Es gibt ein Leben jenseits von Politik und Karriere: Mit dieser Entscheidung setzt die Piratin Marina Weisband neue Akzente im Politikbetrieb. "Es ist völlig normal, dass eine 24-jährige ihr Diplom schreiben möchte. Das tun wir 24-jährigen nunmal so", schrieb sie in ihrem Blog, etwas verwundert ob des großen öffentlichen Interesses an ihrer Entscheidung.
Die Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland ist in kurzer Zeit zu einem Medienstar avanciert, eine Talk-Show reichte sie zur nächsten weiter, und für die Boulevardpresse war sie nur die "schöne Piratin". Zuerst freute sich Weisband über das unerwartete Interesse der Medien - etwa Anfang Oktober nach ihrem ersten Auftritt vor der Bundespressekonferenz, kurz nach dem überraschenden Erfolg der Partei bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Gut zwei Monate später aber stöhnte sie in einer bitteren persönlichen Analyse: "Ich hasse es schon, dass ich so weit im Vordergrund stehe." Denn ihre Medienpräsenz bestehe "zu 80 Prozent aus Fotos, Kommentaren über meine Frisur, meine Kleidung, meine Hobbies, meine Art".
Weisband gehört nicht nur zu den auffälligsten, sondern auch zu den klügsten Köpfen der Piraten, mit Beiträgen über das Leben in der Internet-Ära, die Rolle von Bildung oder die gesellschaftliche Rolle von Frauen. So antwortete sie etwa auf die Frage nach dem vergleichsweise geringen Frauenanteil bei den Piraten: "Echte Gleichberechtigung beginnt erst dann, wenn nicht mehr gezählt wird."
Ein Leben wichtiger als die Karriere
Zur Entscheidung des Offenbacher Parteitags, das Modell eines Bedingungslosen Grundeinkommens ins Programm aufzunehmen, erklärte sie: "Wir können uns erstens eine Vollbeschäftigung nicht mehr leisten, und zweitens brauchen wir sie auch nicht mehr. Wir bezeichnen alles als Arbeit, was für die Gesellschaft nützlich ist." Dazu gehöre auch die Pflege von Familienangehörigen und die Gestaltung von Kunst. Wir sind in einer Informationsgesellschaft, in der plötzlich die produktive Kraft das Wissen ist. Und Wissen hat die Eigenschaft, dass es nicht ausgeht."
Geboren in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, zog Weisband mit ihrer Familie als Sechsjährige nach Wuppertal. Nach dem Abitur begann sie 2006, in Münster Psychologie zu studieren. Die nach eigenem Bekenntnis gläubige Jüdin zeichnet auch und malt Bilder, gegenständlich, mitunter im naiven Stil.
Die Entscheidung der Piratin sei Ausdruck einer Generation, die davon überzeugt sei, dass es ein Leben neben dem Beruf gebe, der andere Dinge wichtiger seien als die sogenannte Karriere, sagt der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Grüne). "Obwohl sie viel Aufmerksamkeit bekommt und ganz wichtig ist für ihre Partei, ist es ihr erst mal wichtig, ihre Ausbildung abzuschließen. Das ist mir sehr sympathisch."
Piraten wollen keine Berufspolitiker werden
Erfahrungen außerhalb der Politik seien wesentlich, um den Blick für die Notwendigkeit politischer Gestaltung zu schärfen, erklärt der netzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion: "In einer Demokratie der Bürgerinnen und Bürger ist es wichtig, dass wir kein abgeschottetes elitäres Kastensystem haben, sondern dass ganz normale Menschen Politiker werden und dass Politiker wieder ein ganz normales Leben führen." So habe sich jetzt auch seine Kollegin Luise Amtsberg (27) entschlossen, trotz guter Chancen nicht erneut für den Landtag von Schleswig-Holstein zu kandidieren.
Ihre Diplomarbeit über Wertvorstellungen ukrainischer Kinder im Kopf und die Belastungen der Parteiarbeit in den Knochen, will Weisband jetzt erst einmal kürzer treten. "Ich werde auf jeden Fall weiter in der Piratenpartei aktiv bleiben und meine eigenen Themen vorantreiben", sagte sie der Nachrichtenagentur dpa.
Dazu gehört auch ein neues Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft. "Politiker müssen nahbar werden", wünscht sich die Piratin. "Ich werde mir keine "dickere Haut" zulegen, meine Haut ist dick genug. Ich werde meine Ohren nicht verschließen. Ich bin ein Experiment. Kann eine Gemeinschaft einen Politiker machen? Können wir die Politik dadurch verändern?"