Als der Düsseldorfer Paul Spiegel vor gut sechs Jahren in das Amt des Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland gewählt war, nannte er in ersten Interviews spontan seine Hauptaufgabe: Die Integration der nach Deutschland einwandernden, ihrer religiösen Identität oft genug entwurzelten Juden vor allem aus der Ex-Sowjetunion stehe für ihn im Mittelpunkt. Dieser immensen Aufgabe, die bis heute eine wahre Herkules-Arbeit ist, wird sich auch der Amtsnachfolger des am Sonntag gestorbenen Präsidenten stellen müssen.
Durchschnittlich gut 80 Prozent der derzeit 110.000 Juden in den 102 jüdischen Gemeinden haben ihre Wurzeln im Osten. Das Geld ist knapp, ebenso die Zahl gut ausgebildeter, möglichst russisch-sprachiger Mitarbeiter und Rabbiner. Trotz immenser Probleme sei jedoch die Aufnahme der Neulinge zweifellos "eine der Erfolgsstorys in Deutschland", heißt es in Spiegels Düsseldorfer Heimatgemeinde: Wer hätte schon je negative Schlagzeilen über diese rund 90.000 Zuwanderer seit dem Ende des Ostblocks gelesen? Gleichwohl bleiben in vielen Gemeinden zahlreiche Zentrifugalkräfte zwischen den meist älteren, alteingesessenen Mitgliedern und den "Russen".
Kern wird als Nachfolger gehandelt
Von Insidern wird am ehesten Zentralrats-Vizepräsident Salomon Korn als der "natürliche" Nachfolger Spiegels gesehen, der die schwierigen Aufgaben der Zukunft übernehmen könnte. Der 1943 in Polen geborene Frankfurter Architekt und Akademiker vereinige Elan mit Intellekt, heißt es. Er war bereits nach dem Tod von Ignatz Bubis als oberster Repräsentant der Juden im Gespräch. Mehr als ein Jahrzehnt älter als Korn ist Vizepräsidentin Charlotte Knobloch (München), was ihre Wahlchancen deutlich mindern dürfte.
Kaum jemand rechnet damit, dass aus den Reihen der jüngeren Generation, wo zum Beispiel in Frankfurt oder München ebenfalls "fähige Leute" gesehen werden, binnen weniger Monate Kandidaten für das wichtige Amt aufgebaut werden können.
Situation der jüdischen Gemeinschaft stabilisiert
Zweifellos hat sich die Situation der immer wieder von antisemitischen Untaten und Reden geschockten jüdischen Gemeinschaft in Deutschland in der Ära Spiegel weiter stabilisiert, haben Juden zunehmend die sprichwörtlichen Koffer ausgepackt, stimmen Synagogen-Neubauten in vielen Städten optimistisch.
Der Abschluss des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik und dem Zentralrat als längst überfälliges Zeichen staatlicher Anerkennung gehört - als kräftiges Symbol mit Außenwirkung - zu den wichtigsten Kapiteln im Wirken Paul Spiegels. Durch die in der nicht-jüdischen Öffentlichkeit kaum bemerkte und erst kürzlich geglückte Integration der liberalen Gemeinden unter das Dach des Zentralrats konnte schließlich eine drohende Spaltung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland verhindert werden.

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Dennoch: Wer immer dem konzilianten "Brückenbauer" Spiegel im Amt des Zentralratspräsidenten nachfolgt, der braucht nicht nur die Kraft eines Herkules - sondern auch die Weisheit Salomons.