Wo er ist, ist oben. Und oben ist die Luft verflucht dünn. Schon auf dem Weg machen die meisten schlapp. Joschka Fischer vergleicht das gern mit dem Aufstieg auf einen Achttausender. Mitschleppen kann man da keinen. Zu viel Ballast. In der Politik, sagt Fischer, können Freundschaften "plötzlich zu einer unglaublichen Belastung werden". Daher ist es dort oben, wo Fischer immer hin wollte, sehr einsam. Die Frage drängt sich auf: Haben Sie noch Freunde, Herr Außenminister? Ja, antwortete Fischer kürzlich darauf. "Dany. Dany ist ein echter Freund." Pause. "Und der Otto."
Daniel Cohn-Bendit also,
der mit Fischer auf dem Marsch von der Revolte zur Realpolitik durch dick und dünn gegangen ist und heute die Grünen im Europaparlament anführt. Und Otto Schily, mit dem er 1983 in der ersten Grünen- Bundestagsfraktion saß und der später zur Sozialdemokratie konvertierte.
Der Grünen fressende Innenminister, mit dem Sie sich mindestens einmal im Quartal fetzen - ein Freund?
Na ja, sagte Fischer. "Wir sind zwei Gockel. Aber wir verstehen uns." Zuweilen sagt er sogar: "Wir sind dicke Freunde." Das bedeutet im politischen Betrieb nicht viel. Schon gar nicht in Zeiten wie diesen, in denen die Schlacht um die Visa-Affäre tobt. In denen Kanzler und SPD-Spitze, allen Vorfreisprüchen zum Trotz ("Der Außenminister bleibt Außenminister!") sorgsam darauf achten, vom Visa-Virus nicht infiziert zu werden. Es soll ein grüner Skandal bleiben, kein rot-grüner werden. Vor allem soll der Sicherheitsminister nicht hineingeraten.
Deshalb haben die dicken Freunde ein dickes Problem. Deshalb sorgt das Innenministerium dafür, dass entlastendes Material den Weg in Redaktionen findet. Ein gutes Dutzend Mal haben Schily und seine Beamten Fischer und das Auswärtige Amt schriftlich wie mündlich gewarnt, dass etwas schief laufe an der Botschaft in Kiew, dass Schleusern das Handwerk leicht gemacht werde. Schily hat seinen Job gemacht. Das soll jeder wissen.

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Für Rot-Grün
ist das Gegeneinander der Vorzeigefiguren prekär. "Wir haben doch nur Joschka und Otto", sagt einer aus der Koalitionsführung. Sie sind die Einzigen neben dem Kanzler, mit denen diese Regierung wirklich punkten kann. Sie nennen sich selbst die "Stabilisatoren" von Rot-Grün. Wer sie erschüttert, bringt das gesamte Gebilde ins Wanken.
Den Hebel dazu liefert das schwierige, spannungsgeladene Verhältnis der beiden Minister, eine Mischung aus "Konkurrenz und Verbundenheit", wie es ihr langjähriger Weggefährte Hubert Kleinert beschreibt. Das größte Problem aber ist ihr "gut gefülltes Arroganzkonto" (Schily). Wer Fischer und Schily gut kennt, fürchtet bereits ihr Erscheinen vor dem Untersuchungsausschuss. "Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, da ungerupft rauszukommen", ahnt ein Mitstreiter. "Ich weiß nicht, wie die da auftreten sollen, ohne sich gegenseitig zu belasten." Schily ist ein brillanter Darsteller von Staatsgewalt. Es gibt keinen anderen Sozialdemokraten, der so überzeugend den harten Hund geben könnte wie der mittlerweile 72-jährige Anwalt. Fast im Alleingang hat er das Sicherheitsproblem der SPD beseitigt. "Wenn es Otto nicht gäbe, müsste ich ihn erfinden", sagt Gerhard Schröder gern.
Schily nehmen die Wähler ab, dass er für Recht und Ordnung sorgt und die grünen Becks und Roths mit ihren Flausen von Multikulti und Liberallala in die Schranken weist. Dieser Nimbus soll nicht gefährdet werden, denn er sichert die Wahlchancen der SPD. Zeitweise brachte Schily es in Umfragen auf Rang zwei der beliebtesten Politiker. Das hatte keiner seiner Vorgänger geschafft, kein Schäuble, kein Seiters, kein Kanther. Nur an einem kam Schily nie vorbei: Fischer.
Natürlich hat ihn das gefuchst. Mit feinen Sottisen piesackte er "meinen Freund Joschka Fischer", der "ohne Probleme in der SPD sein" könnte. Oder er stichelte: "Wäre ich bei den Grünen geblieben, wäre ich heute Außenminister." Fast geplatzt vor Stolz ist Schily, als ihm George W. Bush in Washington eine spontane Kurzaudienz gewährte, als erstem deutschen Politiker nach seiner Wiederwahl.
Schily hält sich für den "Doyen des Kabinetts" und sagt das auch laut. Schily hält sich zudem für den eigentlichen Vater von Rot-Grün. Über Fischer sagt er: "Ich habe ihn entdeckt." Dann spricht er "mit väterlichem Stolz" über Joschka und erzählt, dass er es "großartig" finde, "wie sich Fischer entwickelt hat". Otto der Eitle braucht die gönnerhafte Pose, anders könnte er kaum akzeptieren, dass Fischer die Nummer zwei in der Regierung ist und die Kabinettsitzung leiten darf, wenn Schröder fehlt. Er tröstet sich damit, dem Kanzler nach dessen Aussage "in der Bundesregierung sicher am nächsten" zu stehen und eine "Zierde des Kabinetts" zu sein. Das zählt für Otto Schily, nur das.
Mit klammheimlicher Freude
hat er verfolgt, wie sich Liebling Joschka durch sein amateurhaftes Krisenmanagement immer tiefer in den Schlamassel ritt. Bei einem Besuch in Katar wurde Schily neulich gefragt, ob er eifersüchtig sei auf Fischers Popularität. Ach, sagte da der Innenminister und die Augen blitzten blau unter dem Cäsarenpony, "das sind doch nur Momentaufnahmen".
Ein paar Tage später schmierte der Höhenflieger ab. Von 1,6 auf 0,8 Punkte im Sympathieranking der Forschungsgruppe Wahlen - so rasant wie Fischer ist bisher nur Helmut Kohl auf dem Höhepunkt der Schwarzgeldaffäre zu Tal gerauscht.
Vergangenen Donnerstag nutzte Schily ein Treffen der EU-Innenminister in Brüssel, um ein paar Randbemerkungen zur leidigen Visa-Geschichte fallen zu lassen. Die Regeln seien korrekt gewesen, sagte Schily. Das klang wie eine Verteidigung Fischers. Dann aber sagte er Sätze wie diese, vergiftete Sätze: "Die Frage der Verwaltungspraxis ist natürlich ausschließlich Sache des Auswärtigen Amtes." Und: "Fehler müssen natürlich aufgearbeitet werden. Dann muss jeder zu seiner Verantwortung stehen." Er jedenfalls werde vor dem Untersuchungsausschuss "offensiv, nicht defensiv aussagen". Das klang wie eine Drohung.
Der Außenminister muss ahnen, was ihm da blüht. Als er im engeren Kreise beriet, wie er sich am besten aus der Affäre ziehen könnte, kam die Sprache auch auf Schily. "Dem trau ich da nicht", sagte Fischer über Otto, seinen dicken Freund.
Fischer weiß,
dass Schily nicht ihn treffen will, er will die Grünen treffen. Die Gründe dafür liegen zwei Jahrzehnte zurück. Schily wäre 1985 gern Umweltminister in Hessen geworden, aber die Grünen entschieden sich für Fischer. Den habe er empfohlen, biegt sich Schily heute die Niederlage schön. Auf Parteitagen machten ihn die Ökos an, weil er Schlips trug; er blaffte zurück: "Mich stört, dass ich in einer Partei bin, in der ich mich von Rotzlöffeln wie euch duzen lassen muss." Nachdem er 1989 entnervt zur SPD wechselte, rief ihm Ludger Volmer, ausgerechnet, nach: "Der unheimlich starke Abgang von Otto kommt um Jahre zu spät."
Im Grunde war Schilys Weg nach ganz oben, in die dünne Luft, vollgestellt mit Demütigungen. Seit er mit den Grünen in einer Regierung sitzt, rächt er sich dafür mit dem Furor des Konvertiten. Das macht ihn so gefährlich für Fischer.
Es gibt ein Foto, da sitzen zwei urgrüne Rauschebärten im groben Strick und studieren konzentriert irgendwelche Papiere. Hinter ihnen stehen Otto und Joschka - Schily in Anzug und mit korrekt geknoteter Krawatte, Fischer im Trench, darunter ein schwarzes Sweatshirt mit dem Aufdruck "Clochard". Die beiden sind Lieblinge der Medien, aber Außenseiter in ihrer Partei, die sie verächtlich "Promis" schimpft. Schily glänzt als scharfsinniger Aufklärer im Flick-Ausschuss, Fischer als scharfzüngiger Debattenredner, der Helmut Kohl als "pfälzisches Gesamtkunstwerk" verhöhnt, "welches in barocker Opulenz so langsam versumpft".
Der frühere FDP-Wähler Schily,
hochgebildeter, musischer Sohn eines Hüttendirektors mit Hang zur Anthroposophie, und der 16 Jahre jüngere einstige Taxifahrer Fischer, Metzgerssohn und Schulabbrecher, bildeten eine Kampf- und Leidensgemeinschaft. Sie wollten regieren! Mit der SPD! Manche Grüne fanden das empörender als die Parteitagsforderung zur Legalisierung von Sex mit Kindern. Fischer und Schily waren lange mutterseelenallein und angefeindet in ihrer Partei. Das schweißt zusammen.
Zunächst versuchte Schily, mit Fischer so umzuspringen, wie er mit allen Subalternen umspringt. Der grüne Herr war Fraktionschef, Fischer sein Parlamentarischer Geschäftsführer, ein Knecht. So verstand es Schily. Als er Fischer aber wegen eines Fehlers, den er, Schily, selbst begangen hatte, zusammenstauchen wollte, baute sich der vor ihm auf und kofferte zurück. Das hat Schily beeindruckt. Danach waren die Fronten klar. Von einer "Schlüsselszene" sprach Fischer später.
Abends zogen die beiden gern über die Bonner Adenauerallee, rüber in die "Provinz", eine Kneipe am Rande des Regierungsviertels. Der Distanzmensch Schily, von Fischer als "unser Präsident" bespöttelt, blieb auch hier reserviert, hockte am Tisch und orderte Brunello, während die anderen am Tresen Pils kippten. Dort schmiedete Fischer mit dem SPD-Abgeordneten Gerhard Schröder rot-grüne Pläne. Bierselig kritzelten sie Kabinettslisten auf irgendwelche Fetzen. Kanzler Schröder, Außenminister Fischer. Schily stand da auch drauf, aber unter ferner regieren. Justiz, Innen, Umwelt oder so. Auf dem Papier war Joschka schon Chef.
Fast 15 Jahre später,
am 27. Oktober 1998, sitzen Otto Schily und Joschka Fischer zum ersten Mal nebeneinander auf der Regierungsbank. Gerade sind sie als Minister vereidigt worden. Da stößt der ehemalige Polizistenprügler den früheren Terroristenanwalt an und flüsterte: "Otto, kneif mich mal, ich glaub, ich träume." Drei Jahre darauf, am 16. November 2001: die Vertrauensfrage wegen der Bundeswehr in Afghanistan. Schröder redet, Schily und Fischer schwelgen in Erinnerungen an grüne Zeiten. Und was aus ihnen geworden ist! Sie als starke Männer neben dem Kanzler, "das muss man sich mal vorstellen", sagt Fischer. In solchen Momenten empfinden die beiden vielleicht wirklich so etwas wie freundschaftliche Gefühle.
Kurz darauf können die Brauseköppe aber schon wieder heftig aneinandergeraten. Manchmal hat das etwas von Loriot. Legendär ist folgender Zank. Koalitionsgespräch im Konferenzraum des Außenministeriums. Fischer fehlt noch, Schily setzt sich - Macht der Gewohnheit - auf den Chefsessel. Fischer kommt, sieht's und pampt: "Das ist mein Sessel!" Keine Reaktion. Fischer: "Ich mag es nicht, wenn in meinem Haus jemand auf meinem Platz sitzt." Schily guckt hoch und sagt pikiert: "Ich kann ja wieder gehen." Fischer: "Bitte, ich habe nichts dagegen."
Unter vier Augen und bei einer guten Flasche Rotwein können die beiden selbst heikle rot-grüne Probleme besprechen und lösen. Sobald Publikum lauert, müssen sie sich spreizen wie Pfaue. Erklärt Fischer im Kabinett mal wieder ausufernd die Welt, meldet sich Schily reflexhaft zu einem Grundsatzvortrag. Vorigen Oktober knarzte Schily los, er habe "eine Frage an den Herrn Außenminister": Wieso dessen Parteichef Bütikofer einen offenen Brief gegen die Russland-Politik der Regierung unterzeichne? "Herr Kollege Innenminister, da müssen Sie den Vorsitzenden der Grünen fragen", gab Fischer kühl-überlegen zurück.
So geht es immer wieder.
Sich durchgesetzt zu haben gegen so viele Widerstände, das verbindet eben auch im Glauben, einzigartig zu sein. Fischer formulierte es mal so: "Wenn ein Kater auf den anderen stößt, fauchen sie sich an."
Eigentlich wollte Otto Schily nur bis 2002 Minister sein. Damit, sagte er, habe er den "Dienst für das Vaterland" erfüllt und werde sich auf sein Gut in der Toskana zurückziehen, wo Fischer vor neun Jahren nach der Trennung von seiner dritten Frau Unterschlupf gefunden und, weil nur klassische Musik im Haus war, seine Liebe zur Oper entdeckt hatte. Nun hat der Kanzler den Innenminister gebeten, sogar über 2006 hinaus mitzuregieren - und Schily hat zugesagt, für volle vier Jahre. Vor Fischer tritt er nicht ab.
Im Sommer 2003 traf sich das Kabinett zur Klausur auf Schloss Neuhardenberg. Samstagabend zogen sich Schröder, Schily und Fischer zurück und spielten Skat. Fischer gewann. Da hatte er noch die besseren Karten.