde das Versprechen Wirklichkeit. Und der Kanzler wird seither nicht müde, immer wieder vorzurechnen, dass die Anhebung des Mindestlohnes eine Gehaltserhöhung für sechs Millionen Deutsche bedeutet habe. Sie war für den Sozialdemokraten Scholz quasi sein Respektsversprechen in konkret. Jetzt bringt ihn die Entscheidung von damals in Erklärungsnot.

Mindestlohn: Eine Erhöhung um fast 15 Prozent

Die nackten Zahlen klangen ordentlich: Die Erhöhung des Mindestlohnes bedeutete für einen Arbeitnehmer bei 40 Wochenstunden einen Gehaltssprung von 1811 auf 2080 Euro. Das machte knapp 15 Prozent Lohnerhöhung aus.

Dann kam die Inflation.

Die Preissteigerung 2022 lag bei knapp 8 Prozent, 2023 wird sie niedriger sein, trotzdem frisst sie große Teile der Mindestlohnerhöhung bis Ende des Jahres so gut wie auf. Das gilt erst recht für Niedrigverdiener, wenn man bedenkt, dass Lebensmittelpreise mit zweistelligen Zuwachsraten die Haupttreiber des Anstieges sind.

Jetzt aber hält sich der Kanzler raus. Eine Kommission aus Vertretern von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Experten hat entschieden, dass der Mindestlohn 2024 um 41 Cent steigen soll. Das sind 3,4 Prozent. Zum Vergleich: Im öffentlichen Dienst erhalten Angestellte einen steuerfreien Inflationsausgleich von 3000 Euro plus Lohnerhöhungen von mindestens 340 Euro.

Plötzlich hält die Politik sich raus

Die Gehaltserhöhung für sechs Millionen Arbeitnehmer im Mindestlohn, unter ihnen viele Ostdeutsche und Frauen, verflüchtigt sich hingegen immer mehr. Und Arbeitsminister Hubertus Heil hat schon angekündigt, die Empfehlung umzusetzen.

Was ist jetzt mit Respekt?

Zur Klarstellung: Ohne die Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro ginge es den Mindestlohnempfängern heute noch schlechter. Man kann ausschließen, dass die Erhöhung der Mindestlöhne allein durch die Kommission auch nur annähernd so hoch ausgefallen wäre wie durch die Entscheidung der Regierung. Aber wenn die Erhöhung Zeichen des Respekts für die Arbeitnehmer und Anerkennung für ordentliche Arbeit sein soll, muss dann nicht gewährleistet sein, dass Mindestlohnempfänger davon dauerhaft profitieren?

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Olaf Scholz hat eine Erwartung geweckt – jetzt bedient er sie nicht mehr 

Olaf Scholz setzte die Erhöhung des Mindestlohnes durch – und sich selbst hinweg über die Mindestlohnkommission, die seine langjährige politische Vertraute Andrea Nahles als Arbeitsministerin erst eingeführt hatte. Der Kanzler machte die Entscheidung zu einem Politikum. Jetzt aber will sich die Regierung nicht mehr einmischen, obwohl der Effekt ihrer eigenen Wohltat verpufft. Der Kanzler hat eine Erwartung geweckt, die er jetzt nicht mehr bedient.

Deshalb muss Olaf Scholz erklären, warum er den Mindestlohn einmal zu einer Sache der Politik gemacht hat, nun aber darauf verzichtet. Und warum er die Politisierung des Mindestlohnes im Wahlkampf für angemessen hielt, darauf aber verzichtet, wenn kein Wahlkampf ist.