Spätestens am Freitag muss Horst Köhler sagen, ob er dem Vorschlag von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) folgt und den Bundestag vorzeitig auflöst. Dann endet der Zeitraum von 21 Tagen, den die Verfassung dem Präsidenten nach einer für den Bundeskanzler verlorenen Vertrauensabstimmung einräumt. Offen ist, in welcher Form der Bundespräsident seine Entscheidung bekannt gibt.
76 Prozent erwarten von einer CDU/CSU-Regierung keine bessere Arbeit
73 Prozent der Bevölkerung halten eine Neuwahl für richtig. Dies ergab eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Nachrichtensenders n-tv (18. und 19. Juli/1001 Befragte). 81 Prozent der Befragten prognostizieren einen Regierungswechsel im Anschluss an die Wahl. Eine CDU/CSU- geführte Bundesregierung werde jedoch keine bessere Arbeit machen als Rot-Grün, glauben 76 Prozent der Bevölkerung. Zufrieden mit dem Wahlprogramm der Unionsparteien sind nur 27 Prozent, 43 Prozent zeigten sich enttäuscht.
Thierse für Selbstauflösungsrecht des Bundestags
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat sich für ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments ausgesprochen. Thierse sagte am Donnerstag im ZDF-Morgenmagazin, derzeit sehe das Grundgesetz nur den Weg der gescheiterten Vertrauensfrage vor. "Ich bin dafür, dass wir das ändern."
Zur Sicherheit könne für die Auflösung eine Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit verlangt werden, sagte der SPD-Politiker. Aber heute müsse niemand mehr Angst vor Weimarer Verhältnissen haben. Eine Verfassungsänderung müsse mit Bedacht vorgenommen werden: "Man sollte eine Grundgesetzänderung nicht Holterdipolter machen." Er plädiere dafür, darüber in der nächsten Legislaturperiode in aller Ruhe zu sprechen.
Thierse sieht der Entscheidung von Bundespräsident Köhler über die Auflösung des Bundestags relativ gelassen entgegen. Er sei "nicht wirklich nervös", sagte der Parlamentspräsident. "Ich habe Gelassenheit genug, auf den heutigen Tag, gegebenenfalls auf den morgigen Tag zu warten."
Köhler sei souverän in seiner Entscheidung, betonte Thierse. Das Staatsoberhaupt könne eine Neuwahl im Herbst verhindern. "Er ist frei - er kann auch gegen die Stimmung im Lande entscheiden." Wenn der Bundespräsident Nein sage, gebe es aber eine andere Situation als vor der Vertrauensfrage von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 1. Juli. Dann müssten auch Union und FDP beispielsweise im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat bedenken, dass sie noch ein Jahr mit Rot-Grün auskommen müssten.

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Merkel: "Wahlkampf für ein Land"
Trotz der Unsicherheit ist der Wahlkampf schon weit voran geschritten. In der Union hat Kanzlerkandidatin Angela Merkel einen speziellen Ost-Wahlkampf abgelehnt. "Wir führen einen Wahlkampf für ein Land", sagte die CDU-Vorsitzende der "Financial Times Deutschland" (Donnerstag). Angesichts hoher Umfragewerte für die Linkspartei im Osten war in der CDU zuvor ein Streit über das Für und Wider eines mehr auf Ostdeutschland abgestimmten Wahlkampfs ausgebrochen.
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Donnerstag): "Jede Absonderung sollten wir vermeiden." Es gehe darum, die Vorzüge des CDU-Programmes zu verdeutlichen. "Das müssen wir in Brandenburg anders vermitteln als in Niedersachsen, aber die Botschaft bleibt die gleiche."
Parteienforscher haben die Union vor einem Sonderwahlkampf in Ostdeutschland gewarnt. "Es wäre nicht klug, wenn die CDU in Ost und West mit unterschiedlichen Programmen Wahlkampf führen würde", sagte der Bremer Politikwissenschaftler Prof. Max Kaase dem "Münchner Merkur" (Donnerstag). Stattdessen müsse die CDU in Ostdeutschland ihre Präsenz erhöhen. "Das funktioniert jedoch nicht über die Herausstellung von Angela Merkel. Sie ist inzwischen eine gesamtdeutsche Politikerin."
SPD-Linke sieht große Koalition als Option
Die SPD-Linke schließt indes eine große Koalition nach der Bundestagswahl nicht aus. "Regieren ist immer besser", sagte Fraktionsvize Michael Müller, der Sprecher der Parlamentarischen Linken, der "Berliner Zeitung" (Donnerstag). Er habe keinerlei Sehnsucht nach Opposition. "Natürlich ist es so, dass eine Koalition immer mit Kompromissen verbunden ist", fügte er hinzu. "Aber der Maßstab für alle in der SPD sollte sein, ob es wenigstens schrittweise in die richtige Richtung geht."
DPA