Nach Seehofers Äußerungen Zuwanderungsdebatte spaltet weiter die Koalition

Die Zuwanderungsdebatte spaltet weiter Koalition und Gesellschaft. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte zwar am Wochenende ebenso wie CSU-Chef Horst Seehofer ein härtere Gangart bei der Integration. Die CDU-Vorsitzende sprach sich aber auch für die Zuwanderung von Spezialisten aus.

Die Zuwanderungsdebatte spaltet weiter Koalition und Gesellschaft. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte zwar am Wochenende ebenso wie CSU-Chef Horst Seehofer ein härtere Gangart bei der Integration. Die CDU-Vorsitzende sprach sich aber auch für die Zuwanderung von Spezialisten aus. Ihre Bildungs- und ihre Arbeitsministerin wollen ebenfalls mehr Fachkräfte ins Land holen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf Seehofer vor, den Boden für den Rechtsextremismus zu bereiten.

Merkel sagte, Zuwanderer müssten die deutschen Gesetze und die deutsche Sprache beherrschen. Den "Multikulti-Ansatz" erklärte die Kanzlerin für "absolut gescheitert". Bundespräsident Christian Wulff habe aber recht mit seiner Aussage, dass der Islam heute zu Deutschland gehöre. "Wer ignoriert, dass hier 2.500 Imame in Moscheen ihre Gottesdienste abhalten, der lügt sich in die Tasche", sagte die Kanzlerin auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Potsdam.

Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer untermauerte seine Positionen mit einem Sieben-Punkte-Plan zur Integration. Laut "Focus" beharrt der bayerische Ministerpräsident darauf, dass Deutschland kein Zuwanderungsland sei. Auch könne ein prognostizierter Fachkräftemangel "kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sein", schrieb Seehofer. Nach seiner Ansicht sollte es keine Aufweichung der restriktiven Regeln des geltenden Zuwanderungsgesetzes geben.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan hielt Seehofer entgegen: "Nicht Einwanderung muss uns aufregen, sondern Auswanderung aus Deutschland. Wenn wir dagegen nichts tun, wird sich der Fachkräftemangel zur größten Wachstumsbremse entwickeln", mahnte die CDU-Politikerin.

Ähnlich äußerte sich auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Sie will die Hürden für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland senken, um den Fachkräftemangel in Deutschland zu bekämpfen. Die Wirtschaft brauche Fachkräfte aus dem Ausland. "Allerdings warten diese Hochqualifizierten nicht in Scharen an den Grenzen", sagte die Ministerin. "Wir müssen uns schon um sie bemühen."

Rückendeckung bekam Seehofer vom niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann. Der CDU-Politiker forderte eine Diskussion "ohne Scheuklappen" und verlangte: "Grundsätzlich darf Zuwanderung, ausgenommen die Aufnahme von politisch Verfolgten, die sozialen Sicherungssysteme nicht belasten." Zwischen 1971 und 2000 sei die Zahl der Ausländer in Deutschland von drei Millionen auf etwa 7,5 Millionen gestiegen. Die Zahl der erwerbstätigen Ausländer sei aber annähernd konstant bei etwa zwei Millionen geblieben.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf Seehofer vor, mit seinen Aussagen zur Einwanderung dem Rechtsextremismus den Boden zu bereiten. "Es gibt schon seit langem ein rechtsextremes Potenzial in Deutschland. Daher ist es schäbig und stärkt diese Kräfte, wenn ein Demokrat wie Horst Seehofer anfängt, solches Gedankengut hoffähig zu machen", sagte Trittin. Er forderte, Neuzuwanderern die Aussicht auf eine rasche Einbürgerung zu bieten: "Wir brauchen eine Kultur, die Migranten - auch muslimische Migranten - nicht abschreckt."

Unterdessen ergab eine Umfrage, dass eine Mehrheit der Deutschen Seehofers Aussage zustimmt, wonach "Zuwanderer aus der Türkei und arabischen Ländern mit der Integration größere Schwierigkeiten haben als Zuwanderer aus anderen Ländern". In der TNS-Emnid-Umfrage für den "Focus" schlossen sich 54 Prozent der Bevölkerung der Einschätzung an. 35 Prozent lehnten sie ab. Seehofers Aussage, dass Deutschland keine "zusätzliche Einwanderung aus der Türkei und den arabischen Ländern" braucht, schlossen sich 47 Prozent der Befragten an, während sie 44 Prozent ablehnten. Die Meinungsforscher befragten 1.000 repräsentativ ausgewählte Personen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Bundesinnenminister Thomas de Maizière sammelt derzeit in den Ländern Informationen über Fälle von Integrationsverweigerung und deren Folgen. Der Sprecher des Innenministeriums, Stefan Paris, sagte, vorrangig solle ermittelt werden, wie die 16 Länder reagiert haben, wenn Migranten zu Integrationskursen nicht erschienen sind, die Teilnehme verweigert oder die Kurse abgebrochen haben. Laut Gesetz sind in solchen Fällen Sanktionen von Kürzung der staatlichen Leistungen bis hin zur "Aufenthaltsverkürzung" möglich.

Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels forderte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt: "Die deutsche Wirtschaft braucht die Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften." Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, mahnte, inzwischen fehlten der Wirtschaft rund 400.000 Ingenieure, Meister und gut ausgebildete Fachkräfte. Deutschland verzichte dadurch jährlich auf rund 25 Milliarden Euro Wertschöpfung.

APN
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