"Anne Will" Er stehe nicht auf Seiten der Ukraine: Kiesewetter erhebt schwere Vorwürfe gegen Bundeskanzler Scholz

Von Simone Deckner
Roderich Kiesewetter bei der Aufzeichnung von "Anne Will" am Sonntag
Sieht bei "Anne Will" den Bundeskanzler als Hindernis bei Waffenlieferungen an die Ukraine: Roderich Kiesewetter (CDU)
© Wolfgang Borrs/NDR / DPA
Roderich Kiesewetter (CDU) attackiert bei "Anne Will" Bundeskanzler Olaf Scholz scharf. Er kann nicht verstehen, dass Deutschland noch immer keine schweren Waffen an die Ukraine geliefert hat. Er steht nicht allein mit seiner Kritik.

Er war selbst nicht zu Gast, aber Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stand im Zentrum der teils hitzigen Diskussion bei "Anne Will" am Sonntagabend. Vor allem in der Kritik: Die Verzögerungen  bei den Waffenlieferungen an die Ukraine und die Kommunikation der Regierung. Als schärfster Kritiker des Regierungschefs tat sich Roderich Kiesewetter (CDU) hervor. Der Oberst a.D. sagte, er verstehe nicht, warum Deutschland bislang noch keine schweren Waffen an die Ukraine geliefert habe, obwohl dies parteiübergreifend längst beschlossen wurde.

Dafür sei klar ein Mann verantwortlich: "Das Problem liegt im Kanzleramt", benannte Kiesewetter Scholz als den Schuldigen. "Ich denke, er spielt auf Zeit", so seine Vermutung. Auf Anne Wills Nachfrage, was Scholz denn von solchen Spielchen haben solle, antwortete Kiesewetter mit einem schweren Vorwurf: Der Kanzler mache auf ihn nicht den Eindruck, als stünde er auf der Seite der Ukraine, schlimmer noch: "Ich befürchte, dass der Bundeskanzler nicht will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt" – zumindest, wenn mit Gewinnen ein kompletter Rückzug der Russen aus dem Land gemeint sei.

Michael Roth übernahm die Rolle des Scholz-Verteidigers: Es sei "unangemessen", dem Bundeskanzler in einer so dramatischen Lage "Spielchen vorzuwerfen", so Roth. Er tue sich zudem schwer, "hier vom Sessel aus militärische Ratschläge zu erteilen", so Roth: "Wie dieser Krieg beendet wird, darüber müssen die Ukrainer und Präsident Selenskyj selbst entscheiden." Die Bundeswehr habe zudem "nur begrenzte Kapazitäten" und die Industrie könne die schweren Waffen nicht so schnell liefern wie gewünscht.

Es diskutierten bei "Anne Will" über die Waffenlieferungen an die Ukraine:

  • Michael Roth (SPD), Mitglied des Bundestages und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
  • Roderich Kiesewetter (CDU), Mitglied des Bundestages und Oberst a.D.
  • Marina Weisband, deutsch-ukrainische Publizistin, Mitglied der Grünen
  • Jan van Aken, (Die Linke) arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu internationalen Krisen- und Konfliktgebieten
  • Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München

"Größere Nato, mehr Waffen – die richtige Antwort auf Putins Krieg?", diese Frage hatte Anne Will der Diskussion vorangestellt, doch alles drehte sich um die Waffenlieferungen, zur Nato kamen die Diskutanten nicht mehr. Roderich Kiesewetter bemängelte, dass "Deutschland als Scharnierland in Europa nicht das leistet, was wir könnten", nämlich: Sofort schwere Waffen liefern und zwar solche, die die Ukraine braucht, wie die Kampf- und Schützenpanzer "Marder" und "Leopard". Stattdessen wolle die Bundesregierung die Flugabwehrkanonenpanzer "Gepard" schicken: "Die standen nicht auf der Wunschliste", so Kiesewetter. Aber selbst von diesen sei bisher keiner in der Ukraine angekommen: "Geliefert wurde bisher null!"

Linken-Politiker Jan van Aken vertrat eine andere These: Nicht mehr Waffen seien jetzt gefordert, sondern wirksamere Sanktionen. Die bisherigen nannte van Aken "lächerlich". Jeden Tag überweise Deutschland weiter 320 Millionen Euro nach Moskau für russisches Öl, "das ist das Gegenteil von Sanktionen", so van Aken. Stattdessen müsse man die Konten russischer Multimillionäre einfrieren, "dann trifft man Putin empfindlich", so der Linken-Politiker. 

Marina Weisband: "Massiv Vertrauen verspielt"

Auch die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband kritisierte Olaf Scholz. Weisband: "Ich hätte gern vom Bundeskanzler gehört: 'Die Ukraine muss gewinnen.'" Stattdessen habe der Kanzler in seiner Regierungserklärung nur davon gesprochen, dass die Ukraine "bestehen" müsse. "Für mich ist überhaupt keine klare Linie der deutschen Regierung sichtbar", sagte Weisband. Mit dieser Wahrnehmung stehe sie auch nicht allein da: In der Ukraine nähmen die Menschen es mittlerweile als gegeben hin, dass man von Deutschland und Frankreich "nichts erwarten kann". Jedes Mal, wenn Macron oder Scholz mit Putin telefonierten, würde ihre politische Linie danach "weicher", so Weisband. "Wir verspielen ganz massiv Vertrauen", kritisierte sie die europäischen Regierungschefs.

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Sie verstehe alle Menschen, die Angst haben vor einem Atomkrieg, so Weisband, aber sie habe als Ukrainerin mit jüdischer Geschichte gelernt, dass "das beste Mittel gegen Angst ist nicht ,einem Aggressor etwas zu geben, sondern es ist Resilienz, es ist Widerstandskraft und es ist Subversion." Weisband weiter: "Wir helfen den ukrainischen Geflohenen und wir sorgen dafür, dass die Ukraine gewinnt." Man werde nicht darum herum kommen, weiter mit Putin zu reden und ihn an den Verhandlungstisch zu zwingen, "aber wir werden ihm kein Wort glauben können", mahnte Weisband.

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Anne Will beendete ihren Polit-Talk mit einem selbstkritischem Fazit: "Ich bin mir nicht sicher, ob wir dazu beigetragen haben, dass die Menschen jetzt mit weniger Angst ins Bett gehen."