Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Entschädigungsklagen von 71 Opfern der Bodenreform in Ostdeutschland zurückgewiesen. Die Bundesrepublik Deutschland sei nach der Wiedervereinigung nicht verpflichtet gewesen, für die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone nach 1945 und nach 1949 in der DDR einen Ausgleich in Höhe des heutigen Verkehrswertes der Ländereien zu leisten, urteilte das Straßburger Gericht. Einer der Klägeranwälte, Thomas Gertner, kündigte nach dem Urteilsspruch an, sich an die UN-Menschenrechtskommission zu wenden. "Das können wir nicht so lassen", sagte er.
Die Bodenreform von 1945
Die große Bodenreform von 1945 stand am Anfang der Neuordnung der Eigentumsverhältnisse in Ostdeutschland. Sie galt als "wichtigste Voraussetzung der demokratischen Umgestaltung und des wirtschaftlichen Aufstieges". Unter der Losung "Junkerland in Bauernhand" wurde in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) - der späteren DDR - Großgrundbesitz über 100 Hektar enteignet. Dazu kam Grund und Boden von Kriegsverbrechern und Nazi-Führern. Insgesamt war ein Drittel der Wirtschaftsfläche östlich der Elbe betroffen.
Treibende Kraft dieser ersten Enteignungswelle war die Sowjetische Militäradministration (SMAD). 7000 Großagrarier verloren durch die Bodenreform entschädigungslos 2,5 Millionen Hektar. Zusammen mit 600.000 Hektar Land, das bereits die Nationalsozialisten konfisziert hatten, wurden 3,1 Millionen Hektar Land an 500.000 Landarbeiter, landlose oder landarme Bauern, Umsiedler, Arbeiter und Handwerker verteilt. Viele "Neubauern" erhielten jedoch nur Zwergparzellen, auf denen sie nicht wirtschaftlich arbeiten konnten. Bis 1960 gab es fast keine Einzelbauern mehr.
Alteigentümer fordern vollständige Rückgabe
Auf dem Prüfstand standen die Ansprüche früherer Grundbesitzer, die in der damaligen sowjetischen Besatzungszone enteignet und im Wortsinne vom Acker gejagt worden waren. In Pilotbeschwerden hatten Alteigentümer oder ihre Erben die Rückgabe der Ländereien gefordert. Wenn nicht eine vollständige Rückgabe, dann zumindest aber eine höhere Entschädigung, als sie bisher vom wiedervereinigten Deutschland erhalten hatten, so die Forderung.
Wäre das Urteil des Gerichtshofs zugunsten der Kläger ausgefallen, hätte die Bundesregierung mit Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe rechnen müssen. "Käme die Bundesrepublik dem nicht nach, würde sie ihre völkerrechtlichen Pflichten verletzen" wie die Zeitung "Die Welt" unter Berufung auf eine Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages berichtete. Daran würde demnach auch der Einwand, das Grundgesetz oder eine andere innerstaatliche Norm verbiete die Erfüllung dieser Pflichten, "grundsätzlich nichts ändern".
Mehr als 100 Hektar enteignet
Nach der Parole "Junkerland in Bauernhand" hatte die sowjetische Besatzungsmacht auf dem Gebiet der späteren DDR Großgrundbesitzer mit mehr als 100 Hektar Landbesitz, insgesamt über 7000 Güter, entschädigungslos enteignet. Der Großteil der über drei Millionen Hektar wurde im Zuge der Bodenreform an so genannte Neubauern verteilt, ein Drittel blieb in Staatsbesitz. Noch heute hält die Treuhand-Nachfolgerin BVVG knapp eine Million Hektar Agrarfläche aus der Bodenreform, wie Rechtsanwalt Albrecht Wendenburg sagte. Der Jurist ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen, einer Vereinigung von Bodenreformopfern, die 22 der Beschwerdeführer in Straßburg vertritt.
Vor dem heutigen Urteil waren vor dem Bundesverfassungsgericht bereits etliche Klagen von Alteigentümern gescheitert. Der EGMR mit seiner Großen Kammer, der 17 Richter aus Mitgliedstaaten des Europarates angehören, konnte allerdings nur über Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention urteilen. Diese gibt es erst seit 1953; für das Gebiet der ehemaligen DDR gilt sie erst seit 1990.
Im Vorfeld des Urteils hatte die Bundesregierung, in Straßburg vertreten durch die Menschenrechtsbeauftragte Almut Wittling-Vogel, sich ihrerseits auf den Einigungsvertrag berufen. Dem zufolge sind "die Enteignungen nicht mehr rückgängig zu machen". Für ungerechtfertigt hielt die Bundesregierung die Ansprüche auch deshalb, weil die Betroffenen ihre Güter zur Zeit der Wiedervereinigung schon längst unwiederbringlich verloren hätten. Schon zu DDR-Zeiten habe niemand ernsthaft erwarten können, dass die Enteignungen rückgängig gemacht würden. "Vage Hoffnungen" aber, so das Argument der Regierung bei der mündlichen Verhandlung im Januar 2004, seien rechtlich nicht geschützt. Auch Entschädigungszahlungen in Höhe des heutigen Verkehrswerts der Grundstücke hatte sie abgelehnt, da - auch mit Blick auf andere Gruppen von Geschädigten und auf die finanzielle Belastung durch die Wiedervereinigung überhaupt - nur sozialstaatlich motivierte Zahlungen geleistet würden.