Politik Überforderung der Polizei

Von Johannes Alexander Wiek
Ein Gespräch mit Heinz Kiefer, Präsident der European Confederation of Police (EuroCOP), über die Bedrohung der inneren Sicherheit durch die EU-Osterweiterung und die Beschlußpraxis der EU-Politik.

Herr Kiefer, als Präsident von EuroCOP vertreten Sie die nationalen Polizeigewerkschaften von 23 Ländern, 31 Polizeiorganisationen mit mehr als 550.000 aktiven Mitgliedern. Welche Gefahren für die innere Sicherheit in Europa sehen Sie aus Sicht der Polizei?

Wir stehen vor erheblichen Problemen, die sich aus der EU-Osterweiterung ergeben. Rumänien und Bulgarien sind am 01.01.2007 in die EU aufgenommen worden. Diese Länder sind nicht reif für die EU. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der Netzwerkkriminalität und der Korruption ist noch immer auf einem Niveau, das eine Aufnahme in die EU nicht zuläßt - und das sehe ich nicht alleine so.

Die entscheidenden Probleme entstehen aber, wenn einige der zehn anderen neuen Beitrittländer in 2007 den Schengen-Status erreichen. Diese Länder werden dann u.a. die Personenkontrolle und das Visa-Regime an den östlichen Außengrenzen der EU übernehmen - in taktischer, technischer und personeller Hinsicht.

Wenn bis zu diesem Zeitpunkt die von der EU-Kommission schon vor der EU-Osterweiterung festgestellte Korruption, die organisierte Kriminalität, die Netzwerkkriminalität - sprich: die Kriminalität in Verwaltung, Wirtschaft, Polizei, Justiz und bis in die Spitzen der Politik - nicht entscheidend bekämpft ist, steht der Schengen-Acquis nur auf dem Papier. Transparency International hat festgestellt, daß dies bis jetzt nicht annähernd ausreichend der Fall ist - und daß gerade die Justiz und Polizei nicht unabhängig ermitteln, sondern stark von Korruption beeinflußt sind.

Die entscheidenden Politiker in der Bundesrepublik Deutschland und in den anderen europäischen Nationen kennen diese Problematik. EuroCOP hat immer wieder auf die Gefahren aufmerksam gemacht. Zuerst hat man die ernsten Bedenken weggewischt. Heute sind die Gefahren allen Justiz- und Innenministern ausdrücklich klar. Alle wissen, daß die vorhandenen Sicherheitslücken bis zum Zeitpunkt der Übernahme der Außengrenzen nicht geschlossen werden können.

Wie sehen die Bedrohungen konkret aus?

Den Politikern ist ausdrücklich klar, daß wir es aufgrund ihrer Entscheidung mit massiver illegaler Migration zu tun bekommen. Und das wir im Binnenbereich der EU-Länder kaum Möglichkeiten haben, dem entgegen zu treten. An den EU-Grenzen im Mittelmeerraum haben wir ja jetzt schon die Situation, daß man der Migrationswelle kaum etwas entgegenzusetzen hat. Ich muß ganz deutlich sagen, daß die Schleuserbanden jetzt schon darauf warten, daß die Außengrenzen der EU von den östlichen Beitrittsländern übernommen werden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Und es gibt ja nicht nur die Schleuser. Hinzu kommt der Menschenhandel - Prostitution, Frauen- und Kinderhandel -, der Warenschmuggel, die Kfz-Verschiebereien und vieles weitere. Dem muß man ja auf irgendeine Weise entgegen treten können. Es wird eine Riesenbelastung für die nationalen Polizeien. Das ist schlicht und einfach nicht kontrollierbar.

Für welche Form der EU-Erweitung plädieren sie aus Sicht des polizeilichen Schutzes der inneren Sicherheit?

Ich denke, daß die EU-Erweiterung einen Bereich und eine Größenordnung erreicht hat, die es aus Sicht der Polizeien unmöglich macht, momentan an eine weitere Ausweitung zu denken. Sowohl die neuen als auch die alten Länder sind damit überfordert.

Die Strukturen, die Besoldung, die Aus- und Fortbildungsvoraussetzungen und das Niveau der vergleichbaren Laufbahngruppen der nationalen Polizeien sind extrem unterschiedlich. Das Kernproblem ist aber das Gefälle der wirtschaftlichen Situation der Länder. Dadurch entstehen viele der Verstrickungen im Bereich der Korruption. Korruption erscheint auch viel eher legitim, wenn sogar die Politik bis in die höchsten Ämter mit verwickelt ist. Gerade auf dieser Ebene müßten erstmal die Grundlagen der Sicherheit in einem gemeinsamen Europa geschaffen werden.

Hinzu kommen die Probleme des Austausch und der Zusammenarbeit. Die Polizeibeamtinnen und -beamten müssen aber doch erst einmal lernen, miteinander auszukommen, zu korrespondieren, zu reden und zusammenzuarbeiten. Da haben wir in der gemeinsamen Fortbildung ein massives Defizit. Und das auszugleichen kostet enorm viel Geld und Zeit.

Worin liegt denn ihrer Ansicht nach die Motivation der Politik, die EU-Osterweiterung dennoch voranzutreiben?

Die Schengen-Erweiterung wird eine politisch Entscheidung sein, und keine sicherheitsstrategische. Auf Seiten der neuen Beitrittsländer liegt die Motivation schlicht und ergreifend in der Tatsache, daß Versprechungen gemacht wurden und daß die neuen Länder nun auf die Übernahme der EU-Außengrenzen pochen. Denn es fließen hohe Geldsummern von der EU für die Übernahme der Außengrenzen. Es sind in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen, die hier eine Rolle spielen. Man muß dafür wissen, daß allein schon die Annahme eines Antrages eines Landes auf Aufnahme in die EU, beträchtliche Gelder fließen läßt.

Und was ist ihrer Meinung nach die Motivation der europäischen Kernländer, dabei mitzumachen?

Ich denke, daß man hier zugunsten einer politischen und wirtschaftlichen Lösung, die man unbedingt haben möchte, Sicherheitsbedenken opfert und zurückstellt. Und ich habe auch den Eindruck, daß der eine oder andere Innen- und Justizminister eine Angelegenheit in seinem nationalen Interesse auf die europäische Ebene hievt, um etwas durchzubringen, was er im nationalen Bereich nicht realisiert bekommt. Es ist unter den mittlerweile 27 Justiz- und Innenministern in Europa nicht üblich, gegen solche Vorschläge zu stimmen. Man akzeptiert diese Beschlußvorschläge in der Regel - und setzt sie dann im eigenen Land einfach nicht um. Der vorschlagenden Politiker geht dann mit dem europäischen Beschluß in sein Land zurück, und sagt, daß jetzt national ratifiziert werden muß. In vielen Bereichen kann man den Eindruck gewinnen, daß die Beschlußfassung auf EU-Ebene für solche Zwecke mißbraucht wird.

Ist die innere Sicherheit in Europa durch diese politische Praxis gefährdet?

Ich sehe die innere Sicherheit in Europa am meisten dadurch gefährdet, daß unter dem Eindruck von bestimmten Gegebenheiten - meist spektakulären kriminellen Einzelereignissen - eine Fülle von Beschlüssen gefaßt wird, aber die Ratifizierung und Umsetzung dann extrem lange auf sich warten läßt oder überhaupt nicht realisiert wird. Die Veröffentlichung der Beschlüsse in den Medien erweckt immer den Eindruck, daß diese Dinge mit dem Beschluß bereits umgesetzt sind. Das dies nicht der Fall ist, wir nirgends kommuniziert und verschwindet von der Bildfläche. In der Konsequenz haben wir in der EU kein Beschlußdefizit, sondern ein Ratifizierungs- und Umsetzungsdefizit. Das ist einer der großen Mängel der EU.

Was bleibt denn alles liegen? Was sind die dringlichsten Sicherheitsprobleme?

Wir haben es ja noch nicht einmal geschafft, das Schengener Informationssystem 2 (SIS 2) zu installieren. Das SIS II soll den Datenaustausch zwischen den EU-Ländern, insbesondere denen mit Außengrenzen, gewährleisten. Jeder Grenzpolizist in den 25 Ländern sollte auf die Datenbestände aller anderen Länder zugreifen können. Das galt als Voraussetzung für die Übernahme der EU-Außengrenzen durch die neuen Beitrittsländer. Diese Voraussetzung ist aber nicht erfüllt. Es ist ein klares Versäumnis der alten EU-Länder, daß sie es nicht geschafft haben, SIS 2 zeitgerecht zu installieren. Jetzt versucht man, mit einem SIS 1+ irgendwie nachzubessern.

Das nächste Beispiel ist das europäische Strafregister. Dessen Einführung wurde beschlossen, als der französische Mörder und Schwerstkriminelle Michel Fourniret im Jahr 2003 nur durch einen Zufall als Angestellter im öffentlichen Dienst in Belgien entdeckt wurde. Dieses gemeinsame Strafregister ist bis heute nicht ratifiziert - geschweige denn umgesetzt. Die Politik ist sich nach wie vor nicht im Klaren darüber, welche Vorraussetzungen man für ein europäisches Strafregister errichten muß. Erstens: Wer wird dort aufgenommen? Wir haben bis jetzt kein harmonisiertes Strafrecht in Europa - weder ein materielles noch ein formelles. Zweitens: Wer hat Zugriff auf dieses Strafregister? Und nach welchem einheitlichen System werden Einträge wieder gelöscht? Der Datenschutz in Europa ist nicht harmonisiert - noch nicht einmal angeglichen. Und Drittens: Wie wird das Ganze finanziert? Alle diese Fragen sind nicht geklärt.

Aber lassen sie mich gerade beim Thema der Ernsthaftigkeit der Beschlußfassung unserer Innen- und Justizminister noch einmal meine Zweifel darlegen. Wenn man sich vor Augen führt, daß es, nach dem Ausscheiden des früheren Europol-Direktors Jürgen Storbeck, ganze 8 Monate gedauert hat, bis für Europol, die vielleicht wichtigste Polizeibehörde in Europa, mit Max-Peter Ratzel ein neuer Direktor installiert wurde - dann stelle ich mir die Frage, wie ernst es den Innen- und Justizministern mit der Sicherheit und der Sicherheitszusammenarbeit in Europa eigentlich ist.

Durch die EU-Osterweiterung und europäische Sicherheitsverträge und -gesetzte kommen immer mehr Aufgaben auf die Polizeien der Mitgliedsstaaten zu. Sind die nationalen Polizeien - insbesondere auch die deutsche Polizei - zunehmend überfordert, wenn das so weiter geht?

Wenn sich an der politischen Beschlußpraxis nichts ändert, werden wir die Probleme der inneren Sicherheit in Europa mit den zur Verfügung stehenden Kräften nicht bewältigen können. In den letzten Jahren sind allein bei der deutschen Polizei 7500 Stellen gestrichen worden. Und dieses Jahr werden weitere 5000 dem Rotstift zum Opfer fallen. Ohne nach Heiligendamm schauen zu müssen - mit 16.000 Beamtinnen und Beamten der größte Polizeieinsatz in der Bundesrepublik -, kann man sehr deutlich sagen, daß die deutsche Polizei im gleichen Zeitraum nicht weniger, sondern immer mehr Aufgaben im Inland, in Europa und bei weltweiten Auslandseinsätzen übernehmen muß. Das schwächt die nationale Polizeiarbeit. Es ist zwingend notwendig, all das, was sinnvoll beschlossen wurde, auch in einem erträglichen Zeitrahmen zu ratifizieren und die Stärke der Polizeien mit dem für die Umsetzung der Beschlüsse notwendigen Personal, Material und den finanzielle Ressourcen auszustatten. Denn wir, die Polizisten, müssen das ja auch irgendwie umsetzen können.

Von Johannes Alexander Wiek