Herr Kirsch, was erwartet der Bundeswehrverband, wenn heute der Kundus-Untersuchungsausschuss Ex-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Ex-Staatssekretär Peter Wichert zu der Luftoperation hört, bei der durch die Bundeswehr in Afghanistan Zivilisten und Kinder getötet worden sind?
Wir erwarten Aufklärung darüber, weshalb der Verteidigungsminister zunächst zur Einschätzung gekommen ist, dass der Angriff angemessen gewesen sei und dass Oberst Klein richtig gehandelt habe, um die ihm anvertrauten Soldaten zu schützen. Kurze Zeit später nannte er ihn nicht angemessen. Wie es heißt, hätten ihm bestimmte Berichte nicht vorgelegen. Was tatsächlich geschehen oder nicht geschehen ist, können wir bisher von außen nicht beurteilen. Ich hoffe, wir erfahren jetzt endlich genau, was geschehen ist und was die Hintergründe der so unterschiedlichen Urteile waren.
Von Ihnen stammt schon in einer sehr frühen Phase ein markantes Urteil zu dem Vorgang. "Wir müssen auch töten, um uns zu schützen." Stehen Sie weiter dazu, obwohl inzwischen für die Politik unstrittig ist, dass die Bundeswehr in Kundus durch ihren Oberst Georg Klein falsch entschieden hat?
Oberst Klein hat militärisch entschieden. Aufgrund eines Aufklärungsergebnisses ist er davon ausgegangen, dass sich dort viele Taliban befinden, die zuvor den Lastwagenfahrern die Köpfe abgetrennt hatten. Und er musste, bei allem, was mir bekannt ist, davon ausgehen, dass die Lastwagen von den Taliban als fahrende Bomben eingesetzt werden könnten. Das hat ihn zu der militärischen Entscheidung veranlasst, diese Taliban präventiv zu bekämpfen.
Aber Klein hat, um die Bomber zur Aktion zu zwingen, "Feindkontakt" vorgetäuscht. Das ist doch ein klarer Bruch der Einsatzregeln gewesen.
Ich halte präventives Handeln für richtig, wenn wir wissen, es sind Taliban. Das ist unser Gegner, der uns dort jeden Tag bekämpft. Militärisch bietet Afghanistan ein sehr unterschiedliches Bild. In Kundus, wo wir jeden Tag im Gefecht stehen, wo unsere Frauen und Männer Tod und Verwundung erleben, und selber töten müssen, da ist Krieg.
Weshalb hat der Verteidigungsminister kein so klares Meinungsbild wie Sie? Weil er von militärischen Operationen nichts versteht?
Dazu müssen Sie den Verteidigungsminister persönlich befragen.
Wir befragen Sie nach der so unterschiedlichen Bewertung des Vorgangs, der mal militärisch angemessen genannt wurde und dann unangemessen.
Wir müssen eben abwarten, wie die veränderte Auffassung begründet wird. Das werden wir am 22. April erfahren, wenn der Minister selbst vor dem Ausschuss aussagt. Dann werden wir erfahren, was tatsächlich passiert ist.
Aber Schneiderhan und Wichert sind von zu Guttenberg bereits gefeuert worden. Warum?
Ich kenne Herrn Schneiderhan und Herrn Wichert als außerordentlich gewissenhafte Menschen. Daher kann ich mir nicht erklären, weshalb sie bestimmte Papiere nicht vorgelegt haben sollen. Aber der Minister kann sich jederzeit von politischen Beamten und Generalen trennen, denen er nicht mehr vertraut. Er hat in einer Talkshow zunächst von "Unterschlagung" von Dokumenten gesprochen, sich aber unmittelbar danach wieder korrigiert. Jetzt warten wir mal schlicht ab, was am Ende im Ausschuss rauskommt.
Vielleicht wollte der neue adelige Superstar der deutschen Politik nur seine guten Umfragewerte retten?
Ach, wissen sie, es ist doch zu begrüßen, dass wir jetzt einen Verteidigungsminister haben, der in der Öffentlichkeit auch akzeptiert wird. Schauen sie sich doch die Umfragewerte an, auch wenn er jetzt auch durch ein schwieriges Fahrwasser muss. Er ist der erste Verteidigungsminister, der die Dinge in Afghanistan klar beim Namen genannt hat. Mit ihm war Schluss mit der Rumeierei, die wir vorher hatten.
Er hat doch mitgeeiert. Mal gesagt "militärisch angemessen," dann "unangemessen."
Ich bleibe dabei, auch wenn sie sich noch so oft wiederholen: Dazu müssen sie den Minister befragen.

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Der Minister hat soeben recht freundliche Worte für Herrn Schneiderhan gefunden und gesagt hat, er nehme den Vorwurf zurück, dass Schneiderhan und Wichert ihm Informationen vorenthalten hätten? Sollte das vielleicht potentielle Angriffe der Entlassenen auf den Minister im Ausschuss abmildern? Ist das ein Rückzug?
Ich betrachte das als erhebliche Relativierung.
Schon ist davon die Rede, Schneiderhan könne künftig ja repräsentative Aufgaben für die Bundeswehr übernehmen? Sind Sie dafür?
Davon habe ich noch nichts gehört. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass Herr Schneiderhan sich dafür zur Verfügung stehen will. Er hat ja bei seinem Zapfenstreich gesagt, dass er sich auf seine Familie und seine Rolle als Großvater sehr freut.
Wichert scheint der Meinung zu sein, dass die von zu Guttenberg später eingeräumte Fehleinschätzung von Kundus in der eigenen Verantwortung des Ministers liege. Sie auch?
Das kann ich nicht beurteilen. Dass da bei den Betroffenen eine hohe Enttäuschung herrscht, muss man verstehen.
Zwei Generäle der Bundeswehr sollen jetzt soeben vor dem Ausschuss ausgesagt haben, nach dem Kundus-Einsatz habe ein absolutes Informationschaos geherrscht. Wichtige taktische Einschätzungen sollen nicht dort angekommen sein, wo man sie benötigt hätte. Erste Meldungen aus Kundus sollen geschönt worden sein, indem man die getöteten Zivilisten herausfrisierte. General Glatz räumte selbst ein "schlechtes Bauchgefühl" ein.
Dass es ein hohes Defizit bei der Abarbeitung der Informationen nach dem Vorgang bei Kundus gegeben hat, ist unbestreitbar. Man muss genau prüfen, weshalb das Kommunikations-Wirrwarr entstanden ist. Aber ich finde, dass die Abgeordneten, die derartiges aus vertraulichen Sitzungen heraustragen, ein übles Spiel mit dem Vertrauen der Soldaten spielen, die dort aussagen. Wenn etwas geheim ist, dann muss es auch geheim bleiben.
Wenn Sie nach vorn blicken: Was wünschen Sie sich für die Soldaten im Afghanistan-Einsatz?
Ich wünsche mir, dass die Menschen in der Bundesrepublik zur Kenntnis nehmen, welch schwierigen Auftrag die Soldaten in Afghanistan meistern müssen.
Das Töten von Zivilisten und Kindern kann nicht akzeptiert werden.
Jedes Kind, jeder Zivilist, der dort getötet wird, ist zuviel.
Ulrich Kirsch, 58
Philipp Guelland/DDP ... ist Oberst des Heeres der Bundeswehr und seit Anfang 2009 Chef des Bundeswehrverbandes, der Interessenvertretung der Soldaten.