Mit dem klaren Nein des Bundeskanzlers zur Taurus-Lieferung an die Ukraine wollte sich die Union nicht zufriedengeben. Sie stellte einen Antrag, damit das Waffensystem "unverzüglich" nach Kiew geschickt wird – und scheiterte. In der Parlamentsdebatte waren sich die Abgeordneten allerdings eher uneins – auch innerhalb der Ampel-Regierung. Aus den Reihen der Grünen hieß es, die Ukraine benötige sowohl Munition, als auch weitreichende Waffen wie Taurus. Auch FDP-Politiker sprachen sich für die Taurus-Lieferung aus; strikt dagegen äußerten sich Vertreter der AfD-Fraktion und vom Bündnis Sahra Wagenknecht. Am Ende lehnte der Bundestag den Unions-Antrag dennoch geschlossen ab. Die Presse ist ratlos: Was sagt die Gemengelage über die Einigkeit innerhalb der Koalition? Und über die Ziele der Parteien?
Taurus-Abstimmung: (K)Ein Keil in der Ampel-Koalition?
"Volksstimme": "Für den parlamentarischen Wirbelsturm, den die Unionsparteien vor der erneuten Taurus-Abstimmung losgetreten hatten, war das Resultat im Bundestag letztlich äußerst dünn. Lediglich knapp über der Fraktionsstärke von CDU/CSU lag die Zustimmung für die Raketen-Lieferung an die Ukraine. Das Votum war gleichzeitig ein verkappter Misstrauensantrag gegen Kanzler Olaf Scholz. Ziel verfehlt – Unions-Chef Friedrich Merz ist mit der Demontage des Regierungschefs krachend gescheitert. Die Ampel hat Zusammenhalt unter Beweis gestellt. Von Abweichlern abgesehen – denn der Taurus-Streit ist innerhalb der Dreier-Koalition nicht begraben. Insbesondere die Grünen, die die Friedenspfeife vollends gegen das Kriegsbeil getauscht haben, wollen sich vom Kanzler in Ukraine-Waffenfragen nichts vorschreiben lassen. Bei allen gegenseitigen Berührungsängsten: Die Bündnisgrünen würden zumindest in diesem Punkt wunderbar zur Union passen."
"Rhein-Zeitung": "Sollte Merz die Absicht gehabt haben, mit seinem Taurus-Kurs die Ampel in die Zermürbung zu treiben, so ist ihm das gelungen. Die Rede von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Bundestag war eine harte Abrechnung nicht nur mit der Opposition, sondern insbesondere mit den eigenen Koalitionspartnern. In einer Ehe würde man sagen, da hat jemand die Scheidungspapiere zur Unterschrift vorgelegt. So agierten auch die Grünen im Parlament. Es hat sich gezeigt: Die Gräben in der Ampel sind inzwischen so tief, tiefer geht es kaum noch. Gleichwohl hat der Taurus-Kurs der Union dem Kanzler und der SPD kräftig dabei geholfen, für sich eine neue Strategie in der Ukraine- und Russlandpolitik zu entdecken – die als Hüter des Friedens. Scholz scheint damit einen Weg gefunden zu haben, um beim Wähler wieder verstärkt zu reüssieren. Merz ist das noch nicht gelungen. Und die Europawahl sowie die Landtagswahlen im Osten stehen vor der Tür."
"Junge Welt": "Die Koalition ist im Unvereinbarkeitsstadium. Bündnis 90/Die Grünen stehen mit CDU und CSU im Überbietungswettbewerb, wer beim Wettrennen zum Bombardieren von Moskau die Nase vorn hat. Die Vertreter beider Fraktionen – die FDP kann ihrer Neigung wegen Absturzgefahr nicht ungehemmt folgen – demonstrierten in der Debatte um 'TAURUS'-Lieferungen, dass Verstand als zu Ende Denken von Folgen politischen Handelns für sie ein Fremdwort ist, Vernunft als Erfassen des Ganzen einer Problemlage in ihrem geistigen Kosmos unerträgliche Feindpropaganda. Der Treueschwur zum Krieg bleibt und 'TAURUS' die Ausnahme. Der Sprengsatz für die Koalition hat so immerhin einen Namen, falls es über den nächsten Wahltag hinaus überhaupt beim Nein bleibt."
"Fraktions- oder gar Regierungsdisziplin? Ein Fremdwort"
"Rhein-Neckar-Zeitung": "Den Eindruck, dass sich in dieser Ampel-Koalition jemand verbiegt, den hat man jedenfalls nicht. Wer eine Meinung hat, der vertritt sie energisch. Das galt beim Heizungsgesetz, beim Bürgergeld, bei der Cannabis-Freigabe, um nur einige Themen zu nennen. Und das gilt offensichtlich auch in der Sicherheitspolitik. Fraktions- oder gar Regierungsdisziplin? Ein Fremdwort. Nun soll hier keine Sehnsucht nach den diskursarmen Jahren der 'Alternativlosigkeit' heraufbeschworen werden. Eine offene Debatte auch innerhalb einer Regierung ist richtig. Nur: Wenn der Kanzler dann, wie so oft gefordert, ein 'Machtwort' gesprochen hat (und das hat Scholz in Sachen Taurus in glasklarer Eindeutigkeit), muss Ruhe einkehren. Wer weiter nörgelt, der will Scholz entmachten – deshalb stichelt die Union ja so lustvoll."
"Pforzheimer Zeitung": "Reicht es jetzt endlich? Wieder haben sich die Ampel und die Opposition im Bundestag gezankt wie die Kesselflicker. Es hat sich abermals gezeigt, dass die Koalition in dieser Frage gespalten ist. Doch der Antrag von CDU und CSU bekam insgesamt weniger Stimmen als die Union Mandate hat. Nun kann sie ihn immer wieder stellen und die Haltung des Kanzlers schrill kritisieren. Es wird dem Ernst des Themas aber nicht gerecht, wenn die Union Scholz in die Enge zu treiben versucht. Statt sich an der Taurus-Frage festzubeißen, sollten Ampel und Union lieber gemeinsam überlegen, wie der Ukraine geholfen werden kann."
Spiel mit der Angst
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "In seiner Rede hisste [SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich] vollends die weiße Flagge des Wahlkampfs. (…) Nicht Waffenlieferungen seien es, die zählten, polterte er, sondern die Humanität der deutschen Flüchtlingshilfe. (…) Stattdessen empfahl er angebliche Vorzüge eingefrorener Kriege. (…) Die SPD wandelt damit wieder auf dem abschreckungslosen Pfad nach der Annexion der Krim. (…) Das Spiel mit Ängsten vor dem nuklearen Armageddon, das auch Mützenich nicht lassen konnte, ist Putins Spiel. Rücksicht darauf zu nehmen mag als Besonnenheit gelten. Wirklich besonnen wäre, vom Ende her zu denken. Fühlt sich Putin abermals ermutigt, rücken dieser Krieg und künftige Konflikte nicht von Deutschland weg, sondern näher heran. Das gehört nur leider zu dem Wissen, mit dem der Kanzler und die SPD nicht in die Öffentlichkeit gehen wollen."
"Nürnberger Zeitung": "Die Absolutheit des Kanzler-Bastas ist der eigentliche Fehler. Es ist falsch, in Deutschland, der EU oder der Nato Angst zu erzeugen. Wenn Angst überhaupt ein Mittel der Außenpolitik ist, dann geht es darum, sie beim Gegner zu erzeugen, und dabei hilft Stärke durch Abschreckung. Vielleicht lässt sich der Kanzler heute von dem französischen Präsidenten erklären, wie Drohgebärden funktionieren. Emmanuel Macron scheint in den vergangenen zwei Jahren in dieser Sache dazugelernt zu haben."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Südkurier": "Offensichtlich ist nun, dass den Grünen die Koalitionsdisziplin wichtiger ist als eine effektive Waffenhilfe für die Ukraine, die sie rhetorisch zu fordern nicht müde werden. Auch die Liberalen sind in der Unterstützung für Kiew wenig glaubhaft, denn sie stellen sich hinter die windigen Argumente, mit denen Kanzler Olaf Scholz sein Nein zur Lieferung begründet. Da Scholz sich auch gegen einen Ringtausch des Taurus mit Großbritannien und Frankreich stemmt, stellt sich die Frage, ob er überhaupt noch daran interessiert ist, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert. Mit Artilleriegranaten allein wird ein Sieg Wladimir Putins nicht zu verhindern sein. Gibt es in Berlin überhaupt einen Plan für eine weitere Militärhilfe an Kiew? Das ist jedenfalls nicht zu erkennen. Derweil rücken russische Truppen täglich weiter vor."