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Gleich zweimal ist beim hohen Besuch aus Deutschland, Frankreich, Italien und Rumänien der Luftalarm ausgelöst worden. Auch wenn in der ukrainischen Hauptstadt Kiew nicht mehr gekämpft wird, die Bedrohungslage bleibt hoch, auch das macht so eine Reise wie die von Bundeskanzler Olaf Scholz, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und dem rumänischen Präsidenten Klaus Johannis ungewöhnlich und zeugt von der Schwere der Mission.
Scholz und seine europäischen Verbündeten reisten wie zu erwarten nicht mit leeren Händen in das vom Krieg gebeutelte Land. Die Regierungschefs versprachen weitere Unterstützung und berieten beim Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über weitere Maßnahmen.
Im Mittelpunkt der Beratungen stand selbstverständlich der Wunsch der Ukraine, in die EU aufgenommen zu werden. Macron sprach sprach sich dafür aus, dem Land den Status eines EU-Beitrittskandidaten zuzusprechen. "Auf jeden Fall unterstützen wir den Beitrittsstatus der Ukraine zur Europäischen Union", sagte Macron am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Auch Scholz äußerte sich zu dem Thema: "Meine Kollegen und ich sind heute hier nach Kiew gekommen mit einer klaren Botschaft: Die Ukraine gehört zur europäischen Familie." Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, forderte von Scholz erneut die rasche Lieferung schwerer Waffen.
Im Sonderzug in der Nacht nach Kiew
Scholz, Macron und Draghi waren über Nacht gemeinsam in einem Sonderzug nach Kiew gereist, in der Hauptstadt stieß der rumänische Präsident Johannis dazu. Kurz nach ihrer Ankunft wurde Kiew der erste Luftalarm ausgelöst, der nach gut 30 Minuten wieder aufgehoben wurde.
Nach seiner Ankunft besuchte Scholz den teils zerstörten Kiewer Vorort Irpin. Ähnlich wie im benachbarten Butscha waren dort nach dem Rückzug der Russen Ende März knapp 300 teils hingerichtete Zivilisten gefunden worden.
Scholz verurteilte in Irpin die "Brutalität" des russischen Angriffskriegs. Scholz sprach von sinnloser Gewalt. Es sei eine Stadt zerstört worden, in der es überhaupt keine militärischen Strukturen gegeben habe. "Das sagt sehr viel aus über die Brutalität des russischen Angriffskriegs, der einfach auf Zerstörung und Eroberung aus ist."

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Rumäniens Staatspräsident Iohannis verlangte unter dem Eindruck der Zerstörung in Irpin erneut, dass Gräueltaten Russlands vor ein internationales Strafgericht gebracht werden.
Spott aus Moskau
Italiens Ministerpräsident Draghi traut der Ukraine den Wiederaufbau nach dem russischen Angriffskrieg zu. "Das hier ist ein Ort der Zerstörung, aber auch der Hoffnung", sagte Draghi in Irpin.
In einer ersten Reaktion aus Moskau spottete Russlands früherer Präsident Dmitri Medwedew über die Kiew-Reise der vier Spitzenpolitiker. "Die europäischen Fans von Fröschen, Leberwurst und Spaghetti lieben es, Kiew zu besuchen", schrieb Medwedew auf seinem Twitter-Account. "Mit null Nutzen."
Scholz hatte der Ukraine schon auf der Fahrt nach Kiew die weitere volle Unterstützung im Kampf gegen Russlands Angriff zugesagt. Man werde die Unterstützung so lange fortsetzen, "wie das nötig ist für den Unabhängigkeitskampf der Ukraine", sagte er.
Macron sagte dem Sender BFMTV, es gehe um eine "Botschaft der europäischen Einheit, adressiert an die Ukrainerinnen und Ukrainer, sowie der Unterstützung, um zugleich über die Gegenwart und Zukunft zu sprechen, weil wir wissen, dass die nächsten Wochen schwierig werden".
Währenddessen drosselt Gazprom erneut Gaslieferungen
Der Kanzler hat stets betont, dass er nur nach Kiew reisen werde, wenn es konkrete Dinge zu besprechen gebe. Selenskyj fordert die Lieferung weiterer schwerer Waffen und dass die EU schon in der kommenden Woche auf ihrem Gipfel in Brüssel einer Kandidatur der Ukraine für eine Mitgliedschaft zustimmt.
Kanzler im Kriegsgebiet: Scholz besucht mit Macron und Draghi die Ukraine

Unmittelbar vor der Ukraine-Reise des Kanzlers hatte das russische Staatsunternehmen Gazprom am Mittwoch zum zweiten Mal kurz hintereinander die Gasliefermengen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland reduziert. Gazprom begründete diesen Schritt erneut mit Verzögerungen bei Reparaturarbeiten.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermutet dahinter hingegen eine politische Entscheidung. Bereits am Dienstag hatte Gazprom eine Drosselung verkündet.
Deutschland-Botschafter Melnyk nannte den Besuch von Scholz in seiner Heimat ein wichtiges Signal. "Die Ukrainer hoffen, dass der Bundeskanzler nicht mit leeren Händen kommt, sondern ein solides Paket militärischer Hilfen in seinem Reisekoffer mitbringt", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Es gehe darum, dass Deutschland zügig weitere schwere Waffen liefere, vor allem Artilleriegeschütze wie die Panzerhaubitze 2000 sowie Mehrfachraketenwerfer Mars II.
Dieser Besuch ist der bedeutendste
Der Besuch sei auch ein guter Anlass, "die Blockade für Leopard-1-Kampfpanzer und Marder-Schützenpanzer aufzuheben". Melnyk sagte weiter: "Für die künftige EU-Mitgliedschaft wünschen sich die Ukrainer von Kanzler Scholz, dass er die Gewährung vom Kandidatenstatus ohne künstliche Konditionen verkünden wird."
Seit Mitte März sind zahlreiche Staats- und Regierungschefs in die Ukraine gereist. Dieser Besuch ist aber zweifellos der bedeutendste: Scholz, Macron und Draghi repräsentieren die drei bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten EU-Länder. Alle drei Staaten gehören zur G7, in der sich demokratische Wirtschaftsmächte zusammengeschlossen haben. Deutschland hat in dieser Gruppe derzeit den Vorsitz, Frankreich hat die EU-Präsidentschaft.
Selenskyj hatte Scholz schon vor Wochen nach Kiew eingeladen. Zuerst standen aber Verstimmungen wegen der kurzfristigen Absage einer Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von ukrainischer Seite im Weg. Nachdem die Irritationen ausgeräumt waren, verwies Scholz darauf, dass es ihm bei einer solchen Reise nicht um Symbole, sondern um Inhalte gehe: "Ich werde nicht mich einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge."
Vor ihm waren schon eine ganze Reihe seiner Minister in der Ukraine: Annalena Baerbock (Außen, Grüne), Svenja Schulze (Entwicklung, SPD) und zuletzt Karl Lauterbach (Gesundheit, SPD) sowie Cem Özdemir (Agrar, Grüne). Auch Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) besuchten Kiew.
Quellen: ZDF, "La Repubblica", "BFM.TV", Nachrichtenagenturen DPA und AFP