Landtagswahlen Ein einziger Wahlkreis könnte die Linke in Sachsen retten – oder die Grünen

Haustürwahlkampf Linke Leipzig
Haustürwahlkampf der Linken Leipzig im Wahlkreis Leipzig 1
© Christoph Winkler
Linke und Grüne könnten in Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern – wegen einer Sonderregel aber trotzdem in den Landtag ziehen. Ein Überlebenskampf ist entbrannt.

Nam Duy Nguyens ist erst 28 Jahre alt, seine Wahlkampfstrategie viel älter: Er klopft an so viele Türen in seinem Wahlkreis wie möglich. Haustürwahlkampf extrem, vor allem in den Plattenbauten im Leipziger Südosten und Osten. Viele, die ihm da die Tür aufmachen, hätten schon lange keinen Politiker gesprochen, vielleicht sogar noch nie. "Unsere Leute", nennt der Linken-Direktkandidat sie. 

An knapp 45.000 Türen haben Nguyen und seine Unterstützer laut eigener Angabe bereits geklingelt. Er sei zunehmend zuversichtlich, dass er hier, im Zentrum Leipzigs, das Direktmandat gewinnen könne – obwohl seine Partei das noch nie geschafft hat. Doch dieses Mal könnte es die Linke vor dem Rauswurf aus dem Landtag retten.

Nguyens Gegner bei der Sachsen-Wahl ist nicht die AfD

Nguyens politische Gegner hingegen werden mit jeder geöffneten Tür nervöser. Im Wahlkreis Leipzig 1 sind das nicht etwa die CDU oder die AfD. Sondern die Grünen. 2019 gewann die Grüne Christin Melcher den Wahlkreis. 2024 könnte auch der Einzug ihrer Partei in den Landtag davon abhängen, ob sie das erneut schafft.

Nam Duy Nguyen in Leipzig
Linken-Direktkandidat Nam Duy Nguyen hat das Gespräch mit Wählern zum zentralen Element seiner Kampagne gemacht
© Johannes Schmidt

Leipzig 1 ist zum umkämpftesten Wahlkreis bei der sächsischen Landtagswahl geworden. Das hat zu tun mit dem Kampf gegen die AfD, mit einer Spende in Höhe von 25.000 Euro – und einer Besonderheit im sächsischen Wahlrecht.

Denn in den sächsischen Landtag ziehen alle Parteien ein, die entweder fünf Prozent der Stimmen erringen – oder zwei Direktmandate. Die Linkspartei wird es höchstens auf dem zweiten Weg in den Landtag schaffen. In den Umfragen steckt sie fest zwischen drei und vier Prozent. Und auch für die Grünen könnte es knapp werden. Keine aktuelle Umfrage sieht sie sicher im Landtag.

Grüne und Linke könnten auf Direktmandat angewiesen sein

Beide Parteien könnten deshalb auf Leipzig 1 angewiesen sein. Nguyen nennt den Wahlkreis gar eine "Lebensversicherung" der Linkspartei, schließlich gilt ihr sachsenweit nur ein weiteres Direktmandat als sicher.

Die Grünen sind längst im Angriffsmodus: Eine grüne Bundestagsabgeordnete aus Leipzig warf dem Linken Nguyen vor, er mache Wahlkampf nach dem Prinzip "Enkeltrick". Nguyens 150 ehrenamtliche Unterstützer würden Wähler an der Wohnungstür subtil dazu drängen, das Kreuz bei Nguyen zu machen. Und das, ohne sich als Wahlkämpfer der Linken zu erkennen zu geben. Nguyen bestreitet das. "Die Grünen waren wohl überrascht von den PS, die wir hier auf die Straße gebracht haben", sagt er. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Da könnte man jetzt sagen: Möge der Bessere gewinnen – oder die Bessere.

Grüne beklagt Einmischung von außen

Doch die grüne Kandidatin, Christin Melcher, beklagt Einmischung von außen. Denn der Kampagnenverein Campact mit Sitz im niedersächsischen Verden hat dem Linken Nguyen seine Unterstützung ausgesprochen. Nun ruft der Verein mit einer Postwurfsendung an alle 27.000 Haushalte im Wahlkreis zu Nguyens Wahl auf. "Campact spielt hier Linke und Grüne gegeneinander aus", sagt Melcher, die seit 2019 im Landtag sitzt.

Christin Melcher in Leipzig
Wahlkampfendspurt in Leipzig: Die grüne Landtagsabgeordnete Christin Melcher (2.v.l.) beklagt Einmischung von außen
© Imago

Auch Nguyen positionierte sich mit zwei weiteren Leipziger Direktkandidaten zunächst gegen die Kampagne. "Wir halten es für keine kluge Strategie, dass zivilgesellschaftliche Akteure, die nicht vor Ort verankert oder aktiv sind, den Menschen im Osten Wahlempfehlungen erteilen", schrieben sie. 

Später nahm Nguyen trotzdem eine Wahlkampfspende in Höhe von 25.000 Euro von Campact an – er nennt das Geld einen "Chancenausgleich für die Ressourcen, über die etablierte Politiker im Vergleich zu politischen Newcomern verfügen." Melcher sagt, sie erhalte von ihrer Partei nicht einmal halb so viel für ihren Wahlkampf.

Die AfD könnte die Regierung erpressen

Luise Neumann-Cosel, die die Erststimmen-Kampagne bei Campact koordinierte, kann die Aufregung nicht so recht verstehen. "Unser Ziel ist es, zu verhindern, dass die AfD mehr als ein Drittel der Sitze im sächsischen Landtag gewinnt." Beim Erreichen dieser sogenannten "Sperrminorität" könnte die AfD zum Beispiel verhindern, dass neue Verfassungsrichter gewählt werden – und so Zugeständnisse von der Regierung erpressen. 

Da kommen die Direktmandate ins Spiel: Schaffen es Linke und Grüne darüber ins Parlament, erhält die AfD weniger Sitze. Auch in drei weiteren umkämpften Wahlkreisen unterstützt Campact Direktkandidaten, zwei von ihnen Grüne.

"Auf Basis von Wahlergebnissen haben wir berechnet, wer in welchem Wahlkreis die besten Chancen auf das Direktmandat hat", sagt Neumann-Cosel. "Im Wahlkreis Leipzig 1 haben wir uns auch aufgrund seiner riesigen Schar an Unterstützern für Nguyen entschieden." Dessen Konkurrentin Melcher findet: Damit hat Campact einen Überlebenskampf zwischen Linken und Grünen provoziert.

Der Showdown wäre vermeidbar gewesen

Dabei hätte es zu diesem Showdown überhaupt nicht kommen müssen, sagt Campact-Koordinatorin Neumann-Cosel. "Wir haben bereits im Juni das Gespräch mit den sächsischen Grünen und Linken gesucht." Hätten beide Parteien in jeweils zwei Wahlkreisen auf eine Direktkandidatur verzichtet, wäre wohl sowohl Linken als auch Grünen ein Einzug in den Landtag sicher. "Dann müsste heute niemand zittern."

Es kam anders. Und deshalb werden Linke und Grüne in ganz Sachsen am Sonntagabend nicht nur nervös auf ihr Zweitstimmen-Ergebnis schauen, sondern auch auf den Wahlkreis im Leipziger Zentrum. Von Campact heißt es schon einmal vorsorglich: "Es kann auch passieren, dass unsere Strategie scheitert."

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