Von-Beust-Nachfolger Ahlhaus Ein Weichgespülter für Hamburg

  • von Sebastian Kemnitzer
Erst als Hardliner verschrien, nun ganz sanft. Christoph Ahlhaus, der heute zum Hamburger Bürgermeister gewählt wird, hat einen erstaunlichen Wandel vollzogen.

Ein klassischer Frauentyp war Christoph Ahlhaus noch nie. Erst recht kein Draufgänger. Eher Typ spröder Jurist, ein bisschen spießig, mit Hang zum Übergewicht. Aber Ahlhaus ist einer, der an sich glaubt, Chancen ergreift. Vor sieben Jahren trifft Christoph Ahlhaus in einem Gasthof auf Sylt eine äußerst adrette Endzwanzigerin. Simone heißt die Dame. Zu später Stunde trinken die beiden zusammen Schnäpschen, Williams Birne. Drei Jahre später heiraten sie.

Christoph Ahlhaus lässt sich keine Chance entgehen. Nur neun Jahre hat er gebraucht, um in Hamburg ganz oben anzukommen. Und das als Auswärtiger, als Heidelberger. Im Jahr 2001 schickte der Jurist eine Bewerbung für die Stelle des Landesgeschäftsführers, zog nach Hamburg um. Drei Jahre später der Einzug in die Bürgerschaft, dann Staatsrat, seit zwei Jahren Innensenator. Das erste Mal nahm die Öffentlichkeit Ahlhaus wahr, klebte ihm schnell ein Etikett an: "politischer Hardliner, Rechtsaußen", stand da drauf.

So ganz ist das nicht von der Hand zu weisen. Vor zwei Jahren ernannte ihn eine Initiative zum "Abschiebeminister des Jahres". Immer wieder forderte Ahlhaus schärfere Strafen bei Angriffen gegen Polizisten, warnte seine Innenministerkollegen vor der Gewalt Linksextremer. Gleichwohl: Die Autonomen in Hamburg bekam Ahlhaus in seinen zwei Jahren als Innensenator nie in den Griff. Vor einem Jahr eskalierte die Lage bei einem Fest im Hamburger Schanzenviertel, 1000 Autonome lieferten sich stundenlang Straßenschlachten mit der Polizei. Ahlhaus verteidigte die harten Maßnahmen, wurde zum Polarisierer.

Der 40-jährige Christoph wird zum Softie

Alles vergessen, alles Quatsch mit dem Hardliner-Image. Seitdem bekannt wurde, dass Ahlhaus dem liberalen Ole von Beust nachfolgen soll, legte er den Weichspülergang ein. Die vergangenen Wochen konnten die Hamburger einen erstaunlichen Wandel erleben: Der 40-jährige Christoph wird zum Softie. Mit Simone an seiner Seite gab er in verschiedenen Lokalitäten im Schanzenviertel ein Interview nach dem anderen. Er sei ja ein toleranter Mensch und wolle sich als Bürgermeister um alle Hamburger kümmern. Wie eine Schallplatte brachte Ahlhaus diesen Satz in Endlosschleife, flankiert von Aussagen seiner Simone: "Manchmal kommt er vielleicht nicht so locker rüber. Aber so ist er nicht."

Wie ist er denn, der Christoph Ahlhaus? Einen guten Einblick gab das Bewerbungscasting bei dem Koalitionspartner, den Grünen, eine Woche vor der Bürgermeisterwahl. Ahlhaus wusste genau: Das ist die entscheidende Klippe zur Macht. Akribisch bereitete er sich auf den Abend vor, feilte lange an seinem Manuskript. Auch kleidungstechnisch ließ Ahlhaus keinen Zweifel an seiner Liberalität aufkommen: Ohne Krawatte kam er. Lediglich die goldenen Manschettenknöpfe verrieten ihn ein wenig.

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Schlagende Verbindung bestätigt Klischee

Der Abend begann mit Transparenten, begann denkbar schlecht. "Lieber Tofuwürstchen als Ahlhausbürschchen", "Einmal Bursche, immer Bursche", so empfingen 30 Demonstranten den Bürgermeister in spe. Der lächelte nur gequält. Wenige Wochen zuvor war bekannt geworden, dass die schlagende Verbindung "Turnerschaft Ghibellinia" in Heidelberg Ahlhaus als Mitglied führt. Klischee bestätigt, frohlockten seine Gegner. Ahlhaus ließ sich von der Mitgliederliste streichen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Hinter geschlossenen Türen, vor 300 Grünen, muss Ahlhaus dann aber zu Hochform aufgelaufen sein. Schon nach wenigen Minuten kam Umweltsenatorin Anja Hajduk raus, schnappte sich ein Bierchen und fand nur lobende Worte für den Kandidaten. So ging es im Minutentakt. Immer wieder Grüne, die Ahlhaus lobten, von seiner Ehrlichkeit schwärmten. Nach einer Stunde räumten die Demonstranten genervt das Feld.

Ahlhaus will den Kümmerer spielen

Nach drei Stunden hatte es Ahlhaus geschafft. Erleichtert und verschwitzt saß er da, das Hemd offen. Er wusste: Jetzt kann ich mir die neuen Visitenkarten als Bürgermeister bestellen lassen. Brav bildeten die Gegner von früher, die Grünen, eine Schlange vor ihm. Vieraugengespräche. Für jeden nahm sich Ahlhaus Zeit, schrieb mit einem grünen Stift mit. "Das prüfen wir, darauf können Sie sich verlassen", sagte er zum Abschied zu einer älteren Dame. Das Gleiche sagte er auch zu einem Studenten. Und zu all den anderen.

Ahlhaus will den Kümmerer spielen, macht einen auf Anti-Ole, der in seinen letzten Jahren als Bürgermeister mehr repräsentiert als regiert hat. Ahlhaus weiß, dass er schon optisch nicht auf Strahlemann machen kann. Er weiß auch, dass die Grünen jederzeit aus der Koalition aussteigen können. Und er weiß, dass quasi alles gegen ihn spricht: neben seinen badischen Wurzeln der Bundestrend, der Landestrend, die schlechte Bilanz der Koalition bisher, sein Image, seine Unbekanntheit, und nicht zuletzt seine Kraftmeierstatur.

SPD unterschätzt Ahlhaus

Eines könnte ihm aber helfen: Die SPD unter ihrem Vorsitzenden Olaf Scholz fühlt sich schon zu sicher. "Umso länger die Koalition geht, umso besser stehen wir da", sagt Scholz bei einer Veranstaltung im August selbstbewusst. Immer wieder wird Scholz als Bürgermeister angesprochen, seine Kandidatur gilt in Hamburg als sicher. Seinen Konkurrenten, den kommenden Bürgermeister Ahlhaus, erwähnt Scholz an diesem Abend mit keinem Wort. Auf ihn angesprochen, verplappert er sich kurz: "Bei Ahlhaus sehen wir bessere Chancen", sagt Scholz stern.de. Und schiebt gleich nach: "Eigentlich ist uns das egal". Das Selbstbewusstsein erstaunt. Scholz zeigt keine große rhetorische Begabung, kann auch nicht einnehmend sein. Ein kühler Pragmatiker, fast noch mehr Machtpolitiker als Ahlhaus. Außerdem verbringt Scholz als Bundespolitiker viel Zeit in Berlin.

Von Grünen und besseren Kreisen abhängig

Ahlhaus dagegen will nach seiner Wahl die kommenden zwei Jahre in Hamburg nutzen, sich zu profilieren. Entscheidend wird sein, wie die Grünen mitziehen. Und wie es dem Heidelberger Ahlhaus gelingt, in die besseren Kreise der Hansestadt einzutauchen. Dafür holte er sich mit Ian Karan als gewünschten Wirtschaftssenator extra einen Unternehmer ins Boot. Der 71-Jährige hat einen bahnbrechenden Aufstieg vom Tellerwäscher zum Multimillionär hingelegt, gilt in Hamburg als großer Mäzen. Für Ahlhaus ging der Coup gleich mal nach hinten los. Karan gestand ein, seine Biografie geschönt zu haben. Trotzdem hält Ahlhaus an Karan fest.

Die Startvoraussetzungen für Christoph Ahlhaus sind also denkbar schlecht. Vergleichbar mit einem Kapitän ohne Wasser unterm Kiel. Zwei Jahre hat er Zeit. Sollte Ahlhaus bei den nächsten Wahlen siegen, hätte er als Badenser ein kleines Wunder vollbracht. Verliert er, dann war er nur der Möchtegern-Kümmerer aus Heidelberg. Nur einer für zwischendurch.

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Von Sebastian Kemnitzer