Fried – Blick aus Berlin Wird der Kanzler sein Kabinett umbauen? Unser Autor ist bereit für eine Wette

Olaf Scholz könnte der erste deutsche Kanzler seit Kurt-Georg Kiesinger werden, der nicht wiedergewählt wird.
Olaf Scholz könnte der erste deutsche Kanzler seit Kurt-Georg Kiesinger werden, der nicht wiedergewählt wird.
© Michael Kappeler / DPA
Eine Kabinettsumbildung gilt als Zeichen von Führungsstärke. Trotzdem ist sie zuletzt aus der Mode gekommen. 

Im Herbst bildet der Kanzler sein Kabinett um. Spätestens im Oktober wird er sich dem Druck zur personellen Erneuerung beugen. Vier Minister müssen ihre Plätze räumen: Verkehrsminister Manfred Stolpe, Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, Finanzminister Hans Eichel und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. So berichtete es am 1. August 2004 eine angesehene Zeitung, deren Namen wir hier nicht nennen, weil Schadenfreude Pickel macht.

Die Meldung alterte schlecht, wie man heute sagt. Gerhard Schröder kanzlerte mit denselben Ministern weiter, bis er im Mai 2005 den Deutschen die Chance gab, gleich die ganze Regierung umzubilden, angefangen bei sich selbst.

Ich erzähle Ihnen das, weil Sie daran gewöhnt sind, vom stern früh auf Entwicklungen vorbereitet zu werden, die in der deutschen Politik so unausweichlich sind wie im italienischen Restaurant der Grappa aufs Haus. Da Olaf Scholz alles daransetzen wird, sich nicht als erster Kanzler seit Kurt Georg Kiesinger in die Geschichte zu verabschieden, ohne einmal wiedergewählt worden zu sein, wird in diesem Jahr eine Debatte aufkommen, ob eine Kabinettsumbildung dem Ziele zuträglich wäre. Ein bisschen geraunt wird sogar jetzt schon in der SPD.

Angela Merkel feuerte ihren Umweltminister Norbert Röttgen

Was dafür spricht: Der letzte sozialdemokratische Kanzler, der mehrere Minister austauschte, war Scholz' Vorbild Helmut Schmidt. 1978 wechselte er drei Ressortchefs und eine -chefin. "Das allerletzte Aufgebot" hatte der "Spiegel" schon in Erwartung der Kabinettsumbildung geschrieben – Ähnliches dürfte Scholz bestimmt auch lesen. Aber Schmidt gewann zwei Jahre später die Wahl.

Kabinettsumbildungen gelten noch immer als Ausweis von Entschlossenheit und Führungsstärke. Dabei ist der letzte große Regierungsumbau in einer laufenden Legislaturperiode, den ein Kanzler von sich aus in die Wege leitete, lange her. Im April 1989 vergab Helmut Kohl insgesamt acht von CDU und CSU geführte Ministerien neu. Danach kam die Kabinettsumbildung als Frischluftbetankung aus der Mode. Gerhard Schröder feuerte aus eigenem Antrieb nur seinen Verteidigungsminister Rudolf Scharping, Angela Merkel ihren Umweltminister Norbert Röttgen.

Das größte Problem von Scholz wäre seine eigene Schwäche 

Könnte ein Umbau Scholz etwas nützen? Unter den SPD-Ressortchefs darf Boris Pistorius als ungefährdet gelten, Hubertus Heil wohl auch. Wolfgang Schmidt zieht allerlei Kritik auf sich, ist aber Scholz' engster Vertrauter. Bleiben Nancy Faeser, Svenja Schulze, Klara Geywitz und Karl Lauterbach, die – vorsichtig formuliert – an wichtigen Projekten oder an ihrer Popularität noch arbeiten. Oder an beidem.

Als potenzielle Nachfolger kämen die Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil in Betracht, auch wenn man sich fragt, wie sie einer Regierung Schwung geben sollten, wenn sie es schon mit der SPD nicht schaffen. Manches unentdeckte Talent mag in der Bundestagsfraktion schlummern. Renommierte Landespolitiker dürften es sich zweimal überlegen, sichere Posten ein Jahr vor der Bundestagswahl für einen Schleudersitz in Berlin aufzugeben. Die Pistoriusse wachsen nicht an Bäumen.

Scholz' größtes Problem – Stand heute – wäre seine eigene Schwäche. Jeder Wechsel würde ihm als Ablenkungsmanöver ausgelegt, als Bauernopfer (nicht zu verwechseln mit dem Agrardiesel-Opfer, das Scholz von den Bauern erwartet). Jede Kabinettsumbildung würde ihn nicht zwingend stärken, sondern womöglich weiter schwächen. Deshalb sage ich Ihnen: Die Debatte wird anheben, aber die Kabinettsumbildung letztlich nicht kommen. Wetten?

erschienen in stern 06/24