Olaf Scholz ist in diesen Tagen in dreifacher Ausführung zu erleben. Selbstkritisch, staatsmännisch, sogar ein wenig kämpferisch. Die zurückhaltende Moderatorenrolle im Ampel-Theater hat der Kanzler erstmal abgelegt. In seiner Koalition wird zwar immer noch gegeneinander ausgeteilt. Aber Scholz scheint begriffen zu haben, dass er nicht immer abwarten kann, bis jeder ideologische Streit in seiner Koalition ausgetragen ist und sich der Rauch verzogen hat. Der Kanzler tritt jetzt offensiver nach vorn, will sich zurückkämpfen. Das muss er auch. Seine Kanzlerschaft steht auf der Kippe.
Kurz vor der Bundestagswahl 2021 wurde eine interessante Umfrage erhoben. Die Frage lautete: Von wem würden Sie am ehesten einen Gebrauchtwagen kaufen? Scholz genoss unter den drei Anwärtern auf das Kanzleramt diesbezüglich das größte Vertrauen. Mittlerweile würde er wohl auf einem Großteil seiner Karosserien sitzen bleiben. Scholz ist unbeliebter als alle Kanzler vor ihm, die daraufhin vermessen wurden, die wenigsten sind mit seiner Arbeit zufrieden. Der Kanzler hat in den vergangenen zwei Jahren viel Vertrauen verspielt.
Scholz versucht es zurückzugewinnen. Aber ist mit ihm wirklich noch zu rechnen?
Scholz gibt sich selbstkritisch – und kämpferisch
Nach dem Jahreswechsel schlug er zunächst einen für ihn neuen Ton an. In einem ausführlichen Gespräch mit der "Zeit" ließ er Selbstkritik anklingen. Wer wollte, konnte aus seinen Antworten sogar lesen: Ich habe verstanden, so geht es nicht weiter.
Wenig später inszenierte er sich beim SPD-Europaparteitag als weitsichtiger Weltpolitiker, der die Militärhilfen für die Ukraine nicht abreißen lässt – und sie notfalls auch persönlich bei den europäischen Partnern eintreibt, die in seinen Augen viel zu wenig leisten. Einst als Zauderer und Zögerer verschrien, gibt Scholz nun den Anführer.
Zuletzt hat er sich in einer kämpferischen Bundestags-Rede an der "Mimose" Friedrich Merz abgearbeitet. Die scharfen Worte waren zwar an die Opposition gerichtet, der Auftritt galt aber seiner SPD-Fraktion. Sie hatte sich diesen Kanzler immer wieder gewünscht und ihn immer deutlicher eingefordert.
Olaf Scholz wäre gut beraten, seinen neuen Sound beizubehalten
Scholz hat einen Stilwechsel angedeutet, hinter den er nicht mehr zurückkann, ohne als Wendehals dazustehen. Er wäre gut beraten, seinen neuen Sound beizubehalten. Selbstkritisch, staatsmännisch, kämpferisch: Für den Dreiklang dürften die Wähler empfänglicher denn je sein. In diesem noch jungen Jahr, auf dessen Verlauf aber viele Menschen sorgenvoll blicken – auch viele Sozialdemokraten. Denn läuft es schlecht, droht eine Reihe von Niederlagen für die Kanzlerpartei. Und mit jeder Schlappe könnte die Autorität von Scholz leiden.
Ausgerechnet von den heraufziehenden Schreckensszenarien könnte der Kanzler allerdings auch profitieren. Beim Kampf gegen den drohenden Rechtsruck bei den Kommunal- und Landtagswahlen, der allen voran seine Genossen mobilisieren dürfte, dürfte er sich an die Spitze setzen. Durch die entschlossene Unterstützung für die Ukraine und seine Ansagen an die EU-Partner wirkt er wie ein Taktgeber der Staatengemeinschaft. Und auch die drohende Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten könnten seiner Kanzlerschaft neuen Schwung verleihen. In seiner Partei arbeitet man schon an einer Erzählung mit Scholz als verlässlichem Garanten gegen die Putins und Trumps dieser Welt.
Scholz mag gerade schlecht dastehen. Aber verloren ist noch nichts. Vorausgesetzt, sein neuer Sound geht nicht gleich weder unter – im Koalitionskrach oder in der hohen Krisendichte.