Drei Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen setzt Ministerpräsident Jürgen Rüttgers stark auf die soziale Karte. Auf einer CDU-Kundgebung in Neuss rief er am Samstag zur Verteidigung der sozialen Markwirtschaft gegen neoliberale Politikansätze auf. "Wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille", sagte er und rief zu Korrekturen bei Hartz IV auf. In einem Zeitungsinterview hatte Rüttgers zuvor bereits dem einstigen Leitmotiv "Privat vor Staat" eine Absage erteilt.
In Neuss sprang der stellvertretende CDU-Vorsitzende am Samstagnachmittag als Redner für Bundeskanzlerin Angela Merkel ein, die nach ihrer USA-Reise wegen der Luftraumsperrung nicht rechtzeitig nach Deutschland zurückkehren konnte. Hätte die Politik auf neoliberale Sprachrohre gehört und beispielsweise das Rentensystem auf Finanzierung durch Aktien umgestellt, gäbe es jetzt in Deutschland wie den USA Hunderttausende von Altersarmut betroffene Rentner, sagte Rüttgers und rief aus: "Der Kampf ist nicht zu Ende." Es müsse noch hart daran gearbeitet werden, um die soziale Marktwirtschaft in Europa durchzusetzen.
Zudem forderte der Düsseldorfer Regierungschef neue Regeln für die internationalen Finanzmärkte. "In Amerika ist das Casino wieder eröffnet", sagte er. Es könne nicht sein, dass der Staat und die Steuerzahler die Banken retteten und die als erstes die Bonuszahlungen erhöhten. "Das stinkt mir gewaltig", fügte Rüttgers hinzu.
Zugleich forderte der Ministerpräsident weitere Korrekturen bei Hartz IV. Die Möglichkeit für Empfänger des Arbeitslosengeld II zum Hinzuverdienst müssten erweitert werden, damit es einen Ansporn gebe, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Zudem müssten Hartz-IV-Bezieher individueller gefördert werden. Anders als es einige in der Öffentlichkeit suggerierten, seien die meisten nicht freiwillig arbeitslos, erklärte Rüttgers.
Erneut warnte der CDU-Politiker davor, die Landtagswahl am 9. Mai zu einer "Denkzettel"-Wahl gegen die Bundesregierung zu machen. Die FDP kümmere sich um zehn Prozent der Menschen. "Wir kümmern uns um alle", rief der Ministerpräsident aus. Rüttgers regiert seit fünf Jahren mit einer schwarz-gelben Koalition in Düsseldorf, hat laut Umfragen aber derzeit keine Mehrheit, um das Bündnis fortzusetzen.
"Die Devise 'Privat vor Staat' taugt für die Zukunft nicht mehr. Sie ist zu einseitig", sagte Rüttgers der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Sie sei die Antwort auf ein schwerfälliges sozialdemokratisches Denken gewesen, das alles Heil in einem aufgeblähten öffentlichen Sektor suchte. Jetzt aber zwinge die Finanz- und Wirtschaftskrise zu einem anderen Blick. Ein rasch handelnder, flexibler Staat habe sich in der Krise als rettender Anker erwiesen. "Shareholder-Value-Ideologie und Marktradikalismus sind gescheitert", wird der CDU-Politiker weiter zitiert.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und Spitzenkandidatin Hannelore Kraft bekräftigten unterdessen ihre Absage an eine Koalition unter Einschluss der Linkspartei im bevölkerungsreichsten Bundesland. Gabriel griff in derselben Zeitung die Linke scharf an. "Gregor Gysi betet täglich darum, der Herrgott möge ihn davor bewahren, dass seine Freunde in der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen jemals in die Regierung kommen", wird er zitiert. Die Linke sei dort weder regierungsfähig noch regierungswillig. "Die wollen alles verstaatlichen, was größer ist als eine Currywurst-Bude", sagte Gabriel.
Kraft bekräftigte im "Hamburger Abendblatt" ihrerseits die klare Absage an die Linke. Diese sei nicht koalitionsfähig. Kraft fügte hinzu, sie werde das Land "verantwortlich regieren". Natürlich könne man nicht mit einer Partei regieren, die Schlüsselindustrien verstaatlichen wolle. Ihr Ziel sei Rot-Grün.