Rentendebatte Kirchhofs nächster Streich

Der Finanzexperte im Wahlkampfteam der Union, Paul Kirchhof, hat nach der Steuerdebatte eine Diskussion über die Privatisierung des Rentensystems entfacht.

Das Ziel müsse langfristig der Umstieg vom Umlagesystem zur Kapitaldeckung sein, zitierte die "Süddeutsche Zeitung" Kirchhof am Mittwoch. Bundeskanzler Gerhard Schröder wies den Vorstoß scharf zurück und warf Kirchhof vor, die Rente wie die Kfz-Versicherung organisieren zu wollen. "Daraus spricht ein Menschenbild, das wir nicht akzeptieren können: Menschen sind keine Sachen, und sie müssen anders behandelt werden", sagte Schröder. Auch Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel ging auf Distanz zu Kirchhofs Vorschlag und lehnte den Umstieg auf ein kapitalgedecktes System ab. CSU-Sozialexperte Horst Seehofer widersprach Kirchhofs Rentenplänen ebenfalls.

Kirchhofe: Generationenvertrag braucht neue Basis

"Wer Sicherheit im Alter haben will, muss selbst vorgesorgt haben", sagte der parteilose Steuerexperte Kirchhof. Neben der umlagefinanzierten Rente müsse die Kapitaldeckung als zweite Säule stärker aufgebaut werden. Der Generationenvertrag über die Altersvorsorge müsse auf eine neue Basis gestellt werden. Der Systemwechsel sei auch wegen des geltenden Alterseinkünftegesetzes fast zwangsläufig. Das Gesetz sieht vor, die Rentenbeiträge schrittweise steuerfrei zu stellen und stattdessen die Rente künftig stärker zu besteuern. Der Umstieg müsse vom Staat finanziell unterstützt werden.

In den vergangenen Tagen hatte Kirchhof bereits eine heftige Steuerdiskussion ausgelöst. Kirchhof strebt in der Steuerpolitik einen radikalen Systemwechsel mit einem Einheitssteuersatz von 25 Prozent an und ist damit innerhalb der Union auf zum Teil erhebliche Vorbehalte gestoßen. Bei der Rente wollen CDU und CSU ihrem Wahlprogramm zufolge am Umlagesystem festhalten, zugleich aber die private Komponente weiter fördern.

Merkel: Völlige Umstellung auf Kapitaldeckung nicht möglich

CDU-Chefin Merkel sagte, eine völlige Umstellung der Rente auf ein kapitalgedecktes System sei nicht möglich. "Das mag vor Jahren möglich gewesen sein, ist jedoch heute nicht mehr praktikabel", sagte sie dem "Kölner Stadt-Anzeiger" von Donnerstag. Das umlagefinanzierte System müsse durch eine private Altersvorsorge als zweite Säule ergänzt werden. Dazu wolle sie die Riester-Rente entbürokratisieren. Auch CDU-Generalsekretär Volker Kauder unterstrich, eine völlige Privatisierung des Rentensystems sei in den kommenden vier Jahren kein Thema. Im übrigen habe Kirchhof mit seinen Äußerungen exakt das Wahlprogramm der Union wiedergegeben, das einen Ausbau der privaten neben der gesetzlichen Rentenvorsorge vorsehe. CSU-Experte Seehofer rief im Internetportal "Spiegel online" dazu auf, das Wahlprogramm einzuhalten, in dem nicht von einer vollständigen Umstellung auf die Kapitaldeckung die Rede sei. Rückendeckung bekam Kirchhof von der FDP. Ein Umstieg vom Umlagesystem zur Kapitaldeckung sei zwar nicht von heute auf morgen realisierbar, aber langfristig unvermeidbar, sagte Renten-Experte Heinrich Kolb.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Krista Sager warf Kirchhof vor, er wolle die Sozialsysteme Stein um Stein einreißen. "Was auf einem Blatt Papier funktionieren mag, würde die Altersvorsorge in Deutschland zu einem Hochrisikounternehmen machen", sagte sie. Auch der ostdeutsche Sozialverband Volkssolidarität warnte, ein Systemwechsel nutze nur denjenigen, die viel Geld für die private Vorsorge hätten. "Geringverdiener, Beschäftigte in Minijobs oder Teilzeit sowie vor allem Frauen mit Kindern wären die großen Verlierer", sagte Verbandspräsident Gunnar Winkler.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Rentenansprüche im Grundgesetz verankert

Das Bundessozialministerium wies darauf hin, dass die durch die Beitragszahlungen erworbenen Rentenansprüche unter dem Schutz des Grundgesetzes stünden. Private Pensionsfonds dagegen hätten 2002 Verluste von 1,4 Billionen Dollar eingefahren, sagte Ministeriumssprecher Klaus Vater. "Das bedeutet, dass viele Arbeitnehmer, Gläubiger dieser Fonds, in bitterer Armut gelandet sind, obwohl sie und nachdem sie viele Jahre eingezahlt haben".

Reuters