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Prozess gegen Ex-Präsident Wulff Der Freispruch ist richtig, aber ...

Das Landgericht Hannover hat Wulff freigesprochen. Viele haben an diesem Urteil mitgewirkt. Journalisten, die vorab auf "unschuldig" plädierten. Und ein Richter, der es nicht immer so genau nahm.
Ein Kommentar von Hans-Martin Tillack

Das Landgericht Hannover hat Christian Wulff freigesprochen. Das ist gut so. Ja, dieses Urteil ist richtig. Aber eine zweite Bemerkung ist ebenso notwendig: Die Umstände, unter denen diese Entscheidung vorab von einigen herbeigeschrieben wurde, waren fragwürdig.

Zum ersten Punkt: Im Zweifel für den Angeklagten - dieser Grundsatz muss auch für ehemalige Bundespräsidenten gelten. Und die Staatsanwälte konnten einen zentralen Punkt ihrer Anklage eben nicht zweifelsfrei belegen. Hatte Christian Wulff an jenem Sonntag Ende September 2008 im Hotel Bayerischer Hof mitbekommen, dass der Filmproduzent David Groenewold 400 Euro zu den Kosten seiner Suite zuschoss? Dafür fehlte der letzte Beweis. Und die Bewirtung des Ehepaars Wulff im Käfer-Festzelt auf dem Oktoberfest (Wert: 140 Euro*) war dem Richter zu kleinteilig. Zu Recht.

Das Vorab-Urteil: unschuldig

Das heißt nicht, dass die Anklage von vornherein ein lächerliches Konstrukt war, wie einige vorab weismachen wollten. Dafür verwickelten sich sowohl Wulff wie vor allem Groenewold zu häufig in Widersprüche. In allen Punkten glaubwürdig war ihre Verteidigung nicht.

Selbst einer der engagiertesten Verteidiger Christian Wulffs, der SZ-Journalist Hans Leyendecker, rechnete noch im August 2013 damit, "dass ein Freispruch am Ende nicht erfolgen wird". Der Kollege schrieb das auf Basis einer offenbar recht intensiven Kenntnis der Ermittlungsakten.

Lange bevor Richter Frank Rosenow heute sein Urteil sprach, hatten viele Kollegen jedoch längst entschieden, wie es nur ausfallen könne: Unschuldig.

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Falsche Unterstellungen

In den vergangenen Tagen war viel von der Medienmeute die Rede, die den damaligen Präsidenten im Februar 2012 zum Rücktritt getrieben habe. Doch bei dieser angeblichen Kampagne kann auch heute keiner behaupten, dass zentrale Vorwürfe falsch oder erfunden waren. Keine der tausenden von Zeilen, die zum Beispiel der stern damals zu den Affären des Christian Wulff veröffentlichte, wurde vor Gericht attackiert.

Nicht so weit her war es mit der Faktentreue dagegen ausgerechnet bei der Welle von unterstützenden Artikeln, die Wulffs Freunde und Verteidiger jetzt im Vorfeld und während des Prozesses lancieren konnten. Da wurde seine Behauptung als Fakt präsentiert, die verfolgungssüchtigen Staatsanwälte hätten sogar Rechtshilfeersuchen an drei ausländische Staaten gestellt - was erfunden war. Oder es hieß in einem Bericht, Filmproduzent Groenewold sei gar nicht mehr an der Filmgesellschaft beteiligt gewesen, für deren Filmprojekt sich Wulff zweieinhalb Monate nach dem Hotelbesuch in München einsetzte. Ebenfalls Unsinn, Groenewold war sehr wohl noch Kommanditist.

Bundesverdienstkreuz am Revers

Man konnte den Eindruck haben, dass Wulffs Richter sich dieser Stimmung nicht zu entziehen vermochten. Oder wie ließ sich Richter Rosenows teils erstaunlich saloppe Prozessführung anders erklären? Der fragte selbst bei eklatanten Widersprüchen in den entlastenden Aussagen mancher Zeugen kaum noch nach. Und er verstieg sich bereits vor dem heutigen Urteil zu der Vermutung, Wulff sei "Jurist" und habe daher das "Risiko" gekannt, das ein Korruptionsdelikt mit sich gebracht hätte. Der Verdacht, dass der damalige Ministerpräsident wegen eines vergleichsweise überschaubaren Betrags seine "wirtschaftliche und gesellschaftliche Existenz" aufs Spiel gesetzt hätte, sei daher "wenig lebensnah".

Mit diesem Argument ließe sich freilich jede Kleinkorruption in besseren Polit- und Juristenkreisen wegerklären. Jemanden wie ihn der Korruption zu verdächtigen, sei abwegig - diesen Eindruck hatte ja auch Christian Wulff zu vermitteln gesucht. Nicht umsonst betrat er den Gerichtssaal in Hannover nie ohne sein Bundesverdienstkreuz am Revers.

Der Prominenten-Bonus

Mit dem Prominenten-Bonus, mit dem die Mächtigen und Reichen früher bei der Justiz rechnen konnten, sei es heute eindeutig vorbei, wird neuerdings immer wieder behauptet. Manche klagen bereits über einen Prominenten-Malus.

Tatsächlich aber können sich Prominente eben nicht nur die teureren Anwälte leisten. Sie finden auch leichter unterstützende Journalisten, die zu einem kleinen Tauschgeschäft bereit sind: Informationen gegen freundliche Berichterstattung.

Es gebe einen neuen Austragungsort für juristische Prozesse, und das sei die Öffentlichkeit, bemerkte am Mittwochabend der bekannte Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bei "Anne Will" in der ARD. Wer Geld habe, könne sich sehr kluge, sehr raffinierte Leute bestellen, die eine Geschichte "lancieren". So dass am Ende das Publikum den Freispruch bereits formuliert hat, bevor der erste Zeuge gehört wurde.

Der Eliten-Stammtisch

Was dann in der Zeitung über den angeblichen Übereifer durchgedrehter Ermittler zu lesen ist, das ist manchmal vielleicht wahr. Manchmal aber bedient es einfach nur die Schimpferei am Eliten-Stammtisch.

Und der ist nicht schon deshalb niveauvoller, weil er nicht in der Eckkneipe tagt, sondern beim "Borchardt" in Berlin. Oder im Käfer-Festzelt auf der Wiesn.

*Statt 140 Euro stand hier vormals irrtümlicherweise 200 Euro. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen, Red.

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