Andrij Melnyk ist ein Freund deutlicher Worte, spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine auch drastischer. Er sei "ein Soldat an der diplomatischen Front", sagte der ukrainische Botschafter im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung", der seine Mission darin sieht, "dass die Ukraine ganz oben auf der Tagesordnung der deutschen Politik bleibt".
Entsprechend scharf formuliert Melnyk seine Kritik, die nicht immer vornehm diplomatisch daherkommt. Das bekommt gerade besonders die SPD zu spüren. Die verbalen Angriffe sind derart heftig, dass sich die Parteispitze offenbar gezwungen sah, das Gespräch mit Melnyk zu suchen.
Nach wiederholter Kritik des ukrainischen Botschafters an der Russland-Politik der Sozialdemokraten wollte sich Co-Chefin Saskia Esken an diesem Mittwoch mit dem unbequemen Diplomaten treffen.
Eskens Ziel: das "offene und vertrauensvolle Gespräch zu pflegen", teilte sie auf Twitter mit.
Melnyks Hoffnung: Die SPD gibt "ENDLICH" grünes Licht für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und für das Embargo von russischem Gas und Öl, antwortete der Diplomat auf die Einladung.
Zur Frage der Lieferung schwerer Waffen gab es bisher widersprüchliche Signale aus der SPD, während Grüne und FDP dafür sind. Einem generellen Energie-Embargo hat die gesamte Ampel-Regierung eine Absage erteilt.

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SPD-Spitzenpolitiker massiv in der Kritik
Während sich Esken in Entspannungspolitik versucht, lässt Melnyk freimütig wissen, was er erwartet – und von wem. Der ukrainische Botschafter hatte in den vergangenen Wochen immer wieder mit scharfen Worten den früheren Russland-Kurs der SPD verurteilt, für den sie seit Wochen massiv kritisiert wird. Zahlreiche Top-Genoss:innen standen zuletzt am Pranger:
- Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wollte zusammen mit den Staatspräsidenten Polens, Lettlands, Litauens und Estlands nach Kiew fahren, wurde von der Ukraine aber offenbar ausgeladen. Zuvor war Steinmeier für seine Russland-Politik kritisiert worden, als er noch Außenminister war.
- Der ehemalige Vizekanlzer und Außenminister Sigmar Gabriel lieferte sich am Wochenende einen harten Schlagabtausch mit Botschafter Melnyk, warf ihm in einem Gastbeitrag für den "Spiegel" etwa "gezielte Angriffe" auf Bundespräsident Steinmeier und "Verschwörungstheorien" vor. Melnyk hatte Steinmeier bezichtigt, "seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft" zu haben.
- Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig wird eine zu enge Bindung an den russischen Gaskonzern Nord Stream 2 vorgeworfen – und sieht sich mittlerweile mit Rücktrittsforderungen und Forderungen nach einer konsequenten Aufklärung und Offenlegung aller Kontakte zwischen der Regierung in Schwerin und der Gazprom-Tochter Nord Stream 2 konfrontiert.
- Bundeskanzler Olaf Scholz steht als Zauderer dar, da er sich bisher gegen die Lieferung schweren Waffen an die Ukraine stellt. Zwar sagte der Kanzler der Ukraine zu, direkte Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu finanzieren. Doch nicht zuletzt die Ukraine kritisiert die Ankündigung als unzureichend. Sie seien in der ukrainischen Hauptstadt Kiew "mit großer Enttäuschung und Bitterkeit" zur Kenntnis genommen worden, sagte Botschafter Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. Im ZDF-"heute journal" monierte er zudem: "Die Waffen, die wir brauchen, die sind nicht auf dieser Liste."
Zoff und Zaudern statt "Zeitenwende", wie sie Kanzler Scholz vor wenigen Wochen ankündigte – das ist das Image, das derzeit an der SPD zu haften scheint. Ob SPD-Co-Chefin Esken diesen Eindruck im Gespräch mit Melnyk zerstreuen konnte, ist ungewiss. Nach dem rund einstündigen Gespräch sei Stillschweigen über das Treffen vereinbart worden, heißt es laut "Welt" aus Teilnehmerkreisen. Es sei aber ein "angenehmes und zugewandtes" Gespräch gewesen, man wolle im guten Austausch bleiben.
Einen ersten Versuch, dem öffentlichen Druck der vergangenen Tage und Wochen etwas entgegenzusetzen, unternahm Co-Chef Lars Klingbeil. Er reagierte indirekt auf Gabriels Kritik an Botschafter Melnyk und sprach eine Art Machtwort: "Alle sollten sich darauf konzentrieren, worum es wirklich geht", zitierte ihn die "Bild"-Zeitung. "In der Ukraine sterben jeden Tag Menschen. Und verantwortlich dafür ist der russische Präsident Putin, ein Kriegsverbrecher, der seinen brutalen Angriffskrieg im Osten des Landes weiter verschärft. Unser Fokus liegt auf der Unterstützung der Ukraine. Alles andere ist Nebensache und total unnötig."
Quellen: "Süddeutsche Zeitung", "Der Spiegel", "Bild", "Welt", mit Material der Nachrichtenagentur DPA