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Wulff-Prozess Der Angeklagte mit dem Bundesverdienstkreuz

Christian Wulff empfindet es als Zumutung, dass ihm der Prozess gemacht wird. Doch der Ex-Bundespräsident will kämpfen: für sein Recht, für eine Freundschaft und um die Deutungshoheit.
Von Hans-Martin Tillack, Hannover

Wenn es eine zentrale Botschaft gibt, die Christian Wulff an diesem Donnerstag vermitteln will, dann ist es diese: Hier steht ein vormals angesehener Mann, dem schweres Unrecht geschah.

Schwurgerichtssaal 127 im Landgericht Hannover. Vor knapp 70 Journalisten und 30 weiteren Zuschauern eröffnet Richter Frank Rosenow ein Verfahren, wie es Deutschland noch nicht gesehen hat: Einem ehemaligen Bundespräsidenten wird der Prozess wegen eines Korruptionsdeliktes gemacht. Der Richter wirkt immer wieder belustigt von diesem Schauspiel, doch Wulff ist es bitterernst. "Familienstand: Im Moment noch verheiratet?" fragt der Richter den Angeklagten. Knappe Antwort: "Ja."

Das Bundesverdienstkreuz - das große

Vor Prozessbeginn plaudert Wulff noch entspannt mit seinen Anwälten, die Hände in der Hosentasche. Das Jackett bauscht sich ein bisschen über Kragen und Brust, er trägt keine Brille, aber eine gesunde Gesichtsfarbe. Bereitwillig erläutert er den Journalisten, was für einen Anstecker er am Revers trägt: das große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband, aber in der Ausführung für den Straßenanzug.

Als dann Fotografen und Kameraleute draußen sind und Staatsanwalt Clemens Eimterbäumer die Anklageschrift gegen Wulff und den Filmproduzenten David Groenewold verliest, verfinstert sich die Miene des ehemaligen Präsidenten. Er kneift die Lippen zusammen, fixiert den Ankläger, schließt gelegentlich die Augen. Alles an ihm sagt: Es ist eine Zumutung, dass ich das über mich ergehen lassen muss.

Vorwurf der Bestechung ist nicht vom Tisch

Der Staatsanwalt verliest, was alles längst aus den Zeitungen bekannt ist: Dass Groenewold Ende September 2008 für Wulff und Gattin Bettina allerlei Kosten für ein Oktoberfestwochenende in München übernommen habe. Ein Upgrade für die Suite im Bayerischen Hof, ein Abendessen, ein Besuch im Käfer-Zelt auf der Wiesn. Gesamtwert um die 800 Euro.

Wulff, so der Ankläger, habe diese Vorteile im Wissen dessen angenommen, worauf es dem Geber angekommen sei: Dass sich der damalige Ministerpräsident wohlwollend für Groenewolds Interessen einsetze. Während das Landgericht nur die Anklage wegen Vorteilsannahme zuließ, beharrt Eimterbäumer darauf, dass auch eine Verurteilung wegen Bestechung und Bestechlichkeit immer noch in Betracht komme. Denn der Politiker habe eine konkrete Gegenleistung erbracht, in dem er sich mit einem Brief vom 15. Dezember 2008 bei dem damaligen Siemens-Chef für ein Sponsoring des Groenewold-Films "John Rabe" stark gemacht habe.

50 Minuten Solo für Wulff

Es ist 11.40 Uhr, als Wulff für die Entgegnung von seinem Stuhl hinter der Anklagebank aufsteht. 50 Minuten lang wird er reden. In der einen Hand Sprechzettel, denen man ansieht, das an ihnen viel handschriftlich korrigiert wurde, die andere Hand in der Hosentasche. Er verlasse sich darauf, dass "das Recht stärker ist als die Stimmungsmache", hebt er an. Ja, in Stilfragen habe er nicht immer alles richtig gemacht: "Ich bekenne mich zu meinen Fehlern und habe außerordentlich viel gelernt." Ja, er sehne sich "nach Ruhe". Aber einen Deal mit Geldauflage nur "aus Erschöpfung" habe er nicht akzeptieren können. Deshalb also dieser Prozess.

Wulff kommt zum Kernpunkt seiner Argumentation: Zwischen ihm und Groenewold sei es nicht um Geld und Geschäfte gegangen, sondern um eine sehr persönliche Freundschaft. "David Groenewold ist mein Freund", sagt er. Und er schildert den Verlauf dieser Freundschaft, wie sie ähnlich zuvor auch schon Groenewolds Anwalt in dessen Namen verlesen hat. Sie hätten sich gegenseitig bei Trennungen und Lebenskrisen unterstützt, sich besucht, Urlaube miteinander verbracht. Groenewold sei auf der Hochzeit nur zwei Stühle von ihm entfernt gesessen, habe Bettina nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes in der Klinik besucht. "Das ist Freundschaft", sagt Wulff.

Schließlich der Besuch auf dem Oktoberfest. Dass Groenewold 400 Euro für die zwei Übernachtungen im Bayerischen Hof zuschoss, habe er erst im Januar 2012 erfahren, sei "empört, extrem verärgert und betroffen" gewesen. Dass er nur 230 Euro für eine Suite aufbringen musste, fand Wulff nicht ungewöhnlich. Er habe in anderen Herbergen "regelmäßig ein repräsentatives Zimmer zum Normalpreis" bekommen, denn "die Hotels freuten sich über mich als Gast".

Oktoberfest als Oase

Ihm eine "Sause" zu unterstellen, sei absurd, sagt der Ex-Präsident. Ihm, der als "Alkoholverächter" verspottet werde, weil er nicht trinke. Ja, er habe im Festzelt mit Champagner angestoßen und die Kellnerin gebeten, die Flasche unter dem Tisch zu deponieren: "Ich wollte nicht damit fotografiert werden."

Doch damals, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, habe er "schlaflose Nächte" wegen der Arbeitsplätze im Land gehabt. Da sei der München-Trip "eine kleine Oase" für ihn gewesen. Und "ehrabschneidend" findet er den Vorwurf, er habe sich bei dem Siemens-Chef für den Film über "John Rabe" stark gemacht, um sich bei Groenewold für die Einladung zu bedanken.

Am Ende attackiert Wulff die Ermittler direkt, beklagt "Einseitigkeit", "Grenzüberschreitungen" und den "Verlust jeglicher Privatsphäre". In 33 Jahren in der Politik habe er "keine Zuwendungen angenommen". Und Wulff endet mit dem Satz: "Ich möchte, dass Recht gesprochen wird."

Zuvor hatte der Anwalt von Groenewold, der ebenfalls im Saal war, in dessen Namen eine Erklärung verlesen. Auch der Filmproduzent singt darin das hohe Lied der selbstlosen Freundschaft. Sie hätten beide den gleichen Literaturgeschmack und Humor geteilt, seien gemeinsam abends in Berlin ausgegangen. Er, Groenewold, habe als erster von Bettina Wulffs Schwangerschaft erfahren und Ultraschallbilder gesehen.

Das Hotel-Upgrade in München will Groenewold nur bezahlt haben, weil er gegenüber Freund Christian ursprünglich eine viel niedrigere Rate angekündigt habe: "Ich hatte einfach ein schlechtes Gewissen", sagt Groenewold: "Das war meine einzige Motivation."

Die Freundschaftslücke

Die Argumentation der beiden Männer ließ einige offene Fragen. Ein von Groenewold bezahltes gemeinsames Abendessen am Vorabend des Festzeltbesuchs, das ihnen die Staatsanwälte vorhalten – keiner der beiden konnte sich daran erinnern. Wulff argumentierte, die Kosten des Hotel-Upgrades hätten ihm andernfalls auch die CDU und das Land Niedersachen bezahlt, für die er Termine in München hatte. Aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zählt diese Ausflucht bei Korruptionsvorwürfen nicht.

Weder Wulff noch Groenewold gingen bei der Schilderung auf eine andere merkwürdige Lücke ein: Die vermeintlich so unverbrüchliche Freundschaft der beiden war eigentlich nach Wulffs Wahl zum Bundespräsidenten im Juli 2010 eingeschlafen. Ungefähr damals gab es auch erste Berichte über enttäuschter Anleger, die Groenewold auf Schadenersatz verklagt hatten. Er habe den alten Bekannten eineinhalb Jahre nicht getroffen, bekannte der Filmproduzent noch Ende 2011. Erst die Vorwürfe in den Zeitungen brachten beide offenkundig wieder zusammen. Gestern sagte Groenewold: "Ich freue mich, dass die Freundschaft nicht durch die Ermittlungen beeinträchtigt wurde."

Burda und Furtwängler im Zeugenstand

In den kommenden 21 Verhandlungstagen will das Gericht über 40 Zeugen hören, darunter die Schauspielerin Maria Furtwängler und ihren Mann, den Verleger Hubert Burda. Beide waren in dem Abend im Käfer-Zelt mit an dem Tisch, dessen Zeche von insgesamt 3209 Euro am Ende Groenewold übernahm.

Wulff erzählte im Gerichtssaal sogar, worüber er auf der Wiesn mit Burda gesprochen haben will: die Auswirkungen des Internets auf das Printgeschäft mit Zeitungen und Zeitschriften.

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