Finanzminister Peer Steinbrück gilt als Mann der klaren Worte, einer, der knapp und hart urteilt. Vor wenigen Wochen noch beschimpfte er seine Genossen als "Heulsusen", weil sie an den notwendigen Reformen litten. Als Coautor beteiligte er sich an dem Buch "Auf der Höhe der Zeit", das die Agenda 2010 verteidigt. Dann jedoch schlich sich Steinbrück auf roten Socken davon. Er enthielt sich, als der Parteivorstand am Montag über die Verlängerung des Arbeitslosengeldes abstimmte. Damit verkörpert Steinbrück den Widerspruch, der die SPD lähmt. Den Zerfall in eine Regierungs- und eine Oppositionspartei.
Bei Frank Plasbergs "hart aber fair" am Mittwochabend versuchte Steinbrück, sich zu erklären. Er stellte sich hinter den SPD-Vorsitzenden Kurt Beck, der die Agenda 2010 attackiert und die Verlängerung des ALG I fordert. Steinbrück argumentierte nicht auf einer inhaltlichen Ebene für Becks Vorschlag. Er kennzeichnete ihn als notwendiges Manöver, um Stimmen einzufangen, um der Partei wieder ein soziales Profil zu verleihen. "Sie können der SPD nicht abverlangen, einen Kurs weiter zu verfolgen, der sie fast auf eine Marge zurückwirft in den Umfragen, wo wir Mühe haben, überhaupt noch vorzukommen in der Politik", sagte Steinbrück. Denn das ist, noch vor aller Regierungsvernunft, das zentrale Ziel der SPD: Raus aus dem Kellerloch der Umfragen. Sie versprechen der Partei derzeit nicht mehr als 20 Prozent plus X. In der Klemme zwischen Linkspartei und einer sozialdemokratisch gewendeten CDU wird es für die SPD eng.
Müntefering, aufrecht und trotzig
Also kobert Kurt Beck auf der Linken. Die Partei, die unter Kanzler Gerhard Schröder so viele Kröten schlucken musste, dass sie massive Verdauungsprobleme bekam, wird Kurt Beck auf dem Hamburger Parteitag dafür feiern. Sie wird ihn mit einem fulminanten Ergebnis als Vorsitzenden bestätigen. Peer Steinbrück und Außenminister Frank Walter Steinmeier, die zu seinen Stellvertretern gewählt werden sollen - und Becks Anti-Agenda-Politik inzwischen halbherzig mittragen - sind nach der Wahl qua Amt an die Leine gelegt. Andrea Nahles, die zur Parteilinken gehört und ebenfalls zur stellvertretenden Vorsitzenden gekürt werden soll, darf auf einen Triumph hoffen. Franz Müntefering, Vizekanzler und Arbeitsminister, der sich mit Beck wochenlang einen harten Fight um die Agenda geliefert hat, wird aufrecht und trotzig zu sehen. Er hat seinen Widerstand gegen Becks Vorschlag noch nicht aufgegeben.
Direkt vor dem Parteitag sagte er, Parteitagsbeschlüsse seien noch kein "Koalitions- und Regierungshandeln." In den Verhandlungen mit der Union, wenn es um die Umsetzung von Becks Vorschlag gehe, müsse erst durchgerechnet werden, "ob man es sich leisten kann". Schätzungen zufolge könnte die Verlängerung des ALG 1 mit bis zu zwei Milliarden Euro zu Buche schlagen. Die Union dringt auf eine kostenneutrale Lösung. Müntefering spielt auf Zeit. Er ist 67 Jahre alt und muss in der Partei nichts mehr werden. Denkbar, dass er über die Koalitionsverhandlungen Becks Vorstoß doch noch stoppt. Noch ist nicht entschieden, ob er auf dem Parteitag explizit über seine Ablehnung des verlängerten ALG I sprechen wird. Sucht er die Konfrontation mit dem linken Flügel der Partei?
Wahl wichtiger als Koalition
Sie wird die Konfrontation mit ihm suchen. Denn die Linke will nicht nur die Auszahlungsdauer des ALG I verlängern. Sondern auch die Rente mit 67, ein Projekt, das Müntefering durchgeboxt hat, mit Sonderregelungen aufweichen. Sie will auch die Bahnprivatisierung kippen, die SPD-Minister Wolfgang Tiefensee verfolgt, und damit ein weiteres Regierungsmitglied desavouieren. Tragbare Kompromisse, oder auch nur Formelkompromisse wie bei der Wehrpflicht, sind nicht bei allen Themen möglich. Die Oppositionspartei SPD und die Regierungspartei SPD werden sich in den Debatten ineinander verbeißen. Die Meinungsführerschaft dürften die Linken an sich reißen. Die Wahl 2009 ist wichtiger als die Restlaufzeit der großen Koalition.
Wird der Wähler den Linksruck der SPD honorieren? Gewinnen Beck und Genossen in den Umfragen Flügel? Gregor Gysi, der auch bei Plasberg geladen war, sagte, dass der neue Kurs der Sozialdemokraten nicht glaubwürdig sei. Das würden die Menschen spüren.
Beck will eine Gerechtigkeitslücke stopfen. Aber er, der die Agenda noch vor einem Jahr mit Zähnen und Klauen verteidigt hat, muss auch eine Glaubwürdigkeitslücke stopfen. Vom Gelingen hängt der Erfolg dieses Parteitags ab.