Das Ende der 32-jährigen Mylene de la Rosa muss qualvoll gewesen sein. Als die Polizei die Mutter von fünf Kindern am Morgen des 7. März am Nordstrand der Philippinen-Insel Boracay fand, war ihr Körper entsetzlich zugerichtet. Den Kopf entstellten große Platzwunden. Ihr Gesicht, ihre Brüste, ihre Scham waren mit Brandmalen ausgedrückter Zigaretten übersät. In ihrer Vagina steckte eine Softdrinkflasche. Noch am selben Morgen wurde der Münchner Christian Adolf W., 44, verhaftet, der seit einem Jahr auf Boracay lebt. Das Blut der Toten klebte noch an seinem Hemd. Was folgte, ist ein bis heute andauerndes bizarres Ermittlungschaos, das zeigt, wie wenig das Leben einer Gelegenheitsprostituierten in Südostasien wert ist.
Jeder Vierte sucht billigen Sex
Die nur acht Kilometer lange Insel Boracay gilt als Aushängeschild des philippinischen Tourismus. "Boracay - hier beginnt das Leben", lautet der Werbespruch. Jedes Jahr suchen auch Hunderte Deutsche Entspannung auf dem Eiland, das rund 350 Kilometer von Manila entfernt im südchinesischen Meer liegt. Die meisten wollen baden, tauchen und surfen. Doch jeder vierte männliche Tourist, so schätzen Experten, sucht billigen Sex.
Mylene de la Rosa war eine der vielen jungen Frauen, die sich auf Boracay den ausländischen Männern anbieten. Vor einem halben Jahr war ihr Mann wegen illegalen Waffenbesitzes verhaftet worden. Um ihre fünf Kinder zu ernähren, fuhr "May May", wie ihre Freunde sie nannten, seither öfter abends von einer Nachbarinsel in die Bars von Boracay. "May May hat keinen Hehl daraus gemacht, weswegen sie auf der Insel war", sagt ein Zeuge, der sie gekannt hat. Rund zwölf Euro brachte ihr umgerechnet jeder Kunde. Viermal mehr als der durchschnittliche Tagesverdienst eines Philippiners.
"I will kill you later"
In der Nacht vor ihrem Tod ging May May in der Boracay-Disco "Summer Place" auf Kundensuche. Dort entstand kurz nach ein Uhr auch das letzte Foto von ihr. Sie lächelt verlegen in die Kamera und spreizt die Finger ihrer rechten Hand zu einem "W" wie "Win". "Time For Play" steht auf ihrem T-Shirt. Gegen zwei Uhr, so berichten Zeugen, die mit ihr an der Bar standen, habe May May eine SMS erhalten. Mit einem verschmitzten Lächeln und den Worten "Sorry, I have a little bit business" sei sie Richtung "Charl's Bar" gegangen.
Dort wartete der Münchner Christian W. Es gibt Zeugen, die ihn mit May May in dieser und einer anderen Bar beobachtet haben. Er soll sich mit ihr gestritten und dabei ihren Kopf auf die Theke geknallt haben. "I will kill you later", soll er gesagt haben. Später wurden beide zusammen auf W.s Motorrad gesehen. Und noch später beobachtete ein Fischer, wie Christian W. an einem fünf Kilometer entfernten Strand einen Frauenkörper Richtung Wasser zog. Um 5.30 Uhr stieß dort ein Jogger auf die entstellte Leiche von Mylene de la Rosa.
Zunächst schienen die Ermittlungen einen normalen Verlauf zu nehmen. Die örtliche Polizei arbeitete zügig. Schon gegen halb elf am selben Morgen verhaftete sie den Münchner in seinem Hotelzimmer. Sie fanden sein blutiges Hemd und stellten Kratzspuren an seinem Hals fest. Er wurde in die Sammel-Arrestzelle der Insel gebracht und zwei Tage später Journalisten als dringend Tatverdächtiger vorgestellt. Christian W. bestritt jede Beteiligung an dem Mord.

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Fehlende technische Mittel zur Untersuchung
Um weitere Beweise zu sammeln, kündigte die Ortspolizei an, mit deutschen Behörden zusammenzuarbeiten und die DNA der abgekratzten Hautzellen unter den Fingernägeln des Opfers untersuchen zu lassen. Und tatsächlich kabelte die Deutsche Botschaft in Manila am 14. März einen solchen Hilferuf an das Bundeskriminalamt. Er wurde an die Polizei in München weitergeleitet, wo Christian W. bis April 2007 gewohnt hatte, bevor er nach Boracay auswanderte.
Der Deutsche werde konsularisch betreut, heißt es in dem Fernschreiben. Er räume zwar ein, in Begleitung einer Dame am Tatort gewesen zu sein und die Leiche gefunden zu haben. Dabei sei seine Begleiterin schreiend geflüchtet, und er habe in Panik die Leiche versteckt, statt die Polizei zu rufen. Die Botschaft habe gegenüber der Polizei deutlich gemacht, dass es deren Aufgabe sei, seinen Schutz zu gewährleisten. Christian W. sei mittlerweile nicht mehr in einer überfüllten Sammelzelle, sondern in einer Einzelzelle untergebracht. Der Täter habe an der Leiche DNA-Spuren hinterlassen, heißt es weiter, doch "es bleibt zu befürchten, dass lokale Polizeibehörden die notwendigen technischen Mittel zur Untersuchung nicht besitzen".
Die Münchner Mordkommission bot sofort an, ein Expertenteam nach Boracay zu schicken. "Mit unseren Mitteln wäre Schuld oder Unschuld von W. schnell bewiesen", so ein Münchner Kripobeamter. Doch die Münchner warteten vergebens auf grünes Licht aus Manila. Erst am 8. April meldete sich die Deutsche Botschaft erneut per Fernschreiben. Nun hieß es plötzlich, ein Anruf bei Christian W. im Gefängnis habe ergeben, "dass er mit seiner baldigen Freilassung rechnet. Die Anklage gegen ihn soll fallen gelassen werden. An der Leiche seien keinerlei DNA-Spuren von ihm nachgewiesen". Tatsächlich wurden bisher überhaupt keine DNA-Tests durchgeführt, wie Florenco Gonzales, der Anwalt von Christian W., bestätigt. Geredet werde oft davon, aber gemacht würden so teure Untersuchungen für Unterschichtopfer wie May May normalerweise nicht.
Christian W. ist bei der bayerischen Justiz kein Unbekannter
Die Münchner Ermittler erfuhren schließlich von Gerüchten, wonach Christian W. sich durch einen Deal mit der Opferfamilie aus dem Gefängnis und von der Anklage freizukaufen versucht. Nach philippinischem Recht können sich auch Straftäter durch Entschädigungszahlungen der Verfolgung durch den Staatsanwalt entziehen. Das gilt zwar nicht bei Mord, aber trotzdem kommt es nach Erfahrung von Hans-Jörg Albrecht vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht "sicher immer wieder vor". Nun wurde man in München misstrauisch. Die Staatsanwaltschaft zog den Fall an sich und leitete ein eigenes Ermittlungsverfahren wegen Mordverdachts gegen Christian W. ein (Aktenzeichen 128JS 10483/08).
Christian W. ist bei der bayerischen Justiz kein Unbekannter. Sein Vorstrafenregister ist lang: Verurteilung wegen des Besitzes von Kinderpornografie. Ein Jahr und zwei Monate Gefängnis auf Bewährung "wegen gewerbsmäßigen Betrugs in besonders schwerem Fall", wie der Münchner 2005 in einer sonderbaren Internet-Selbstdarstellung einräumt. Auch "Steuerhinterziehung im 5-stellig nachgewiesenen Bereich" gibt er dort zu. Hintergrund waren Geschäfte mit teuren 0190-Telefonnummern, mit denen er früher nach eigenen Angaben "jeden Monat 30-50 Tausend Mark" verdient habe.
Aus seiner brutal-sexistischen Haltung gegenüber Frauen hat Christian W. nie einen Hehl gemacht. In zahlreichen Internetforen hinterließ er entsprechende Spuren. Zuletzt erfuhren die Leser eines großen Boulevardzeitungs-Forums im Dezember, dass er einen Lottogewinn "zu 80% für Alkohol, Drogen und Prostituierte ausgeben" würde.
Mal nennt er seine Prostituierten-Bekanntschaften "Best stuff ever", mal "Tussie", mal "Wahnsinnsgirl". Selbst an den Geschlechtskrankheiten, die er sich zuzog, ließ er die Internetgemeinde teilhaben. In einem "Hurentestforum" postete er zwischen 2002 und 2004 Hunderte derart extreme Beiträge, dass er schließlich sogar dort ausgeschlossen wurde. Danach eröffnete er ein eigenes Hurentestforum namens "Hexxxenhaus" und versuchte, dort nebenbei "lebensechte" Silikon-Sexpuppen für 7000 Euro zu verkaufen.
Im Gefängnis genießt er viele Privilegien
Im Dezember 2006 flüchteten seine philippinische Frau und seine zwölfjährige Tochter in ein Münchner Frauenhaus. Im folgenden April wanderte Christian W. nach Boracay aus, wo er bei einem befreundeten Hotelbesitzer Unterschlupf fand. Mittlerweile hat die Münchner Staatsanwaltschaft ein Rechtshilfeersuchen an die Philippinen auf den Weg gebracht und fordert Zugang zum Beweismaterial. Doch mit dem Inselstaat hat Deutschland kein Rechtshilfeabkommen. "Offiziell hören wir von dort derzeit nichts", sagt Staatsanwalt Martin Kronester. Das Auswärtige Amt will sich "aus Rücksicht auf den inhaftierten Deutschen" zu dem Fall nicht äußern.
Derweil sitzt die Expertengruppe der Münchner Mordkommission "auf gepackten Koffern" (Kronester), kann aber nur ohnmächtig Gerüchte und Berichte im Internet verfolgen. Demnach genießt Christian W. im Gefängnis mittlerweile viele Privilegien. Er wird mit Alkohol und Zigaretten versorgt. Er hat einen Computer mit Internetanschluss und schreibt Rechtfertigungen in Webforen.
Der Bürgermeister der Heimatstadt des Opfers beklagt, Mylene de la Rosas Familie werde von Christian W.s Freunden unter Druck gesetzt, einem Deal zuzustimmen. W.s Anwalt behauptet dagegen, man werde von sich aus kein Geld anbieten, "das würde als Schuldeingeständnis interpretiert". Er will lieber warten, bis das Untersuchungsgericht ein solches "out of court settlement" vorschlägt. Christian W. hat in einem Forumsbeitrag schon angedeutet, um welche Summe es dabei gehen könnte: 250.000 Pesos. Das sind rund 3700 Euro.