Mordprozess Im Räderwerk

Die Beweislage war dürftig, das Verfahren offensichtlich nicht rechtsstaatlich. Dennoch wurde Dana Gerlich wegen Mordes an ihrem Vater im arabischen Oman zu lebenslänglich verurteilt und ausgeliefert. Die deutsche Justiz bestätigte den Richterspruch.

Der Kampf mit den Kakerlaken ist vorbei, auf dem Essen hocken keine Fliegen. Sie schläft auch nicht mehr auf dem Boden oder teilt sich eine 36 Quadratmeter große Zelle mit 20 Frauen, deren elf Kindern und zahllosen Katzen. Nachts werden keine Asiatinnen mehr zu "Verhören" abgeholt, von denen sie heulend, aber mit einer Schachtel Zigaretten zurückkehren. Verglichen mit dem Gefängnis im Sultanat Oman ist die Justizvollzugsanstalt Chemnitz harmlos. Wenn da nicht das Urteil wäre.

Im Juli 2004 wurde die Physiotherapeutin Dana Gerlich, 31, in Maskat, der Hauptstadt des Oman, zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie habe, so der Richterspruch, gemeinsam mit ihrem omanischen Freund Fawsi al-Ghimari zwei Mörder gedungen, um ihren Vater umbringen zu lassen. Das Pärchen, so die Richter, wollte Vater Manfred bestrafen, weil der seine Frau verlassen und ein "illegitimes Verhältnis É mit einer Frau gehabt hat, die ein illegitimes Kind zur Welt brachte". Außerdem habe Manfred Gerlich die Beziehung zwischen seiner Tochter und dem Omani missbilligt.

Zur dürftigen Motivlage passte das haarsträubende Ermittlungsverfahren (stern Nr. 21/2004). Dana Gerlichs Anwalt, der sich ohnehin nicht sonderlich für den Fall interessierte, war mit den ermittelnden Beamten befreundet. Und wenn er Dana Gerlich im Zentralgefängnis besuchte, war immer ein Aufpasser dabei. "Allein mit meinem Anwalt habe ich in der ganzen Zeit nie geredet", sagt die Verurteilte. Sie musste Protokolle in arabischer Schrift unterschreiben, die sie nicht verstand. Vor allem aber: In der Hauptverhandlung zogen zwei Zeugen, die Dana Gerlich schwer belastet hatten, ihre Aussage zurück. Ihre Geständnisse hätte die Polizei mit Folter erzwungen. Die Richter glaubten ihnen nicht.

Bald nach dem Schuldspruch

begannen Verhandlungen darüber, die junge Deutsche aus dem Zentralgefängnis Al Rumais nach Deutschland zu überstellen. Bei einem Staatsbesuch im März 2005 konnte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den omanischen Sultan dazu bewegen, die Frau abzuschieben. Die Bedingung: Die Verurteilte müsste "mindestens fünf Jahre ihrer Strafe in Deutschland" absitzen. Über eine längere Strafe könnten dann "deutsche Gerichte entscheiden", verfügte der Sultan.

Weil es zwischen dem Oman und der Bundesrepublik kein Auslieferungsabkommen gibt, handelte das Auswärtige Amt - wie in solchen Fällen üblich - die Modalitäten in einem "memorandum of understanding" aus. Das Landgericht Chemnitz sollte die omanische Strafe anerkennen und Dana Gerlich zustimmen, sie in Deutschland zu verbüßen. Dieses "unwiderrufliche Einverständnis" unterschrieb sie dem deutschen Botschafter im Oman.

So weit die juristischen Formalitäten. Nun aber passierte Unerwartetes: Die Strafvollstreckungskammer Chemnitz, die noch nie einen Knast im Oman auch nur von außen gesehen hat, kam im Juni 2005 bei einem Prüftermin zu dem Ergebnis: "Die Haftbedingungen im Oman weichen nicht wesentlich von denen in Deutschland ab." Die Kammer wandelte die Strafe "im Verhältnis 1:1" in deutsches Recht um, das omanische Lebenslänglich war nun ein deutsches.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Seit Oktober 2005 sitzt Dana Gerlich in Chemnitz, und wenn nicht ein Wunder geschieht, wird sie dort noch bis zum Jahr 2019 sitzen. Das juristische Kuriosum: Rechtsmittel gegen den Beschluss der Chemnitzer Strafvollstreckungskammer hat sie nicht. "Juristisch", sagt Oberstaatsanwalt Vogel, "ist der Fall abgeschlossen." Er verweist auf die Möglichkeit des Widerspuchs nach der Urteilsverkündung im Oman. Eine Woche lang habe sie damals nach dem Richterspruch Zeit gehabt. "Wie denn?", fragt Dana Gerlichs Berliner Anwalt Said Kuhlig. "Hätten wir damals Widerspruch eingelegt, hätten die Omanis sie nicht ausreisen lassen." Dass Dana Gerlich mit ihrer Unterschrift unter das "unwiderrufliche Einverständnis" und den Verzicht auf Widerspruch praktisch ihre Schuld eingestanden und nun keine Rechtsmittel mehr hat, "das verbittert mich tief".

Sie könne ja, sagt Oberstaatsanwalt Vogel salopp, beim sächsischen Ministerpräsidenten ein "Gnadengesuch" einreichen. Dann hätte sie Chancen, in ein paar Jahren freizukommen. Das aber will sie nicht, "denn das würde ja bedeuten, dass ich meine Schuld eingestehe".

Darf ein deutsches Gericht ein ausländisches Urteil anerkennen, von dem es nicht weiß, wie es zustande gekommen ist? Darf der Bundeskanzler oder das Auswärtige Amt einem ausländischen Staat versprechen, die Strafe werde in Deutschland vollstreckt? Ist es zulässig, dass gegen diese Strafe in Deutschland dann keine Rechtsmittel mehr eingelegt werden können?

Das Auswärtige Amt, das in diesem Streit zwischen Baum und Borke steckt, wehrt sich: Wie sollen wir in Zukunft noch Deutsche aus ausländischen Gefängnissen herauskriegen, wenn sich Deutschland nicht an die getroffenen Vereinbarungen hält? Wenn sich herumspricht, dass deutsche Straftäter schnell wieder freikommen, wenn sie erst einmal in der Heimat sind - wer lässt dann noch Häftlinge frei?

Ganz geheuer scheint auch der sächsischen Justiz die Sache nicht zu sein. Anwalt Kuhlig bekam monatelang keine Akteneinsicht, jetzt werden ihm ab und zu Unterlagen zugeschickt. Wenn er sich beschwert, sie seien nicht vollständig, findet man nach langem Suchen immer wieder ein paar Blatt. Vollständig sind die Prozessakten bis heute allerdings nicht bei ihm eingetroffen. Zudem, so klagt er, wurden die Seiten nachträglich neu nummeriert.

Bis heute bleibt der ganze Mordfall rätselhaft: Ende November 2003 reist Manfred Gerlich nach Maskat, wo seine Tochter eine kleine Praxis als Physiotherapeutin aufgebaut hat. Die beiden wollen ihr angespanntes Verhältnis, das unter den Liebschaften des Vaters gelitten hat, wieder reparieren. Am Vormittag des 1. Dezember 2003 macht sich der Lkw-Mechaniker zu Fuß an den Strand auf. Mittags wird er auf offener Straße erschossen. Anhand der ballistischen Untersuchung gelangt die Polizei schnell zum Besitzer der Tatwaffe, dem damals 38-jährigen Ma'moun al-Ghassani, und seinem gleichaltrigen Komplizen Ali al-Noubi. Die beiden legen nach zehn Tagen Haft ein umfassendes Geständnis ab: Sie hätten für ein Honorar von 30000 Rial (rund 66000 Euro) den Deutschen erschossen. Den Auftrag dazu hätten ihnen Dana Gerlich und deren Freund Fawsi al-Ghimari über einen ebenfalls geständigen Mittelsmann gegeben.

Während die beiden Mörder in Maskat ihre Geständnisse ablegen, besucht Dana Gerlich ihre Mutter in Chemnitz, im Gepäck die Urne mit der Asche des Vaters. Kurz vor Weihnachten 2003 ruft die Polizei Chemnitz bei Dana Gerlichs Mutter an und informiert sie, dass die beiden Mörder ihres Ex-Mannes im Oman gefasst worden seien. Dana Gerlich fliegt zurück nach Maskat. Noch auf dem Flughafen Seeb wird sie festgenommen. Dana Gerlich kommt in U-Haft, schläft fünf Monate auf dem Betonboden.

Der Ankläger wirft ihr vor,

sie habe ihren Vater zum Tatort gefahren und dort seinen Mördern ausgehändigt. Dass sie, wie sie sagt, an jenem Morgen um 8.45 Uhr zur Arbeit gegangen sei und bis 11.30 Uhr einen Kunden gehabt habe, den man als Zeugen hätte vorladen können, interessiert das Gericht nicht. Auch der Fahrer, der sie zum Kunden fuhr, wird nicht vorgeladen. Und niemand fragte sich, warum eine mutmaßliche Vater-Mörderin an den Tatort zurückkehrt und sich selbst ausliefert. Dana Gerlichs Freund Fawsi al-Ghimari bestreitet ebenfalls, in das Komplott verwickelt zu sein. Der querschnittsgelähmte Fernsehregisseur hatte Dana bei einer Kur im Erzgebirge kennen gelernt, die beiden verliebten sich und zogen zusammen in den Oman.

Al-Ghimari soll, so das Gericht, zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts gewesen sein - das belegen die Daten der omanischen Mobilfunkgesellschaft Omantel. Tatsächlich ist die Relaisstation, die den Anruf protokolliert hat, in Reichweite seines Büros. Fawsi behauptet, er sei immer im Büro geblieben. Wäre es dem Pförtner nicht aufgefallen, wenn ein Gelähmter in seinem Rollstuhl den Sender verlassen hätte? Der Pförtner wird vom Gericht nicht befragt, der Radius der Relaisstation nicht untersucht.

Die Anzahl der Merkwürdigkeiten ist schon groß genug, da widerrufen im überfüllten Gerichtssaal von Maskat zwei der drei Geständigen ihre Aussagen: Man habe sie mit Folter zu Geständnissen gezwungen. Im Urteil kommen die Richter später jedoch zur Überzeugung, die Widerrufe und die Foltervorwürfe seien unglaubwürdig. Außerdem gebe es "keine medizinischen Gutachten", die die Folter bewiesen hätten.

Kein Wunder: Gutachten wurden weder angefordert noch zugelassen. Die Frage, woher das verschuldete Paar - es hatte gerade Kredite aufgenommen, um ein Haus zu kaufen - sich die 66000 Euro für den Mord hätte beschaffen können, wurde genauso wenig untersucht wie die Frage, wo das Geld geblieben sein könnte.

Für Dana Gerlichs Anwalt Said Kuhlig geht es jenseits von Schuld und Unschuld nun "um Fragen, die den Nerv des Rechtsstaates berühren. Bei uns gilt der Grundsatz ,in dubio pro reo", im Zweifel für den Angeklagten". Im omanischen Verfahren aber sei "systematisch alles, was meine Mandantin entlastet hat, ignoriert worden. Für die Behörden dort war sie schuldig, vom Tag ihrer Verhaftung an".

Seit sie in Chemnitz einsitzt, fragt sich der Anwalt: Ist ein Urteil in Deutschland vollstreckbar, das womöglich auf Geständnissen beruht, die mit Folter erpresst wurden? Um das zu klären, will Kuhlig notfalls bis vors Verfassungsgericht ziehen.

Dana Gerlich selbst weiß inzwischen nicht mehr so recht, ob es schlau war, in den Rechtsstaat Deutschland zurückzukehren. "Wäre ich im Oman geblieben, wäre ich vielleicht schon wieder draußen." Ihr Freund Fawsi al-Ghimari, mit dem sie einmal im Monat telefoniert, wurde kürzlich entlassen. Sein Lebenslänglich dauerte knapp zwei Jahre. Er steht (noch) unter Hausarrest.

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