Erik Schweickert ist ein seltenes Exemplar. Er ist der einzige Mensch auf diesem Planeten, der sich Professor für Weinwirtschaft nennen darf. Behaupten jedenfalls er selbst und sein Arbeitgeber: die Hochschule Geisenheim University, einen Steinwurf von Wiesbaden entfernt am Rhein gelegen, also mitten in einem der wichtigsten Weinanbaugebiete Deutschlands. Im Zweitjob hat Schweickert weniger Seltenheitswert. Er ist Bundestagsabgeordneter und tummelt sich für die FDP im Berliner Mikrokosmos. Und der ist für ihn ein Stück weit durcheinander geraten.
Seit der 40-Jährige öffentlich geklagt hat, dass der Bundestagssekt aus Frankreich kommt, steht der liberale Professor - wie viele FDP-Politiker vor ihm - unter Lobbyismus-Verdacht. "Der Wein wird schließlich von deutschem Steuergeld bezahlt. Da sollte die Herkunft des Weins bei der Auswahl schon eine Rolle spielen." Zwei Sätze in der "Bild am Sonntag" reichten aus, ihn vom Volks- zum Interessenvertreter werden zu lassen. Typisch FDP, schallt es ihm nun aus allen Landesteilen entgegen, begleitet von der Frage: Hat die FDP nichts Besseres zu tun?
Schweickert versteht das alles nicht und fühlt sich ungerecht behandelt. "Das macht mich schon stutzig und fast sprachlos. Beim Bier ist es gar keine Frage, da wird selbstverständlich bei parlamentarischen Veranstaltungen deutsches Bier ausgeschenkt", sagt er. Und warum sollte das nicht auch für Wein gelten? "Privat soll jeder kaufen, was er will. Ich finde aber schon, dass es zum guten Ton gehören sollte, bei offiziellen Veranstaltungen von Bundes- oder Landesinstitutionen regionale Weine in die Auswahl einzubeziehen. Mir geht es darum, dass man wenigstens darüber nachdenkt."
Vielleicht wäre die Aufregung längst nicht so groß, wenn er einer anderen Partei angehören würde. Vielleicht würde ein politisch anders gestrickter Abgeordneter sogar breite Zustimmung erhalten. Aber FDP-Mitglieder stehen nun einmal per se unter Lobbyismus-Verdacht, da ist das Volk besonders sensibel. Schweickert ist - blinden oder sehenden Auges - in die Falle getapst. Er hat Beruf und politische Tätigkeit auf eine Weise miteinander verquickt, wie sie in weiten Teilen der Bevölkerung gar nicht gern gesehen wird. "Es liegt mir vollkommen fern, Lobbyismus zu betreiben", sagt Schweickert im Gespräch mit stern.
"Dieser Vorwurf ist völlig an den Haaren herbeigezogen"
Die Opposition war sofort zur Stelle, dem Weinprofessor die Maske des angeblichen Lobbyisten vom Gesicht zu reißen. Ute Vogt, Bundestagsabgeordnete aus dem Weinanbauland Baden-Württemberg, twitterte: "FDP-Schweickert empört, dass Parlamentsladen Cremant a(us) d(em) Elsass hat - will wohl dort Sekt a(us) d(er) Kellerei s(eines) Vaters anbieten." Die Eltern Schweickerts besitzen eine Sektkellerei im badischen Niefern-Öschelbronn östlich von Karlsruhe. "Dieser Vorwurf ist völlig an den Haaren herbeigezogen", findet Schweickert.
In seiner Antwort an Vogt legt er Wert darauf, nicht als Politiker gehandelt zu haben: "Habe dies als Prof. (!) für Internationale Weinwirtschaft untersucht." Er twitterte - "dazu hier der Original Artikel" - einen Beitrag, den er unter dem Titel "Deutscher Wein in deutschen Ministerien" für das Blatt "Der Deutsche Weinanbau" schrieb. Das Organ versteht sich als "Basismedium für die Kommunikationsstrategie zu den professionellen Entscheidern" und erklärt, "für den Absatzerfolg von Herstellern und Dienstleistern von zentraler Bedeutung" zu sein. Ein Satz in Schweickerts Artikel klingt nicht wissenschaftlich, sondern lässt vermuten, dass er sich sehr wohl als Lobbyist versteht. Im PR-Sprech heißt es: "Hier Bedarf es des politischen Drucks der jeweiligen Abgeordneten." Der 40-Jährige spielt das runter: "Diese Fachzeitschrift kann man nicht am Kiosk erwerben, sondern nur im Abo oder beim Verlag." Aber warum schreibt er überhaupt solch einen Satz?
Wenn SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ThyssenKrupp "politische Unterstützung" zur Senkung von Strompreisen verspricht, wird ihm das als Lobbyismus ausgelegt. Für Schweickert kein Anlass, sein eigenes Agieren in Frage zu stellen. "Ich habe ja nicht für ein bestimmtes Unternehmen geworben, sondern auf ein in der Weinwirtschaft virulentes Thema aufmerksam gemacht." Und: "Es ist ein Unterschied, ob man sich als Mitglied eines Aufsichtsrats eines Konzerns oder als Professor für Energiewirtschaft für niedrigere Preise stark macht." Als "Berichterstatter für Weinbaupolitik" der FDP-Fraktion äußere er sich selten zu Weinbauthemen. Tue er es doch einmal, "wird einem daraus gleich ein Strick gedreht. Da muss man sich schon fragen: Kannst du dich als Fachmann in diesem Bereich überhaupt noch äußern? Was immer ich dazu sage: Man kann immer etwas Negatives unterstellen."

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Gewagte Theorie zu Hollandes Sieg über Sarkozy
Der Artikel Schweickerts beruht auf Recherchen von Studierenden seiner Universität und beginnt so: "Abgeordnete der Assemblée nationale (französische Nationalversammlung - die Red.) verschenken statt französischen Bordeaux einen deutschen Riesling. Unvorstellbar!" Hierzulande jedoch sei "Cuvée Bundestag", also der von Schweickert inkriminierte Crémant, als Geschenk üblich. "Grund genug, die Rolle des deutschen Weins in der Berliner Politik in zwei Bachalorarbeiten etwas genauer zu analysieren." Auf Anfrage stellt Schweickert es so dar: "Das Thema wurde von zwei meiner Studenten eingebracht."
Ein Ergebnis: Die richtige oder falsche Auswahl des Getränks könne "schnell zum Politikum werden", behauptet er. Frankreich führt der Professor als angeblichen Beleg für seine These an. "Viele" hätten den Triumpf François Hollandes über Nicolas Sarkozy "auch deshalb" begrüßt, weil der Wahlsieger im Gegensatz zum -verlierer "erklärter Liebhaber französischer Weine" sei. Glaubt man der Theorie, sieht es für die politische Karriere von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) trübe aus. Deren Haus habe 2011 bei der Veranstaltung "Dorffest" auf der Grünen Woche in Berlin französischen Rotwein ausgeschenkt. Aber immerhin böten die meisten Bundesministerien bei offiziellen Anlässen heimische Weine an. Sieben von zehn Ressorts schenkten nur deutsche Weine aus, vier schrieben dies sogar vor - jeweils zwei CSU- und zwei FDP-geführte.
Südafrikanischer Riesling im Regierungsflieger
"Man" - Schweickert lässt den Leser im Unklaren, wen er hier mit "man" meint -, könne sich nicht darauf verlassen, dass in den Ministerien von Bund und Ländern Beamte säßen, die von sich aus heimische Weine auswählten. "Dieses Verhalten konnte unabhängig von den jeweiligen Regierungskonstellationen über mehrere Legislaturperioden beobachtet werden." An dieser Stelle folgt der oben erwähnte Satz: "Hier Bedarf es des politischen Drucks der jeweiligen Abgeordneten." So sei es Sache des "Parlamentarischen Weinforums", nun "die durch die Studien entdeckten Lücken weiter zu schließen". Ministerien und Parlamente entschieden über Gestze für Winzer und verwendeten für ihre Veranstaltungen Steuergelder der Länder mit Weinanbau. Deshalb sollten sie auch deren Produkte servieren.
"Leider" hätten fünf Ministerien keine Angaben gemacht. "Deshalb konnte auch nicht das Gerücht verifiziert werden, dass in Maschinen der Flugbereitschaft (der Regierung - die Red.) auch mal ausländische Weine angeboten werden. Denn dieser von älteren Abgeordneten im Rahmen der Bacherlorarbeit immer wieder kolportierte Vorgang hätte für die deutsche Weinwirtschaft eine gewisse Brisanz." Jedoch ließen "Sekundärquellen" sehr wohl die Vermutung zu, dass deutsche Regierungsmaschinen "mit südafrikanischem statt deutschem Riesling beladen werden". Grund dafür sei "gar nicht mal unbedingt böser Wille". So lange die Regierung der Catering-Firma LSG Sky Chefs keine anderen Vorgaben mache, belasse das Unternehmen ausländische Weine im Angebot. Vielleicht ein Trost für Schweickert: Die LSG Sky Chefs ist eine Tochter der Lufthansa - also in deutscher Hand.