Generaldebatte Endlich eine Regung! Der Kanzler schimpft sich aus der Sandwich-Position

Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag
Regt sich auf: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag
© Kay Nietfeld / DPA
Bei der Generaldebatte präsentiert sich Olaf Scholz als Kämpfer: Vor ihm Friedrich Merz, im Nacken Boris Pistorius, legt er einen couragierten Auftritt hin. Auch wenn sich der Oppositionsführer verzettelt – die Krise des Kanzlers ist noch nicht überwunden.

Olaf Scholz hat viel geschimpft an diesem Mittwoch im Bundestag. Der Kanzler hat sogar mehr geschimpft, als man nach der Rede des Oppositionsführers erwarten konnte. Wahrscheinlich hätte Scholz genauso viel geschimpft, wenn Friedrich Merz vorher nur von seiner letzten Radtour durchs Sauerland erzählt hätte. Scholz hatte sich einfach fest vorgenommen zu schimpfen – und richtete sich damit nur vordergründig gegen den Oppositionsführer, in Wahrheit aber natürlich an die eigenen Leute: Seht her, ich kämpfe doch!

Olaf Scholz, gebeutelt von schlechten Umfragewerten und allerlei Kritik, gibt sich noch lange nicht geschlagen. Vom Kanzlerstuhl aus konnte er am Mittwoch zunächst Friedrich Merz verfolgen, der ihn gerne ablösen würde, während hinter ihm auf der Regierungsbank, quasi im Nacken des Kanzlers, Boris Pistorius saß, von dem sich in der SPD manche fragen, ob er Scholz nicht besser ablösen sollte. Aus dieser Sandwich-Position heraus präsentierte der Kanzler eine positive Leistungsbilanz, hielt Merz vor, zu wenig Zeitung zu lesen, und nannte ihn wegen mangelnder Kritikfähigkeit eine Mimose. Da freute sich der rot-grün-gelbe Teil des Plenums. 

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Merz verliert sich zwischen Kanzlergestus und Oppositionsführer

Es war ein solider Generaldebattenauftritt des Kanzlers. Er erschien auch deshalb wirkmächtiger als der seines Kontrahenten, weil Merz unbedingt eine neuartige Generaldebattenrede halten wollte, in der er zwischen Staatsmann, Regierungskritiker und Kooperationsverweigerer changierte. Er forderte mehr deutsch-französische Initiative in der Europapolitik, kritisierte, dass die Ampel die Wirtschaft abwürge, und zog dann seine zur Zusammenarbeit bislang angeblich ausgestreckte Hand zurück, weil die Regierung sowieso nicht einschlagen wolle. Letztlich verlor sich Merz irgendwo zwischen angedeutetem Kanzlergestus und verhärteter Oppositionsführerschaft.

Auffallend in der Debatte war das Bemühen der Ampel um einen Eindruck der Geschlossenheit. Nicht nur auf der Regierungsbank präsentierte man sich in demonstrativer Harmonie: Innenministerin Nancy Faeser verteilte ohne Ansicht der Parteizugehörigkeit Hustenbonbons an ihre Sitznachbarn, Claudia Roth (Grüne) strich ihrem Staatsministerkollegen Carsten Schneider (SPD) liebevoll über den Arm, als der an der Rede von AfD-Chefin Alice Weidel zu verzweifeln drohte. Auch die Redner der Ampel-Fraktionen stellten sich hinter die Projekte des mit Ach, Krach und viel Verspätung nun endlich zu verabschiedenden Haushalts. Gleich dreimal nahm zum Beispiel FDP-Fraktionschef Christian Dürr Bezug auf die Rede von Olaf Scholz: Wie der Kanzler schon sagte… Nur der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ließ in einer rheinisch-fröhlichen Replik auf SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich aufblitzen, dass die Liberalen beim Umgang mit Steuergeld mit den Schwarzen auch gut könnten.

Und so begibt sich die Koalition für die nächsten Wochen in eine Phase der Zweideutigkeit. Denn allem demonstrativen Zusammenhalt zum Trotz: Natürlich ist in jedem kleinen Kreis das große Thema die Durchhaltefähigkeit des Kanzlers und die Leidensfähigkeit der SPD. Olaf Scholz hat am Mittwoch in einem Marathon zur nächsten Bundestagswahl ein paar weitere Meter zurückgelegt. Jeder Auftritt wird in nächster Zeit daran gemessen, wie entschlossen der Kanzler erscheint, wie verständlich er seine Politik machen kann, wie viel Vertrauen ihm die eigenen Leute noch schenken. Am Mittwoch standen sie noch Spalier – doch in der Politik wird daraus schnell ein Spießrutenlauf.