In der Visa-Affäre sieht Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) keine deutschen Verstöße gegen EU-Recht. EU-Innenkommissar Franco Frattini werde in seiner Untersuchung des umstrittenen so genannten Volmer-Erlasses und der Nachfolgeregelung zur Visa-Vergabe zu dem Ergebnis kommen, dass Deutschland sich immer auf den Standpunkt gestellt hat und "dass die Schengenregeln einzuhalten sind", sagte Schily vor einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel.
300 Seiten EU-Bestimmungen
Im grenzfreien Raum des Schengener Abkommens, dem auch Deutschland angehört, gelten einheitliche Regeln für die Visa-Erteilung. Die Kommission prüft, ob die Anweisungen des Auswärtigen Amtes an die deutschen Konsulate zur Visa-Erteilung mit den 300 Seiten starken und detaillierten Visa-Bestimmungen der EU übereinstimmen.
Nach Außenminister Joschka Fischer sind nun auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und Bundeskanzler Gerhard Schröder stärker in den Sog des Visa-Skandals geraten. Wie der stern berichtet, war der Fischer-Volmer-Erlass, der zu einem massenhaften Visa-Missbrauch führte, entgegen der Behauptung von Regierungssprecher Béla Anda doch Thema im Bundeskabinett.
Konflikt sollte auf Arbeitsebene geklärt werden
Schon am 15. März 2000 hatte sich Otto Schily zu diesem Thema zu Wort gemeldet hat. Er erklärte, durch den Erlass werde seine Politik zur Steuerung des Ausländerstroms untergraben. Obwohl er für den Schutz der Grenzen zuständig sei, habe ihn der Kollege Fischer nicht eingebunden. Als Fischer den Vorwurf zurückwies, griff Schröder ein und erklärte, der Konflikt solle auf Arbeitsebene geklärt werden.
Das Kanzleramt ist auch in der Folgezeit durch Berichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) stets gut über die Folgen des Volmer-Fischer-Erlasses informiert gewesen. Fischer selbst ist bei einem Besuch der Botschaft in Kiew im Sommer 2000 über die schon damals unhaltbaren Zustände bei der Visaerteilung informiert worden. Aus einem Dokument der Botschaft zitiert der stern den Satz: "Auf ausdrückliche Weisung und Billigung des BM (Bundesminister) ist die Botschaft personell und räumlich besser ausgestattet worden."
Was die Untersuchungen der EU betrifft, prüft Frattini derzeit auf Anfrage eines CDU-Europaabgeordneten, ob der Volmer-Erlass und die jetzige Visa-Regelung in deutschen Konsulaten gegen EU-Recht verstoßen. Mit Ergebnissen rechnet die Kommission nicht vor April.
Schily zeigte sich überzeugt, dass die Visa-Affäre bei der Debatte mit seinen EU-Kollegen keine Rolle spielen wird. "Das klären wir in einem Untersuchungsausschuss in Berlin", sagte er. "Wir können nicht einen Untersuchungsausschuss in Brüssel stattfinden lassen."

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Sollte die EU-Kommission zu dem Ergebnis kommen, dass der nach dem früheren Außenamts-Staatsminister Ludger Volmer benannte und inzwischen aufgehobene Erlass nicht mit EU-Recht übereinstimme, seien keine rechtlichen Schritte auf EU-Ebene mehr zu erwarten, hieß es in Kommissionskreisen. Entscheidend sei für die Kommission, ob die jetzige Regelung legal sei.
BKA stellt Schleuserbericht vor
In der Affäre um massenhaften Missbrauch deutscher Einreise-Visa befasst sich der Bundestags-Untersuchungsausschuss mit einem Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) zur Schleuserkriminalität.
Der 2001 begonnene und 2003 fertiggestellte Wostok-Sonderbericht des BKA über die Folgen der neuen Visa-Praxis landete laut stern auch auf Schilys Schreibtisch. Darin wird gemeldet, dass auch tschetschenische Terroristen, die in die blutige Geiselnahme im Moskauer Musicaltheater verwickelt waren, mit in Moskau erschlichenen deutschen Visa mehrfach in die Bundesrepublik eingereist sind.