Richling-Interview "Mich fasziniert die polyglotte Spießigkeit"

Bundespräsident Horst Köhler will Deutschland einen Nachschlag gewähren. Für Kabarettist Mathias Richling ist das kein Problem. Im stern.de-Interview beschreibt er, warum ihm auch nach zehn Köhlerreden der Comedy-Stoff nicht ausgeht und was er an unserem Bundespräsidenten bewundert.

Herr Richling, was fasziniert Sie so an Bundespräsident Horst Köhler?

Seine schwäbische Weltläufigkeit. Auf der einen Seite war er früher in allen möglichen Positionen unterwegs, in Washington beim Weltwährungsfonds, und er hat bestimmt von vielen Dingen eine Ahnung . . . Gleichzeitig macht er den Eindruck, als ob er jeden Abend aus dem Fenster guckt und aufschreibt, wann die Nachbarn aus dem Haus gehen und wann sie wieder zurückkommen. Diese polyglotte Spießigkeit, dieses weltläufige Enge, das ist das, was mich fasziniert.

Worin unterscheidet er sich von seinen Vorgängern?

Nach Johannes Rau, der alles getan hat, um Bundespräsident zu werden, kann man Köhler das nun nicht vorwerfen. Er wurde es eher zufällig. Aber nachdem er es geworden war, ist er es sehr gerne. Das merkt man ihm an. Die Entscheidung einer zweiten Amtszeit jetzt so hinauszuzögern, ist eine Show, die er gut beherrscht.

Zur Person

Mathias Richling ist deutscher Kabarettist, Autor und Schauspieler. In seinen Auftritten karikiert er meist Personen des öffentlichen Lebens, übertreibt auf bizarre Weise das Nichtssagende in deren Auftritten.

Möchte er sich bitten lassen?

Nein, nein! Das ist nicht bitten lassen. Er hat raffinierterweise etwas drauf, was viele Politiker versuchen, aber nur wenige so perfekt können: Mit wenigen Informationen hält er die Presseküche am Köcheln. Jetzt hat sich die FDP für ihn entschieden, die CSU hat sich entschieden, auch die CDU will ihn wieder. Herr Beck hat sich noch nicht ganz entschieden, aber halb hatte er sich schon entschieden! Und jedes Mal ist es wieder eine Riesenmeldung! Und dadurch hat man das Gefühl: Er ist ja unglaublich in den Medien präsent. Dabei ist es jedes Mal dieselbe Sache. Das zögert er taktisch sehr klug hinaus.

Wenn man ihn selbst fragt, ob ihm das Amt gefällt, dann sagt er: Es mache ihm Spaß. Was meint er damit?

Ich kann das persönlich nicht nachempfinden. Aber es gibt wohl Menschen, die an einem solchen Amt Freude haben. Es gibt ja auch Vereinsmeier in Deutschland. Das ist mir auch unerklärlich. Wenn man es überspitzt sagt: Früher haben sich die Herrscher einen Hofnarren gehalten, wir halten uns einen Bundespräsidenten. Denn wir wollen nicht vergessen: Der Souverän ist das Volk.

Was waren die Landmarken seiner ersten Amtszeit?

Ja, was sollte er denn machen? Er bekam von Frau Merkel gesagt, du wirst jetzt Präsident. Ja, was macht man denn da? Wie kann ich das denn jetzt machen? Und dann guckt er, was haben die anderen so gemacht? Ein Ruck gehört jedenfalls dazu. Und was ist ein Ruck? Auch Rau hat ja geruckelt mit irgendetwas.

Köhler mahnt permanent Reformen an . . .

Es ist alles dermaßen verkorkst. Wenn Sie mich ernst fragen, dann würde ich sagen, dass es die Zerschlagung des Gordischen Knotens braucht. Mehr kann er nicht, aber mehr muss er ja auch nicht.

Hätten Sie Christian Klar begnadigt?

Vermutlich eher nicht. Aber vor allem deshalb, weil ein solches Gnadengesetz im heutigen Deutschland nichts zu suchen. Es ist erfunden worden in einer Zeit, in der lebenslang wirklich noch lebenslang war. Das ist ein Relikt aus der Kaiserzeit.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ist er schwer darzustellen?

Ich betrachte meine Arbeit mehr als Karikatur denn als Comedy. Wenn jemand sprachlich nicht ergiebig ist, dann gibt es andere Dinge an ihm, die typisch sind. Diese Hilflosigkeit zum Beispiel, die sich in Köhlers erster Rede ausdrückte, wo schon der erste Satz lautete: Ich liebe dieses Land. Dieses In-sich-gefangen-Sein, das sieht man bei ihm in jeder Rede. Früher hatte er ein Manuskript, das konnte er dann nicht richtig ablesen, dann hat er das Manuskript weggelegt und einen Teleprompter genommen, und dann sah man immer genau, wie er davon ablas. Nun hatte er aber nichts mehr, um sich festzuhalten. Dann hält er sich am Tisch fest und liest immer den Teleprompter, und jetzt möchte er gerne umblättern, aber die Hände sind irgendwie hilflos.

Wünschen Sie als Kabarettist ihm denn eine zweite Amtszeit?

Mir ist wurst, wer Bundespräsident ist. Ich habe ungefähr zehn Köhler-Reden gemacht als Darsteller. Und jede ist in der Darstellung anders. Einmal habe ich das mit dem Ablesen vom Teleprompter gelöst, die erste Rede war mit sehr offenen Augen, da hat er sehr versucht, von sich aus zu strahlen. Das ändert er auch pausenlos, und entsprechend sind auch die Umsetzungen bei mir jedes Mal anders.

Wer bietet sich als Alternative an?

Also, Gesine Schwan kann ich mir vorstellen oder auch die frühere Gegenkandidatin von Johannes Rau, Dagmar Schipanski, die Professorin aus dem Osten. Inzwischen hätten wir allerdings ein Emanzipationsproblem, weil ja dann zwei Frauen an der Staatsspitze stünden. Wo bliebe da die Herrenquote?! Obwohl die von Frau Merkel miterfüllt wird. Frau Schwan wirkt auf mich, als ob sie wahrhaftiger wäre. Wer hält sich daran schon noch in der deutschen Politik? Es ist komisch, dass die Politiker nicht merken, dass sie mit Offenheit und Ehrlichkeit, mit Wahrhaftigkeit eigentlich viel weiterkämen. Einer wie der langjährige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel, der hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Der hatte eine Einschaltquote von 80 Prozent bei Wahlen. Faszinierend. Der wäre ein toller Bundespräsident gewesen.

Trauern Sie großen Figuren wie Herbert Wehner und Franz-Josef Strauß eigentlich nach?

Nein. Sonst müsste ich die hochgeschätzte Comedy machen. Das ist eine andere Baustelle. Ich habe als Prinzip, wenn morgen einer weg ist, dann rede ich über ihn nicht mehr. Natürlich waren die Figuren damals handfester. Das hat damit zu tun, dass früher Menschen öfters aus gelernten Berufen in die Politik gingen und das umsetzten, was sie konnten. Und wenn ihre Zeit um war, gingen sie zurück in ihren Beruf. Heute lernen die meisten, Politiker zu sein, und können nirgendwo zurück. Sie müssen es ihr ganzes Leben bleiben.

Interview: Philipp Maußhardt und Philipp Jarke