Ab und zu ergibt sich ein besserer Blick auf eine Situation, wenn er aus Sicht eines Kindes geschieht. Und wenn ein Kind das Wort Doktor hört, denkt es automatisch an einen Arzt. Man geht zum Doktor, wenn man krank ist. Und wer sich Doktor nennt und nicht zur Gesundung seiner Mitmenschen beitragen kann, ist eine Pfeife. Vielleicht sollte sich die Allgemeinheit diese Sicht auch angewöhnen, um in Zukunft den Blick leichter auf das Wesentliche zu richten. Die Kanzlerin sollte die Chance nutzen und sämtlichen Ministern und Abgeordneten eventuelle Titel aberkennen für die Zeit des politischen Mandats. Sie selber hat zwar auch einen Doktortitel, aber da sie ihn tief im Ostblock erworben hat, fiel dieser nie sonderlich auf beziehungsweise wurde eher als schrulliges Additiv betrachtet. Mit einer Art tabula rasa in dieser Causa könnte die Kanzlerin viele Kollegen vor Schimpf und Schande bewahren. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Journalisten auf weitere Dissertationen stürzen. Vor allem der Außenminister läuft Gefahr, richtig schlecht da zu stehen. Das mag für ihn zwar mittlerweile schon der Normalzustand sein. Aber allein die Fakultät, die Westerwelle zum Doktor gekürt hat, wirft unangenehme Fragen auf. Es ist nämlich die Fernuniversität Hagen. Fernuni? Das klingt schon mal arg nach Wochenendinstitut. Oder Volkshochschule Iserlohn. Jedenfalls suggeriert der Name schon, dass Westerwelle eigentlich nie selber vor Ort war. Und somit wird der Spekulation erst recht Tür und Tor geöffnet. Wer glaubt allen Ernstes, dass einer sich früher mal ernsthaft um sein Studium und seine Doktorarbeit gekümmert hat, wenn er als Parteichef und Außenminister den Dauerhallodri vom Dienst mimt?
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Zu Guttenberg hat die Umstände seiner Fake-Arbeit umfassend erklärt. Er war schlicht überfordert. Und will deshalb im Amt bleiben, weil ihn die Arbeit als Verteidigungsminister eben nicht überfordert. Hingegen ist Westerwelle seit dem Tag seiner Ernennung zum Außenminister und Vizekanzler überfordert und will dennoch oder gerade deshalb im Amt bleiben. Daraus ergibt sich schon mal eine klare Maßnahmenschablone für Politiker: Wenn Überforderte schon nicht zurücktreten brauchen, brauchen es andere schon gar nicht. Schließlich genießt der Verteidigungsminister im Gegensatz zum Außenminister nach wie vor großes Vertrauen in der Bevölkerung. Bei 70 Prozent der Leute genießt zu Guttenberg die sogenannte Credibility. Und auch die Wähler der Oppositionsparteien sind mehrheitlich für einen Verbleib im Amt. Mit der Art Rückhalt im Volk gesegnet, hat der Verteidigungsminister dann zugegeben, dass er enorm fehlerhaft zu Werke ging seinerzeit an der Uni in Bayreuth. Damit schob KT den schwarzen Peter natürlich seiner ehemaligen Universität zu. Denn die Bayreuther Professoren können es sich nun aussuchen, ob sie als nachlässig, inkompetent oder käuflich gelten wollen in der öffentlichen Wahrnehmung. Vielleicht sollte die Uni Bayreuth sogar bis auf weiteres nur als Fernuni auftreten und als höchsten Dissertationsgrad die mittlere Reife anbieten. Oder aber sie erweitert ihr Angebot und bietet nun auch engagierten Hauptschülern eine Discount-Dissertation an. Infrage käme auch ein Franchisesystem in Kooperation mit einem Hersteller von Kopiergeräten.
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Imageverluste haben jedenfalls weder Abschreiber (KT) und Abschreibebelohner (Uni Bayreuth) zu befürchten. Die meisten Deutschen sind der Ansicht, dass eine Doktorarbeit ohnehin dem Privatleben zuzuordnen ist und nicht dem tatsächlichen beruflichen Wirken. Der Doktortitel eines Ministers wiegt also ähnlich schwer wie der Batikkurs oder das Jodeldiplom seiner Frau. Mit anderen Worten: Ehrlichkeit und Sorgfalt sind längst keine Kategorien mehr, die der Wähler von seinen Politikern erwartet. Früher wollte man Politiker, die über den Dingen stehen und mit Strahlkraft und gebotener Gelassenheit die Dinge geräuschfrei regeln, auch wenn es zuvor im Parlament hitzige Debatten gab. Dann kam die Ära der Politiker wie du und ich a la Schröder und Fischer, die die Mitte des Volkes und des Menschen suchten und selber Bauchmenschen waren. Jetzt will man nur noch Politiker wie du, aber auf keinen Fall wie ich. Damit man selber noch in den Spiegel schauen kann, obwohl man weiß, dass die Politiker nicht anders sind als man selbst. Wem so ein Selbstbild Bauchschmerzen bereitet, muss eben zum Doktor. Und zwar zu einem echten.