Flüchtlingskrise Seehofers Bayern ist nicht Bayern

  • von Felix Hutt
Clash of Cultures der anderen Art: Am Samstag erging sich die CSU in ihrer Ausgrenzungsrhetorik, am Sonntag feierten Zigtausende die Willkommenskultur in Münchens Innenstadt. Zwei Mal Bayern, zwei mal Deutschland.

Erding, am Samstagnachmittag. Kein Platz ist mehr frei in der Stadthalle, auf den Stühlen liegt der Bayernkurier, auf der Bühne steht CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer und eröffnet die als Fachkongress für Migration und Flüchtlinge getarnte Kundgebung seiner Partei. Er bedanke sich beim bayerischen Ministerpräsidenten, sagt Scheuer, "dem Mann der Wahrheit, Klarheit und Vernunft.“ Da muss auch Horst Seehofer lachen. Und der Saal tobt.

Über 650 Gäste bieten Seehofer ein Heimspiel. So viel Zustimmung tue gut in diesen Tagen, sagt er, als er auf die Bühne tritt. Die CSU und ihr grauer Vorsitzender haben ihr Thema gefunden. Nachdem sie lange in Berlin niemand ernst genommen hat, sie mit dem Betreuungsgeld und vor allem ihren Mautvorschlägen gescheitert ist, installiert sich die Partei nun als Sprachrohr für die, die angeblich Angst haben und sich überfordert fühlen. Sie legitimiert auf Kosten der Flüchtlinge ihre Haltung, die in übersichtlicheren Zeiten schlicht als ausländerfeindlich bezeichnet würde. Um diesem Vorwurf entgegen zu treten hat sie am Freitag noch schnell ein bayerisches Integrationspaket verabschiedet. Soll keiner behaupten, die CSU packe nicht mit an.

Seehofer tritt ans Pult und spricht über eine Dreiviertelstunde, anschließend dürfen CSU-Politiker von Gerd Müller bis Joachim Herrmann in zwei sogenannten Podiumsdiskussionen unwidersprochen ihre Haltung kundtun. Die Botschaft ist immer die gleiche: die Bayern haben schon immer gewusst, dass die Zuwanderung so nicht funktioniere. Es schade Deutschland nicht, wenn es auf Bayern höre, sagt Seehofer. Applaus. Deutschland und Europa müsse seine Grenzen schützen, Recht und Ordnung wieder eingeführt werden, die Anzahl der Flüchtlinge begrenzt werden. Applaus. Und die, die nur herkämen, weil sie sich hier ein besseres Leben erhofften, die müssten schnell abgeschoben werden. Lauter Applaus. Wir wollen kein Multi-Kulti! Sehr lauter Applaus.

Die Feindbilder der CSU

In den letzten Wochen werden vor allem zwei Gruppen zum Feindbild stilisiert, leider nicht nur von den CSU-Scharfmachern in Erding: Da sind zum einen die bösen Wirtschaftsflüchtlinge, diese Schmarotzer, die nur nach Deutschland kommen, weil sie hier in Saus und Braus leben, endlich BMW fahren wollen. Und da sind zum anderen "die jungen Männer“ aus Afghanistan, aus dem Irak, aus Syrien, die für eine "Maskulinisierung der Gesellschaft“ sorgen könnten, wie der CSU-Politiker Markus Blume in Erding ernsthaft behauptet. Diesen "jungen Männer“ geht es äußerlich offenbar nicht schlecht genug, um unsere Gastfreundschaft zu genießen. Sie kommen ohne Babys und gebrechliche Alte, ihnen steht deshalb weniger Mitleid zu. Außerdem machen sie die Flüchtlingsunterkünfte unsicher, lassen sich nicht von Frauen unterrichten und sind im Zweifel sowieso alle Terroristen, die als Flüchtlinge getarnt unser Land infiltrieren.

Was für ein Müll! Selbstverständlich begeben sich vor allem junge Männer auf eine Flucht, die lebensgefährlich, sehr anstrengend und teuer ist, um ihre Familien später nachzuholen. Und man kann Flüchtlinge doch nicht in gute und schlechte einteilen. Eine Binse, die anscheinend immer wieder gesagt werden muss. Wer entscheidet denn, wem es dreckiger geht? Einer Roma-Familie, die im Balkan oder in einem der neorechten osteuropäischen Länder geächtet wird, oder einer Familie, die aus dem zerbombten Homs, Syrien, fliehen muss? Spielen wir nun Richter über das Leid? Sollten wir nicht stattdessen unsere Strukturen überprüfen, die es momentan nicht möglich machen, die Fälle differenziert zu betrachten, so wie es jeder Mensch, jede Familie verdient, die hier ankommt? Wieso muss sich eine Kanzlerin rechtfertigen, wenn sie einmal mit dem Herzen entscheidet, wenn sie sagt "Wir schaffen das!", wenn sie humanitäres Gewissen über politisches Kalkül stellt?

Und wann wird endlich erkannt, welcher Vorteil einem Land aus Vielfalt entsteht, auch wenn die Vielfalt nicht gleich deutsch spricht und sich an unserer heiligen deutschen Leitkultur orientiert, wie es die CSU in Erding immer wieder fordert? Was wäre unser geliebtes Reiseziel New York City ohne seine Wirtschaftsflüchlinge? Ohne Russen, Chinesen, Latinos und Italiener? Was wäre Berlin ohne seine Ausländer, wie hätte es das deutsche Wirtschaftswunder geben können, ohne Gastarbeiter, wie wir Wirtschaftsflüchtlinge damals nannten, als wir gar nicht genug von ihnen nach Deutschland holen konnten? "Vertriebene! Eure Not ist unsere Sorge. Wählt CSU. Die einzige Partei, die Flüchtlings-Wahlkreise forderte", steht auf einem Wahlplakat der CSU, das am Wochenende auf einmal durch die sozialen Netzwerke verbreitet wird. Es ist aus dem Jahr 1946 und in der Mitte heißt es groß: "Gemeinsam schaffen wir’s".

Das Konzert auf dem Königsplatz

Einen Tag später feiern die, die an diesen Slogan im Herbst 2015 glauben, ein Fest auf dem Königsplatz, an das sich München noch lange erinnern wird. Die Sportfreunde Stiller haben mit der Stadt München und dem Aktionsbündnis Bellevue di Monaco in kurzer Zeit ein Konzert organisiert um denen danke zu sagen, die helfen. Den Unterstützern, die keine Zeit haben darüber nachzudenken irgendetwas zu begrenzen, weil sie, viele von ihnen ehrenamtlich, die willkommen heißen, die ankommen. Und sich dafür von den Skeptikern oft noch als naive Gutmenschen beschimpfen lassen müssen. Aber: Was ist falsch daran, ein guter Mensch zu sein?

Niemand von ihnen zweifelt daran, dass es eine schwierige Aufgabe wird viele Menschen zu integrieren. Wie sollten sie auch, im Gegensatz zu den Scheuers und Seehofers haben die Helfer jeden Tag in der Praxis mit den Herausforderungen zu tun. Aber sie glauben daran, dass sie es schaffen werden. Sie glauben an die Vorteile der Vielfalt, sehen Multi-Kulti als Bereicherung, nicht als Bedrohung. Sie feiern sich an diesem Abend, bei vielen merkt man, wie sich der Druck entlädt, die Anspannung der vergangenen Wochen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Mia san ned nur mia"

Und so stehen Flüchtlinge und Helfer bei gerade einmal acht Grad vor der Bühne. Fast 24000 Menschen singen, tanzen und applaudieren auf dem Königsplatz. Friedlich. Woodstock-München. Gänsehautmomente: Als der Pianist Aiham Ahmed auf der Bühne auf arabisch über Jarmuk singt, das einmal das größte Palästinenserlager Syriens war. Von den 800.000 Palästinensern sind noch 18.000 übrig, der Rest ist in diesem Todeslager umgekommen. Als die Sportfreunde Stiller bei ihrem Song "Applaus“ das Publikum auffordern, Licht zu machen, und der ganze Königsplatz leuchtet. Als Oberbürgermeister Dieter Reiter beim Lied "Mia san ned nur mia“ der Gruppe Dreiviertelblut zur Gitarre greift. Als die Band der Stunde, Wanda, ihren Song "1,2,3,4“ vom Publikum singen lässt, und auch die laut mitsingen, die gerade ihre ersten Worte deutsch lernen. Als Herbert Grönemeyer zum Abschluss eine minutenlange Version von "Mensch“ hinlegt, die anderen Künstler auf die Bühne holt, und alle mit den Zuschauern einen Chor bilden, der weit über diesen Abend hinaus ge-hört werden sollte. Denn nur darum geht es: den Menschen.