In der SPD-Spitze zeichnet sich breiter Konsens über den Entwurf für das Wahlmanifest ab, über das Parteivorstand am Montag entscheiden wird. Vor der Beratung des erweiterten Vorstands über den Text sprach die Sprecherin der Parteilinken, Andrea Nahles, von weitgehender Einigkeit in der SPD.
"Mein Eindruck ist, dass wir insgesamt eine sehr geschlossene SPD hinter dieser Wahlplattform haben", sagte sie im Deutschlandfunk. Auch Finanzminister Hans Eichel unterstützt den Entwurf nach Angaben eines Sprechers. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, der zentrale Positionen wie den Steuerzuschlag auf hohe Einkommen abgelehnt hatte, sagte, das Programm bedeute keine Abkehr von den Reformen.
Kernpunkte des SPD-Programms
Steuerzuschlag für hohe Einkommen: Auf Jahreseinkommen über 250.000 Euro (500.000 bei Verheirateten) soll ein Zuschlag auf die Einkommenssteuer erhoben werden, die dann 45 statt 42 Prozent betragen würde. Der Zuschlag würde geschätzt 1,2 Milliarden Euro Zusatzeinnahmen bringen, davon rund die Hälfte für den Bund.
Unternehmensbesteuerung
: Die SPD strebt eine rechtsformneutrale Besteuerung der Unternehmen an. Bisher unterliegen Kapitalgesellschaften der Körperschaftsteuer, während die weitaus meisten Firmen als Personengesellschaften der Einkommensteuer unterliegen.
Keine weiteren Sparrunden
: Die Konsolidierung der Staatsfinanzen bleibt erklärtes Ziel der SPD, sie müsse aber "konjunkturgerecht" sein und dürfte das Wachstum nicht gefährden. Weitere Sparrunden werden daher bis zur Erholung der Wirtschaft abgelehnt.
Mehrwertsteuer
: Die in anderen Parteien diskutierte Erhöhung der Mehrwertsteuer wird als "falsche Richtung" und Gefahr für wirtschaftliche Erholung und Binnennachfrage abgelehnt. Der Text enthält aber keine klare Aussage, dass es mit der SPD eine Anhebung nicht geben werde.
Abzugsfähigkeit von Handwerkerechnungen
: Um private Haushalte zu entlasten und Handwerk und Mittelstand zu fördern, sollen Handwerker-Rechnungen für Reparaturen im Haushalt künftig abzugsfähig sein. Zwanzig Prozent solcher Kosten bis zu 3000 Euro, also maximal 600 Euro, sollen auf zwei Jahre befristet von der Einkommenssteuer abgezogen werden können.
Elterngeld
: Das bisherige einheitliche Erziehungsgeld soll durch ein einkommensabhängiges Elterngeld ersetzt werden. Dieses Instrument war umstritten, da auf diese Weise gut Verdienende mehr Geld bekommen als andere.
Bürgerversicherung
: Wie seit langem als Pluspunkt für den Wahlkampf geplant, legt sich die SPD auf die Einführung einer Bürgerversicherung in der Krankenversicherung fest. In diese sollen "gutverdienende, Beamte, Selbstständige und Politiker" einbezogen werden. Der Beitrag soll sich nach dem Einkommen richten. Dabei würden Löhne, Gehälter und Renten einbezogen, künftig auch Kapitalerträge, nicht jedoch Mieten und Pachten. Weitere zentrale Fragen wie das künftige Verhältnis von gesetzlichen und privaten Kassen bleiben jedoch offen. Das Prinzip der Bürgerversicherung soll auf die Pflegeversicherung angewandt werden.
Lohnpolitik
: Im Kampf gegen Billiglöhne setzen die Sozialdemokraten zunächst auf tarifliche Lösungen, schließen aber gesetzliche Regelungen nicht aus. Bei der Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes drängt sie die Tarifparteien, bundeseinheitliche tarifliche Mindestlöhne in allen Branchen zu vereinbaren. Wenn es solche Mindestlöhne nicht gebe, "werden wir Maßnahmen für einen gesetzlichen Mindestlohn ergreifen."
Der SPD-Vorstand wird am Montagnachmittag über den von Parteichef Franz Müntefering und Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgelegten Entwurf entscheiden, den das Präsidium bereits gebilligt hat. Damit will die SPD die programmatische Arbeit für die im September geplante vorgezogene Bundestagswahl abschließen. Um das so genannte Wahlmanifest wurde wochenlang heftig gestritten, weil es als Positionierung im SPD-internen Richtungsstreit gilt. Angesichts der Wahlniederlagen der SPD und ihrer schlechten Umfragewerte forderte die Linke Korrekturen am Reformkurs, die Schröder ablehnt. Der 37-seitige Text mit dem Titel "Vertrauen in Deutschland" spiegelt traditionell linke Positionen wider, mit denen sich die SPD von Union und FDP absetzen will.
Regierungssprecher Thomas Steg sagte, der Entwurf stehe im Einklang mit Schröders Politik. In dem Text werde der Reformkurs der Erneuerung und der Modernisierung bekräftigt, für den Schröder stehe. Zudem würden "im Lichte aktueller Entwicklungen" notwendige neue Akzentuierungen vorgenommen. Eine solche Aktualisierung der programmatischen Ziele sei im Interesse des Bundeskanzlers.
Präsidiumsmitglied Nahles betonte die Bemühung um ein für alle Parteiflügel akzeptables Programm: "Wir haben daran gearbeitet, dass das ein Parteiprogramm wird, das von allen getragen werden kann." Sie wandte sich gegen die Aussage von Partei-Vize Kurt Beck, der mehr Zumutungen für die Bürger angekündigt hatte. Den Bürgern sei in den vergangenen Jahren vieles abverlangt worden. Es müsse jetzt möglich sein, auch andere Gruppen in die Steuerverantwortung zu nehmen. Auch der Sprecher des konservativen "Seeheimer Kreises" in der SPD, Johannes Kahrs, stellte sich im NDR hinter den geplanten Steuerzuschlag für hohe Einkommen.
Der von der Parteilinken seit Jahren geforderte Zuschlag soll bei Einkünften über 250.000 Euro den Einkommensteuersatz von 42 auf 45 Prozent erhöhen. Zudem wird weiteren Sparrunden eine Absage erteilt, solange die Konjunktur nicht anzieht. In dem Text wird ein Ausbau der Leistungen für Familien angekündigt, die künftig ein einkommensabhängiges Elterngeld erhalten sollen. Nach Nahles’ Angaben soll es durch die Abschaffung des Ehegattensplittings finanziert werden. Weiter wird die Senkung der Körperschaftssteuer von 25 auf 19 Prozent bekräftigt, die aufkommensneutral finanziert werden soll.
Zudem kündigt die SPD an, dass 20 Prozent aller privaten Handwerker-Rechnungen steuerlich absetzbar sein sollen. Zu den Kosten und ihrer Gegenfinanzierung enthält der Text keine Details. Die SPD bekennt sich zu den Reformen am Arbeitsmarkt, kündigt aber zugleich Nachbesserungen an. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wird im Entwurf abgelehnt. Der für Finanzen zuständige SPD-Fraktionsvize, Joachim Poß, sagte dazu im SWR: "In einer solchen Situation, wäre jede Erhöhung der Mehrwertsteuer Gift für die Konjunktur."

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Die Union übte scharfe Kritik am Entwurf. Merkel sprach von einem Programm der Unglaubwürdigkeit, das sich der Realität verweigere. "Es ist ein Programm der Kraftlosigkeit", sagte sie. "Das Programm zeigt die Zerrissenheit der Sozialdemokraten", die der Versuchung eines populistischen Wahlkampfs offensichtlich nicht widerständen. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff sagte, das Manifest sei der Versuch der SPD, in Panik zu verhindern, dass ihr am linken Rand Anhänger verloren gehen.